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Der Aussenblick: Wie man aus der Ferne effizient eine Wahlentscheidung fällt

Sarah Bütikofer blickt in die Kamera, daneben das Bundeshaus
Illustration: Helen James / swissinfo.ch

Jeder Kanton hat ein anderes Wahlrecht – was es den Auslandschweizer:innen erschwert, an den Wahlen in der Heimat teilzunehmen. Neben bestehenden Parteibindungen führt der Weg zur Wahlentscheidung denn auch häufig über sogenannte Heuristiken.

Am 22. Oktober stehen die Nationalratswahlen an. Der Begriff ist im Plural, was nicht von ungefähr kommt. Denn in der Schweiz finden an diesem Tag genau genommen 26 verschiedene Wahlgänge statt.

Das Wahlrecht ist eine kantonale Angelegenheit und betrifft aus diesem Grund die Auslandschweizer:innen besonders. Sie können in dem Kanton wählen, in welchem sie als Auslandschweizer:innen angemeldet sind.

Auslandschweizer:innen können über eidgenössische Vorlagen abstimmen sowie an den Nationalratswahlen teilnehmen, ohne deswegen in die Schweiz reisen zu müssen.

Es ist auch nicht nötig, sich am Wahltag persönlich in die Botschaft oder auf ein Konsulat zu begeben. Dies ist bei vielen anderen Staaten die Bedingung für Staatsangehörige im Ausland ist, um an Wahlen teilzunehmen.

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Damit genug Zeit für Wahlentscheidung und das Retournieren der Unterlagen zur Verfügung steht, werden die Unterlagen für die Auslandschweizer:innen bereits sechs Wochen vor dem Wahltermin verschickt. Dies gilt zumindest für die  Nationalratswahlen und – wo es möglich ist – den ersten Wahlgang der Ständeratswahlen. Das ist in den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Land, Basel-Stadt, Freiburg, Genf, Graubünden, Jura, Neuenburg, Solothurn, Schwyz, Tessin und Zürich der Fall.

Andere Ausgangslage von Kanton zu Kanton 

Auf rechtlicher und organisatorischer Seite sollte der Wahlteilnahme der Auslandschweizer:innen also wenig im Weg stehen. Eine Wahlteilnahme bedingt aber, dass sich Auslandschweizer:innen über die Parteien und die zur Wahl antretenden Kandidierenden in dem Kanton informieren, in welchem sie angemeldet sind.

Das ist leichter gesagt, als getan, wenn man den Wahlkampf in der alten Heimat vor allem aus der Ferne verfolgt. Wie soll man überhaupt eine Wahlentscheidung treffen, wenn man die (manchmal sehr umfassenden) Wahlunterlagen eines Kantons der entfernten Schweiz vor sich liegen hat?

In allen Kantonen sind die Parteien angehalten, ihre Listen und Kandidierenden in diesen Tagen einzureichen. Für den diesjährigen Wahlgang wird mit einer rekordhohen Anzahl Kandidierenden und Listen gerechnet.Externer Link

Im Herbst werden gegen 5000 Kandidierende auf über 500 Listen um die 200 Sitze im Nationalrat konkurrieren. Daher ist das Wählen auch für die im Inland lebenden Schweizer:innen mit grossem Aufwand verbunden.

Je nach Grösse des Kandidierendenfelds und der Intensität des kantonalen Parteienwettbewerbs ist eine Auseinandersetzung mit den Parteiprogrammen und den Absichten der einzelnen Kandidierenden im Detail kaum möglich.

Die Ausgangslage ist für Wähler:innen aber von Kanton zu Kanton eine andere. In den kleinen Kantonen der Zentral- und Ostschweiz sind nur ein oder zwei Sitze zu besetzen, an den Ständeratswahlen können die Auslandschweizer:innen zudem nur in der Hälfte der Kantone teilnehmen.

Je mehr Kandidierende und je mehr Parteilisten zur Auswahl stehen, desto weniger ist es möglich, sich vertieft mit den Parteiprogrammen und den Absichten der einzelnen Kandidierenden zu befassen.

So können beispielsweise die knapp 500 Auslandschweizer:innen aus dem Kanton Uri nur gerade einer Person, die in den Nationalrat will, eine Stimme geben, während die 30’000 Auslandschweizer:innen, die beim Kanton Zürich angemeldet sind, dieses Jahr 36 Nationalratssitze sowie zwei Ständeratssitze wählen können.

Gibt es systematische Unterschiede zwischen im Inland und Ausland lebenden Wahlberechtigten?

Auslandschweizer:innen gelten als die unbekannteste Wählergruppe, es gibt verhältnismässig wenig Untersuchungen zu ihrer Wahlentscheidung. Es scheint aber Unterschiede darin zu geben, wie die Wahlentscheidung von Ausland aus getroffen wird.

Eine jüngere Untersuchung ging Verhaltensunterschieden zwischen den im In- und Ausland Wählenden nachExterner Link. Dabei zeigte sich, dass die langjährige und etablierte Identifikation mit einer Partei für Auslandschweizer:innen etwas weniger wichtig ist als für im Inland lebende Wähler:innen.

Darum spielen bei der Wahlentscheidung andere Faktoren eine grosse Rolle.

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Kognitive Abkürzungen machen einem die Wahlentscheidung leichter

Um eine Wahlentscheidung zu treffen, nehmen viele Wählende eine sogenannt kognitive Abkürzung. Man spricht in diesem Zusammenhang von Heuristiken: Heuristiken verringern die individuellen Informationskosten deutlich, weil man sich, statt zeitintensiv alle Wahlunterlagen, Parteiprogramme und Kandidierendenauftritte im Detail zu studieren, auf ausgesuchte Informationen verlässt.

Dabei spielt es beispielsweise eine Rolle, wie kompetent und überzeugend einzelne bekannten Politikerinnen und Politiker einer Partei oder die Problemlösungsvorschläge von Parteien als Ganzes ankommen.

Mit Heuristiken kann man mit wenig Aufwand und ohne tiefes Vorwissen eine Entscheidung treffen. Sie vereinfachen das Erfassen, Verarbeiten und Bewerten von Informationen. In politischer Hinsicht spielen dabei Ideologien, aber auch das Vertrauen in Parteien und Kandidierende eine Rolle.

Somit kann jemand eine Wahlentscheidung zu Gunsten einer Partei treffen – auch wenn beispielsweise eine Politikerin dieser Partei, die jemanden individuell überzeugt, gar nicht in dem Kanton zur Wahl steht, wo man wahlberechtigt ist.

Gerade für im Ausland lebende Personen, die teilweise in Kantonen stimmberechtigt sind, zu denen sie schon länger keinen direkten Bezug mehr haben, sind Heuristiken sehr wichtig.

Parteien können dies für sich nutzen und speziell auf Auslandschweizer:innen ausgerichtete Kampagnen machen. Doch wie die Forschung auch, entdecken Parteien die Auslandschweizer:innen und die Art, wie sie sich bei Wahlen entscheiden, nur zögerlich.

Editiert von Mark Livingston.

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