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Taiwan-Besuche verärgern China

US Senator Marsha Blackburn and Taiwanese President Tsai Ing-wen
Die amerikanische Senatorin Marsha Blackburn (links) traf die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen (rechts) am 26. August in Taipeh, Taiwan. Blackburn war die dritte hochrangige gewählte Vertreterin der USA, die Taiwan im August besuchte. Keystone

Angesichts der Drohkulisse Chinas möchten auch Schweizer Politiker:innen stärkere Beziehungen zur abtrünnigen Inselprovinz pflegen. Expert:innen warnen vor den Folgen.

Seit US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi Anfang August Taiwan besucht hat, lässt Chinas Armee die Muskeln spielen. Die Manöver rund um die Insel seien eine «notwendige Warnung» an alle, welche die abtrünnige Provinz unterstützten, liess die Chinesische Volksbefreiungsarmee (PLA) verlauten.

Die Drohkulisse im Pazifik hält aber ausländische Mandatsträger:innen nicht davon ab, Taiwan zu besuchen: Seit Pelosis Visite sind weitere Delegationen aus den USA und auch Japan nach Taipeh gereist, um Präsidentin Tsai Ing-wen zu treffen. Repräsentant:innen anderer Staaten wie Litauen und Kanada wollen nachziehen.

Auch Parlamentarier:innen in Bern fordern eine Stärkung der bilateralen Beziehungen zu Taiwan. Eine «Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan» ist entschlossen, die Insel Anfang 2023 zu besuchen. Ob sie damit den Zorn der chinesischen Botschaft auf sich ziehen wird?

Sinologin Simona Grano winkt ab. Für sie sind die diplomatischen Besuche bislang kein Grund zur Beunruhigung, sondern eine symbolische Geste zur Unterstützung der Demokratie in Taiwan. «Letztlich ändern sie nichts, ausser dass sie Peking verärgern», sagt die Dozentin an der Universität Zürich. «Taiwan ist nun in aller Munde, und das ist sicher das Letzte, was China will.» 

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Noch vor sechs Jahren flog der Kleinstaat, der flächenmässig etwas kleiner als die Schweiz ist, unter dem Radar. China tolerierte es, dass Länder informelle, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu Taipeh unterhielten, solange sie sich an die offizielle Ein-China-Politik hielten.

Doch als Tsais Pro-Unabhängigkeitspartei 2016 an die Macht kam, drehte der Wind. Einige Staaten haben seither offen engere Beziehungen zu Taiwan gesucht. Die Machtdemonstration Chinas während der letzten Wochen hat diese Verbündeten nur noch ermutigt.

Nein zu Handelsabkommen

Vor wenigen Wochen kündigten die USA die Aufnahme von Verhandlungen über ein bilaterales Abkommen mit Taiwan an, mit dem Handelshemmnisse beseitigt werden sollen. Als Reaktion warnte China all jene Staaten, welche mit Taiwan derartige Geschäfte pflegen wollten.

Auch die Schweiz schaut mit grossem Interesse nach Taiwan. Die Inselprovinz ist inzwischen ihr fünftgrösster Handelspartner, der aufgrund seiner Kaufkraft und seiner wichtigen Rolle in der Halbleiterindustrie ein attraktiver Markt darstellt.

Laut dem Soziologen Patrick Ziltener von der Universität Zürich könnten Schweizer Unternehmen aus der Maschinen-, Uhren- und Chemiebranche mit einem Freihandelsabkommen jährlich 42 Millionen Franken an Zöllen sparen. Taiwans Vertreter in Bern, David Huang, signalisierte, dass Taipeh an einem Abkommen interessiert sei.

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Doch der Bundesrat hat eine wirtschaftliche Annäherung aus Angst vor Vergeltungsmassnahmen Chinas wiederholt abgelehnt. Denn im Gegensatz zu den USA oder der EU unterhält die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit China: Der asiatische Riese ist drittwichtigster Handelspartner nach den USA und der EU. 2021 belief sich der Wert dieses Handels auf umgerechnet 42,1 Milliarden Franken. Diese wirtschaftliche Verflechtung macht den Alpenstaat verwundbar.

