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Didier Calame, der rechte Bio-Bauer unter der Bundeshauskuppel

Didier Calame im Kuhstall seines Bauernhofes.
Didier Calame im Stall seiner Bio-Rinder, die aus der französischen Region Aubrac kommen. Thomas Kern / swissinfo.ch

Die überraschende Wahl von SVP-Mann Didier Calame ins Schweizer Parlament ist beispielhaft für die Rückkehr des bäuerlichen Flügels der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei. Der Bauer aus dem Neuenburger Jura will sich im Nationalrat für eine ökologische Landwirtschaft einsetzen, die Bestand hat.

“Ich bin ein Mensch der Erde.” So beschreibt sich Didier Calame, der neue Abgeordnete der rechtskonservativen SVP aus dem Uhrenkanton Neuenburg.

Mit seinen klaren Worten setzt der Biobauer, der auch Chef einer Sanierungsfirma ist, auf Authentizität. Bei ihm zu Hause in Les Planchettes, einem Weiler in der Nähe der Stadt La Chaux-de-Fonds auf rund 1000 Metern Höhe, empfängt uns der 50-Jährige in seinem Büro über dem Stall, in dem rund 100 Tiere untergebracht sind, und raucht einen Zigarillo. “Ich bleibe ich selbst”, sagt er.

Im vergangenen Oktober zogen 56 neu gewählte Abgeordnete in die beiden Kammern des Schweizer Parlaments im Berner Bundeshaus ein. Die SVP, die Mitte und die Sozialdemokratische Partei, die drei Parteien, die bei den eidgenössischen Wahlen 2023 am meisten zugelegt haben, stellen auch die meisten Neulinge im Parlament.

Im Gegensatz dazu haben die Grünen, die grossen Verlierer der Wahlen, es nicht geschafft, frisches Blut nach Bern zu bringen. In dieser Serie porträtiert swissinfo.ch neun Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die ihre ersten Schritte in der eidgenössischen Legislative machen.

Einfachheit war auch das Leitmotiv seines Wahlkampfs. “Für die Plakate haben wir mit einem Smartphone Fotos von mir und meinen Kühen gemacht. Das war in einer Viertelstunde erledigt”, erzählt er.

Trotzdem beschloss er, für die Wahlkampagne einen Facebook-Account zu eröffnen – “mit Hilfe eines Freundes”, wie er einräumt. “Ich bin eher papierbasiert als elektronisch”, sagt er.

Didier Calame im Porträt
Didier Calame, geboren am 7. September 1972 in Les Planchettes, ist Bio-Bauer, Leiter einer kleinen Baufirma und seit letztem Oktober Nationalrat für die Schweizerische Volkspartei. Thomas Kern / swissinfo.ch

Die Neuenburger SVP hat mit Calames Wahl ihren Sitz im Nationalrat (Unterhaus) zurückgewonnen, den sie 2019 verloren hatte. Adrien Juvet, Chefredaktor eines Neuenburger Regionalradios, erklärte, dass Calames Wahl eine Überraschung war. “Viele hatten nicht damit gerechnet, dass Didier Calame ein so gutes Ergebnis erzielen würde. Sein Erfolgt erklärt sich jedoch durch die bürgernahe Kampagne, die er geführt hat”, analysiert er. Er habe es geschafft, die Leute mit verständlichen Worten anzusprechen.

Der Bauer selbst hatte nicht mit einer Wahl nach Bern gerechnet. Am Wahlsonntag im letzten Oktober war er auf dem Weg zu einem Schützenwettbewerb, als er SOS-mässig nach Neuenburg zurückgerufen wurde – er hatte es tatsächlich geschafft.

Der Landwirt räumt aber ein, dass er insgeheim auf den Spruch nach Bern gehofft habe: “Mit 51 Jahren war ich nicht als Statist angetreten”.

Die Wahl des Neuenburgers ist symbolisch für die Rückkehr des agrarischen Flügels der Rechtspartei. Dieser war in den frühen 2000er-Jahren durch den Aufstieg des harten, einwanderungs- und Europafeindlichen Blocherflügels – benannt nach dem langjährigen SVP-Chefstrategen und Mäzen Christoph Blocher –überholt worden.

“Ich bin eine konziliante Person, die in der Lage ist, mit meinen politischen Gegnern zu sprechen. Das hat den Leuten gefallen”, sagt Didier Calame, der sich selbst als “linke SVP” bezeichnet.

