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Der Aussenblick: Wie die Schweizer:innen im Ausland entscheiden

Der Politologe Claude Longchamp steht vor einer Bildmontage mit dem Bundeshaus
Der Politologe Claude Longchamp bestreitet zusammen mit der Politologin Sarah Bütikofer unsere Wahlbeobachtungsserie für die Schweizer:innen im Ausland. Illustration: Helen James / swissinfo.ch

Auslandschweizer:innen entscheiden bei Volkabstimmungen behördentreuer, bisweilen auch weniger konservativ. Bei den letzten Wahlen waren sie ökologischer unterwegs. Politisch entscheidend sind ihre Stimmen selten. Aber es ist vorgekommen.

So entscheiden die Schweizer:innen im Ausland bei den Wahlen

Hätten bei den Nationalratswahlen 2019 einzig die Auslandschweizer:innen entschieden, wären die Grünen (GPS) die stärkste Partei gewesen.

In den Kantonen, in denen diese Gruppe Wählender separat ausgewiesen wird, kam die GPS auf einen Stimmenanteil von knapp 21%, gefolgt von der SVP mit 16 und der SP mit 15%. Die CVP schaffte 13% und die Grünliberale Partei (GLP) 9%.

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*Die Angaben zu 2011 und 2015 basieren auf den jeweiligen Nachwahlbefragungen «Selects». 2019 handelt es sich um eine Auswertung der 12 Kantone, welche die Stimmen der Auslandschweizer:innen separat ausweisen (zirka 70% der Auslandschweizer:innen). Beide Verfahren haben Vor- und Nachteile: Das erste deckt die ganze Schweiz ab, kennt aber Einschränkungen wegen des Datenschutzes. Das zweite gibt ausgezählte Stimmen wieder, ist aber unvollständig.

Bei den Nationalratswahlen 2015 und 2011 war jeweils die SP die stärkste Kraft unter den Auslandschweizer:innen. Sie rangierte beide Male vor der SVP. Dahinter folgten die FDP oder die Grünen, dann die CVP und GLP.

Das war nicht ganz anders als in der Gesamtbilanz der Parteien – aber mit einem Schuss mehr grün und zwei weniger SVP!

Die Politologin Sarah Bütikofer und der Politologe Claude Longchamp begleiten für SWI swissinfo.ch das Wahljahr 2023 aus der Perspektive der Schweizer:innen im Ausland.

In 10 Beiträgen befassen sich die beiden mit Themen, die besonders von Interesse für die Stimmberechtigten im Ausland sind und schauen dabei immer wieder über den Tellerrand.

Auch bei den jüngsten Nationalratswahlen kam der ökologische Trend unter den Auslandschweizer:innen verstärkt zum Ausdruck: Die GPS gewann fast 8 Prozentpunkte hinzu, die GLP gut 5. Am meisten Stimmen verloren mit der SP und der SVP die bisher starken Parteien.

Damit waren die Wahlen 2019 unter den Auslandschweizer:innen noch volatiler und auf Neues ausgerichtet als unter den Schweizer:innen im Inland.

Was sind die Gründe für das Wahlverhalten der Auslandschweizer:innen?

Das hat mit der Zusammensetzung beider Gruppen zu tun. Die Schweizer:innen im Ausland sind mit rund 800’000 Personen zunächst weniger zahlreich. Dann müssen sie sich zur Wahl anmelden, was zu einer weiteren Selektion führt.

Schliesslich klappt die Materialzustellung ohne E-Voting nicht immer, so dass ihre Wahlbeteiligung mit rund 20% klar tiefer liegt als die durchschnittliche Wahlbeteilung von rund 45%.

Eine grosse Gruppe Inlandschweizer:innen steht damit einer vergleichsweise kleinen Gruppe Auslandschweizer:innen gegenüber. Relevant werden letztere darum nur, wenn sie sich klar anders entscheiden.

Verschiedene Befragungen zeigen zudem regelmässig, dass obere Bildungsschichten unter den Wählenden im Ausland stark übervertreten sind.