«Viele glauben, die Schweiz könnte erpresst werden, weil ihr Abkommen mit China so wertvoll ist», sagt Ziltener, der zahlreiche Schweizer Handelsverträge analysiert hat. Die Gespräche über eine Aktualisierung des 2013 unterzeichneten Vertrages, damit weitere Zölle gesenkt werden können, sind denn auch ins Stocken geraten. Viele Expert:innen sehen den Grund dafür in der kritischeren Haltung der Schweiz gegenüber China in Sachen Menschenrechte.

Sollte die Regierung in Peking verärgert sein, könnte sie das Abkommen aussetzen, als eine Art Vergeltungsmassnahme. «Das hat China auch schon bei anderen Staaten gemacht», erklärt Ziltener. Fakt ist: Schweizer Unternehmen, die dank des Handelsabkommens von einem starken Wettbewerbsvorteil in China gegenüber Konkurrenten aus Europa und den USA profitieren, müssten mit Einbussen rechnen.

China-Expertin Simona Grano glaubt, dass die Schweiz im Gegensatz zu den USA und anderen Nationen vorsichtig agieren und keine Handelsinitiative mit Taiwan vorantreiben wird. «Ich denke, die Schweiz würde erst dann nachziehen, wenn europäische Grossmächte in diese Richtung steuern», sagt sie.

Ein Ende der Diplomatie

Noch härter auf die Probe gestellt würde die Schweiz, wenn die Grossmacht ihre Drohung, Taiwan gewaltsam «wiederzuvereinigen», wahrmachen würde. In einem solchen Fall könnten die USA und China in einen Konflikt verwickelt werden. Sollte es als Folge zu EU-Sanktionen kommen, könnte die Schweiz in Zugzwang geraten.

Seco-Chefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch sagte in einem Interview mit der NZZ, dass sie fest davon überzeugt sei, dass die Schweiz im Falle einer Invasion Chinas die Sanktionen der EU übernehmen würde – so wie sie das beim Ukraine-Konflikt gegenüber Moskau getan hat.

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Als Reaktion könnte wiederum China Sanktionen gegen die Schweiz erlassen. Oder die Grossmacht könnte sogar beschliessen, durch Strafmassnahmen ein Exempel an Bern zu statuieren. Dies sei eine Taktik, die China schon früher gegenüber kleinen Ländern angewandt habe, hält die Denkfabrik Avenir Suisse in einem kürzlich erschienenen Bericht fest.

Doch die Folgen könnten weit über die Wirtschaft hinausreichen. China könnte die Schweiz auf eine schwarze Liste setzen und ihre Neutralität in Frage stellen, so wie das auch Russland getan hat. Mit anderen Worten: China könnte bei künftigen Krisen das Angebot der Schweiz, diplomatische Dienste zu leisten, ablehnen. Erst im vergangenen Herbst war die Schweiz Gastgeberin eines Treffens hochrangiger chinesischer und US-Diplomat:innen.

Einschüchterungstaktik

Trotz Chinas militärischem Säbelrasseln glauben viele Analyst:innen nicht, dass ein Angriff auf Taiwan unmittelbar bevorsteht. Russlands Krieg in der Ukraine lässt die Führerschaft in Peking vorsichtig agieren. Sie will die Fehler, die Moskau in diesem Krieg gemacht hat, nicht wiederholen.

«China wird viel klüger agieren als Russland», ist Ziltener überzeugt. «Peking wird nicht wie Putin einfach so über Nacht in Taiwan einmarschieren, die Insel übernehmen und damit davonkommen.»

Grano ergänzt: «China wird auch abwarten wollen, bis die Marine und Armee vollständig modernisiert sind. Denn die Regierung muss davon ausgehen, dass die USA Taiwan zu Hilfe eilen würden, möglicherweise mit Unterstützung weiterer Verbündeter.»

Im Moment sollten Chinas militärische Übungen eher als Einschüchterung denn als Kriegsvorbereitung verstanden werden, ergänzt die Sinologin. Doch da sich ausländische Besucher:innen nicht abschrecken lassen, wird Taiwans Entschlossenheit, sich im Fall eines Angriffs zu verteidigen, nur noch verstärkt. Und das beunruhige China. 

«China befürchtet, dass der Westen langsam, aber stetig dazu übergeht, Taiwan als unabhängiges Land zu legitimieren», sagt Grano. «Viele spüren, dass die langfristige Trennung zwischen China und Taiwan in eine definitive Scheidung übergehen wird.»

Adaptiert aus dem Englischen: Christoph Kummer

Christoph Kummer

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