Seine Offenheit wird auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums geschätzt. “Didier Calame ist eine diskrete Persönlichkeit. Ich lerne ihn eigentlich erst jetzt kennen, obwohl ich bereits mit ihm im Neuenburger Grossen Rat gesessen hatte”, sagt Fabien Fivaz, Neuenburger Nationalrat der Grünen. Trotz ihrer unterschiedlichen Meinungen glaubt der Grüne, dass er mit dem SVP-Politiker zusammenarbeiten könne. “Er ist ruhig, besonnen, überlegt und nicht extrem”, lobt er.

Bio-Bauer ohne Strickpullover

Fabien Fivaz glaubt sogar, dass er sich mit dem Bauern aus den Neuenburger Bergen bei Dossiers, die die Agrarpolitik betreffen, einigen kann. “Die Grünen setzen sich auch für eine bäuerliche Landwirtschaft ein und fördern den lokalen Konsum. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass Didier Calame nicht nur aus reiner Liebe zur Natur Bio-Landwirtschaft betreibt, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen”, sagt er.

Aber da irrt sich Ratskollege Fivaz: “Ich verdiene nicht mehr Geld, wenn ich biologisch wirtschafte”, sagt der Bauer, der hauptsächlich Bio-Rinder züchtet. Er erhält 200 Franken mehr Direktzahlungen (staatliche Leistungen) pro Jahr und Hektar Land, seit er sich 2015 für die Umstellung auf Bio entschieden hatte.

Doch das reiche nicht aus, um die durch den Umstieg entstehenden Mehrkosten zu decken. “Heute reichen die wirtschaftlichen Anreize, ökologisch zu produzieren, nicht mehr aus”, bilanziert Calame. Man muss wirklich davon überzeugt sein, sein Land schützen zu wollen”.

Didier Calame ist jedoch kein “Bio-Bauer mit langen Haaren und Strickpullover”, wie er es in einem Interview mit der deutschsprachigen landwirtschaftlichen Wochenzeitung Schweizer Bauer formulierte.

Er erklärt, dass sich seine Vision von jener der Grünen unterscheide, da er für das Streben nach dem höchsten landwirtschaftlichen Ertrag eintritt. “Ich benutze grosse Maschinen, ich dünge mit Biodünger. Ich hole das Maximum aus meinem Betrieb heraus, im Gegensatz zu einem Hardcore-Ökologen, der auch akzeptieren würde, weniger zu produzieren.”

Landwirtschaft als vorrangiges Dossier

Seine Vision von der Landwirtschaft wird im Mittelpunkt seiner politischen Arbeit unter der Bundeskuppel stehen. “Ich habe beschlossen, mich auf das zu konzentrieren, was ich gut kenne”, sagt er.

Didier Calame wird sich für ein stabiles Agrarbudget einsetzen. Und auch dafür, dass “man aufhört zu versuchen, die Landwirtinnen und Landwirte zu zwingen, weniger zu produzieren”.

Und weiter: “Die Idee ist lobenswert, aber das Problem ist, dass die Preise nicht mithalten können”, sagte er und beschuldigte die grossen Detailhandelsketten, hohe Gewinnmargen zu kassieren, während sie den Produzentinnen und Produzenten niedrige Preise diktieren, was deren Einkommen schmälere.

Spinnennetzgrafik der politischen Einstellungen von Didier Calame

Er will in der Volkskammer auch gegen Einschränkungen und die Vielzahl an Vorschriften, die der Landwirtschaft auferlegt werden, vorgehen. “Wir brauchen zwar Standards. Aber die Situation ist absurd geworden: Ein Bauer verbringt heute mehr Zeit damit, Papierkram auszufüllen, um seine Arbeit zu dokumentieren, als diese tatsächlich einnimmt”, sagt er.

Calame räumt jedoch ein, dass es den Schweizer Landwirten und Bäuerinnen besser gehe als ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen. Zwar versteht die Gründe, welche die Landwirte in mehreren Länder Europas auf die Strasse treiben. Dennoch ist Calame der Meinung, dass Aktionen dieser Grössenordnung in der Schweiz nicht gerechtfertigt seien.

“Wir haben mehr staatliche Unterstützung und leiden nicht so stark unter der Konkurrenz der osteuropäischen Länder, die massiv Billigprodukte in die EU exportieren”, sagt er. Um die Schweizer Bauern zu schützen, plädiert er daher dafür, eine Annäherung an die Europäische Union zu vermeiden.

Commitment im Blut

Didier Calame ist es gewohnt anzupacken. Er ist zwar noch dabei, sich in die Geheimnisse der Bundespolitik einzuarbeiten. Dennoch kann aber bereits auf eine riesige Erfahrung zurückblicken. Mit 24 Jahren stieg er in seiner Wohngemeinde Les Planchettes in die Politik ein – zunächst als Mitglied der Legislative, später als Gemeinderat (Exekutive), der er bis heute angehört.