Das ändert auch die Perspektive auf die Schweiz. Das Leben im Ausland erweitert den Erlebnis- und Erfahrungsschatz. Globale Strömungen werden wichtiger, Familientraditionen verblassen. Nicht mehr die regionale Verankerung entscheidet, was man wählt, sondern die Offenheit für das, was die Zukunft einfordert.

Wie sieht es bei den Abstimmungen aus?

Die Unterschiede bei Volksabstimmungen knüpfen daran an. Die umfassendste Studie zum Thema, 2017 erstellt und vom Zentrum für Demokratie in Aarau (ZDA) publiziert, hält fest: Auslandschweizer:innen stimmen in aller Regel regierungstreuer! Zudem wird vermutet, dass die Nein-Propaganda namentlich von rechts im Ausland geringer ausgeprägt ist als im Inland.

Die Extreme im abweichenden Abstimmungsverhalten resultierten 2013 bei der Familieninitiative der CVP und ein Jahr später bei der Masseneinwanderungsinitiative der SVP. Die Familieninitiative bejahten die Auslandschweizer:innen zu über 25 Prozentpunkten häufiger als der Durchschnitt der inländischen Stimmenden. Und die SVP-Initiative verwarfen sie um rund 17 Prozentpunkte deutlicher als der Schnitt.

Ganz genaue Zahlen gibt es nicht, denn die Stimmergebnisse der Auslandschweizer:innen liegen nur in 12 Kantonen vor. Immerhin decken diese rund 70% der relevanten Gruppe ab. Anders als im Abschnitt zu den Wahlen wurde hier eine Extrapolation auf die fehlenden Angaben gewagt.

Zur Bestimmung genereller Gegensätze über eine einzelne Vorlage hinaus ist die Kluft zwischen progressiv und konservativ geeigneter als der ökonomische Links-Rechts-Gegensatz. Denn die Auslandschweizer:innen sind meist näher beim progressiven Pol, die Inlandschweizer:innen näher beim konservativen. Der für die Schweiz so typische Konservativismus war früher angesichts vieler Rentner:innen auch unter Auslandschweizer:innen beobachtbar. Das allerdings hat geändert: Heute dominieren Erwerbstätige.

Bisweilen erkennt man jenseits unterschiedlicher Weltanschauungen auch den Einfluss der direkten Betroffenheit: So waren die Auslandschweizer:innen weniger kritisch, als es um die Radio- und Fernsehgebühr ging, die sie in aller Regel nicht bezahlen. Auch bei sozial- oder gesundheitspolitischen Vorlagen sind die Interessenlagen immer wieder verschieden.

Können die Schweizer:innen im Ausland den Ausschlag geben?

Da stellt sich die Frage, ob die Auslandschweizer:innen die Mehrheit kippen können? Die Antwort lautet ja, wenn auch selten.

Wichtigste Voraussetzung ist ein Ergebnis knapp über oder unter 50%. Zudem muss eine Vorlage vorzugsweise entweder zwischen progressiv und konservativ polarisieren oder auslandsspezifische Betroffenheiten auslösen.

Mustergültig war das bei der bereits erwähnten Radio- und Fernsehgebühr (2015) der Fall. Sie wurde mit 50,1% hauchdünn angenommen. Die Auslandschweizer:innen waren verstärkt für den Parlamentsvorschlag. Das half ihm.

Wohl traf das Gleiche auch 2022 bei der Reform der Altersvorsorge (AHV21) ein, die mit 50,7% knapp angenommen wurde. Auch da stimmten die Auslandschweizer:innen verstärkt behördentreuer und dürften den Ausschlag gegeben haben.

Umgekehrtes zeigte sich bei der Asylinitiative der SVP 2003. Sie erreichte total 49,9% Ja-Stimmen, mit einer klaren Ablehnung unter den Auslandschweizer:innen. Der nationalkonservative Tenor der Initiative zog ausserhalb der Schweiz gar nicht.

Ein genereller Einwand bleibt: Bei so knappen Entscheidungen müssen auch andere Gruppen, die massgeblich gewesen sein könnten, in die Betrachtung einbezogen werden. Denn: Die Auslandschweizer:innen sind nicht immer an allem «schuld»!

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