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Der Aussenblick: Wer sind die Schweizer:innen im Ausland?

Claude Longchamp
Illustration: Helen James / swissinfo.ch

Wie sich die Auslandschweizer:innen genau zusammensetzen, ist nur teilweise bekannt. Ein paar Einblicke ins hindernisreiche Gelände der globalen Schweiz.

Mir ist es eine vertraute Klage: Über die Zusammensetzung der Auslandschweizer:innen weiss man wenig.

Einmal pro Jahr hilft die Auslandschweizer-StatistikExterner Link des Bundesamts für Statistik etwas über den Missstand hinweg.

Ende 2022 waren 800’041 Schweizer:innen im Ausland registriert – Tendenz steigend. Das waren knapp 11% aller Staatsangehörigen.

Eines sollte man dabei nicht übersehen: Rund drei Viertel der Auslandschweizer:innen besitzen ein Mehrfachbürgerrecht. Meist haben sie auch die Staatsbürgerschaft jenes Landes angenommen, indem sie jetzt leben. Und je länger sie dort leben, umso häufiger kommt dies vor.

Wer wohin auswandert

Bei 64% ist der neue Wohnsitz in Europa, 16% leben in Nordamerika, je 7% in Südamerika und Asien. Bloss 4% der Auslandschweizer:innen schlagen ihre Zelte in Australien auf und 2% in Afrika.

In Europa führen die Nachbarländer Frankreich, Deutschland und Italien die Liste seit längerem an. Ausserhalb Europas stehen die USA und Kanada an der Spitze der «Fünften Schweiz».

Die westlich geprägte Welt ist damit das weitaus häufigste Ziel der Auswandernden.

Zu den verfügbaren statistischen Daten gehört auch die Demografie. Frauen sind mit einem Anteil von 54% übervertreten. 21% der Schweizer:innen in der Diaspora sind unter 18 Jahre alt, 23% über 65 Jahre.

Der Anteil der über 65-Jährigen steigt übrigens an. Dies rührt nicht von mehr auswandernden Pensionierten her. Eher ist die Alterung der Schweizer Population im Ausland entscheidend, die da sesshaft geworden ist.

Doch damit sind wir mit den Personenmerkmalen der Auslandschweizer:innen schon am Ende.

Wer politisch teilnimmt

Mehr weiss man über die Zusammensetzung der politisch aktiven Auslandschweizer:innen. Rund 200’000 PersonenExterner Link haben sich speziell registrieren lassen, um ihre politischen Rechte ausüben zu können.

Doch nehmen sie – wie im Inland – nie allesamt an denselben Urnengängen teil, so dass die Zahl der Mitentscheidenden aus der fünften Schweiz noch tiefer liegt.

2019 war das besonders krass. Denn die Wahlbeteiligung in den 12 Kantonen, die das ausdrücklich ausweisen, betrug bloss 21% der im Stimmregister eingetragenen Auslandschweizer:innen. Das waren 5 Prozentpunkte weniger als 2015. Im Inland sank der Wert von 49 auf 46%.  

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Sarah Bütikofer und Claude Longchamp

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Der Aussenblick: 2019 war auch eine Frauenwahl

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Wahlen 2019 brachten so viele Frauen ins Schweizer Parlament wie noch nie. Schub gab auch der nationale Frauenstreik.

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Hauptgrund dürfte der Wegfall des E-Votings bei den Wahlen 2019 gewesen sein. Sicherheitsbedenken hatten zum Abbruch des Versuchs einer Online-Stimmabgabe in verschiedenen Kantonen bei den Wahlen 2015 geführt. Und genau in diesen Kantonen war der Rückgang unter Auslandschweizer:innen dreimal so hoch wie in den übrigen Kantonen.

Bei Abstimmungen schwankt der Anteil von Teilnehmer:innen aus dem Ausland ohne zeitlich klare Entwicklung. Das Thema, die Betroffenheit – und  die Frage, wie sehr eine Vorlage umstritten ist, sind auch da entscheidend. Immerhin liegt der mittlere Erfahrungswert bei rund 30% der Registrierten.

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Verglichen mit dem Inland, wo das Mittel bei 45% liegt, ist auch das einiges weniger. Die Gründe liegen im Angebot als auch der Nachfrage. Angebotsseitig gibt es viele Mängel bei der Infrastruktur und Zustellung des Stimmmaterials. Nachfrageseitig wirkt sich die Mehrfachbürgerschaft aus: Denn häufig interessieren sich diese Auslandschweizer:innen mehr für die Politik ihres Residenzlandes als für jene der Schweiz.

Was die Forschung über die Fünfte Schweiz weiss

Vor den Wahlen 2019 berichteten die beiden Genfer Politikwissenschafter Andreas Goldberg und Simon Lanz über die Zusammensetzung der politisch aktiven Auslandschweizer:inneExterner LinknExterner Link.Externer Link

Am stärksten übervertreten sind Personen mit einem Hochschulabschluss: Sie machen über 50% der Wählenden aus. Ihr Anteil ist damit mehr als doppelt so hoch wie im Inland.

Markant häufiger kommen auch Beamt:innen wie Botschaftspersonal, Manager:innen und Berufstätige mit vornehmlich geistiger Arbeit vor. Das gilt auch für Männer und konfessionslose Menschen.

Deutlich untervertreten verglichen mit dem Inland sind im Ausland dagegen Personen mit tiefer Schulbildung, Arbeiter, Frauen generell und praktizierende Katholik:innen.

Die Schicht, bestimmt durch Ausbildung und berufliche Stellung, kommt hier noch deutlicher als im Inland zum Ausdruck.

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Man könnte es auch Individualisierung durch Karriere nennen. Dagegen ist die gesellschaftliche Integration weniger wichtig, wenn es um die politische Partizipation aus dem Ausland geht.

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Das macht die heute politisch aktiven Auslandschweizer:innen bis zu einem gewissen Grad zu einem Kippbild der Wählenden und Stimmenden im Inland. Werden diese durch eine überwiegend konservative Wählerschaft aus ländlichen und kleinstädtischen Gebieten geprägt, so sind die aktiven Auslandschweizer:innen weltoffener und urbaner.

Repräsentativ für die ganze Fünfte Schweiz?

Doch muss eine Frage gestellt werden: Stimmt diese Darstellung der politisch aktiven Auslandschweizer:innen mit allen Landsleuten im Ausland überein?

Skepsis ist angebracht.

Denn die Beteiligung an der Schweizer Politik ist wegen der erwähnten Registrierungshürden und den sehr tiefen Beteiligungsquoten selektiv.

Plausibel ist die Hypothese, dass an sich aktive Auslandschweizer:innen auch politisch überdurchschnittlich partizipieren. Die passiveren Auslandschweizer:innen, die das neue Leben am neuen Ort auch ohne Politik geniessen, dürften untervertreten sein.

Hinzu kommt wohl auch, dass die Perspektive von aussen mitspielt. Denn Personen, die ihr Leben im Ausland auf Dauer ausgerichtet haben, dürften bei Schweizer Abstimmungen und Wahlen untervertreten sein. Übervertreten dürften dagegen Pendler:innen zwischen zwei Welten sein, die namentlich aus beruflichen Gründen vorübergehend die Schweiz verlassen haben.

So bleibt auch nach allen Erkundungsgängen der hindernisreichen Wege einiges an Fragen zur Zusammensetzung der gut 11% Schweizer:innen, die ausserhalb des Landes leben, offen.

Editiert von Mark Livingston.

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