Seine Laufbahn begann bei der Freisinnigen Partei (FDP). “Ich fand jedoch, dass die Neuenburger FDP zu links war”, erzählt er. Als eine Neuenburger Sektion der SVP gegründet wurde, zögerte er nicht, ihr beizutreten.

“Das war Opportunismus, denn ich hatte bessere Chancen, unter dem Banner der SVP in den Grossen Rat des Kantons Neuenburg gewählt zu werden”, gibt er zu. Doch seine Strategie zahlte sich aus, denn er schaffte die Wahl ins Neuenburger Kantonsparlament, dem er 15 Jahre lang angehörte.

“Die Wahl in den Nationalrat ist so etwas wie das Sahnehäubchen auf meiner politischen Karriere”, freut sich der Neuenburger. Doch seine Ambitionen reichen noch weiter. “Ich bin eher ein Mann der Exekutive”, sagt der Landwirt.

Hat er es also auf einen Sitz in der Schweizer Regierung abgesehen, den Bundesrat? Für diesen Traum ist es wohl noch etwas zu früh. “Ich werde erst mal versuchen, mein Mandat in der laufenden Legislaturperiode zu erfüllen und dann 2027 die Wiederwahl zu schaffen”, sagt er. Die Tür für eine künftige Bundesratskandidatur will er aber durchaus offen halten.

Didier Calame auf dem Sofa im Wohnzimmer seines Bauernhofs.
“Ich bin eher ein Mann der Exekutive”, sagt Didier Calame. Eine Ansage für eine Bundesratskandidatur dereinst? Thomas Kern / swissinfo.ch

Seine Familie hat bereits einen Bundesrat hervorgebracht: Pierre Aubert, der von 1978 bis 1987 als Aussenminister in der Schweizer Regierung sass, war ein Cousin seines Grossvaters.

Calame versucht auch, seine Begeisterung für die öffentliche Sache an seine drei Kinder weiterzugeben. “Meine 17-jährige Tochter interessiert sich für Politik, aber sie steht weiter links als ich”, sagt er. Er siedelt sie bei den Grünen an, was am Familientisch bereits zu lebhaften Diskussionen geführt hat.

Arbeit als zentraler Wert

Didier Calame ist ein Beweis dafür, dass der soziale Fahrstuhl in der Schweiz funktioniert. Der Abgeordnete macht keinen Hehl daraus, dass er seine Berufslehre als Landwirt nie abgeschlossen hat.

“Mit 16 Jahren war ich von zu Hause weggegangen, um die Berufslehre zu machen, aber ich habe das Zuhause zu sehr vermisst”, erzählt er. “Mein Vater erlaubte mir, die Ausbildung aufzugeben und nach Hause zurückzukehren. Aber nur unter der Bedingung, dass ich eine Arbeit finde. Das habe ich dann auch getan.”

Arbeit ist der zentrale Wert im Leben des Neuenburgers, der neben seinem politischen Engagement und seinem Beruf als Landwirt noch eine zweite berufliche Tätigkeit ausübt: Er leitet eine Baufirma, die auf die Sanierung von Abwasserkanalisationen spezialisiert ist. “Selbst wenn ich plötzlich Millionär werden würde, würde ich nicht aufhören zu arbeiten”, versichert er.

Sein Terminkalender ist so voll, dass er ihn umgestalten musste, um an die Parlamentssessionen in Bern zu gehen. “Wenn ich in Bern bin, delegiere ich alles an meine Angestellten, damit ich mich auf die Politik konzentrieren kann”, sagt er. “Aber wenn ich hier bin, bin ich der Chef”, beeilt er sich hinzuzufügen. Er wird auch auf einige Vergnügungen verzichten müssen: “Ich werde kaum noch Zeit für den Schiesssport haben.”

Didier Calame ist zu sehr mit seiner Heimat verbunden ist, als dass es ihn jemals lockte auszuwandern. Als Bauer hat er wenig Überschneidungspunkte mit der Fünften Schweiz.

Im Parlament zu Bern wird er jedoch die Einführung der elektronischen Stimmabgabe unterstützen, damit die Diaspora ihre Bürgerrechte leichter ausüben könne. “Auch wenn sie das Land verlassen haben, müssen die Auslandschweizer weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu den Geschehnissen im Land zu äussern”, sagt er.

Und wie stehts dereinst mit einem Ruhestand an der Sonne? Davon hält Didier Calame nichts. “Ich habe hier alles, was ich brauche.” Es kann sich aber gut vorstellen, ein Häuschen in der französischen Region Aubrac zu erwerben, um dort einige Monate des Jahres zu verbringen. “Ich liebe diese Region, denn von dort kommen meine Kühe.”

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