UNO-Generalversammlung: Amtsjahr von Deiss zu Ende
Das Amtsjahr des ehemaligen Bundesrates Joseph Deiss als Präsident der UNO-Generalversammlung ist mit einer bewegenden Rede zu Ende gegangen. Deiss übergab am Montag in New York das Zepter an seinen Nachfolger Nassir Abdulaziz al-Nasser aus Katar.
Deiss fand in seiner letzten Rede vor dem Gremium lobende, aber auch kritische Worte für die Weltorganisation und schloss die 65. Generalversammlung schliesslich mit einer Schweigeminute.
Gemeinsam für die Menschheit
Auch wenn das Engagement, für die Werte der UNO einzustehen, manchmal etwas zu schwach oder zu spät gekommen sei, habe die Generalversammlung ihre Rolle zur Stärkung der UNO als moralische Kraft in den vergangenen 12 Monaten grundsätzlich wahrgenommen, erklärte Deiss.
Die UNO sei als Instanz zum Schutz der Zivilbevölkerung und ihrer Rechte aufgetreten. Sie habe als Instrument zur Förderung friedlicher Lösungen von Konflikten und der Freundschaft zwischen den Völkern gedient. Zeitweise würden bei der UNO aber auch abstrakte, fast unverständliche Diskussionen geführt.
Die 65. Generalversammlung konnte unter Deiss unter anderem Fortschritte bei den UNO-Millenniumszielen wie der Halbierung der Armut und des Hungers verzeichnen. Auch sind heute mehr Staaten überzeugt von der Notwendigkeit eines nachhaltigen Welthandels.
Als einen Erfolg seines Amtsjahres kann Deiss auch verbuchen, dass es gelungen ist, die Beziehungen zwischen der G-20 (Gruppe der wirtschaftsstärksten Länder) und den restlichen 173 UNO-Staaten zu verbessern.
«Super-Job»
UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon würdigte den Einsatz des ehemaligen Schweizer Aussen- und Wirtschaftsministers: «Sie haben in einem sehr anspruchsvollen Jahr einen Super-Job gemacht.» Deiss habe der Welt gezeigt, welche Rolle die Generalversammlung auf dem internationalen Parkett spielen könne.
Auch habe Deiss es geschafft, immer pünktlich zu sein. Und das sei für die Diplomaten eine wahre Inspiration gewesen, unterstrich der UNO-Chef mit einem Lächeln.
Sicherheitsrats-Reform
Ban lobte Deiss zudem für seinen Einsatz für die Reform des Sicherheitsrates. Es sei gelungen, die Diskussion auf eine Basis zu stellen, auf der sein Nachfolger aufbauen sollen könnte, zeigte Ban sich optimistisch.
Deiss hätte sich in Bezug auf diese Reform hingegen mehr Fortschritte gewünscht. Zwar wurde eine Erweiterung des Rates in einer fast 30 Mitglieder umfassenden Gruppe von Freunden diskutiert. «Ich bedauere, dass kein bedeutender Durchbruch erfolgt ist, der ernsthafte Verhandlungen nach sich ziehen würde», sagte er in seiner letzten Rede vor dem Plenum.
Im Interesse der Glaubwürdigkeit der Organisation und ihrer Mitgliedstaaten könne diese Schlüsselfrage nicht immer wieder von einer in die andere Session verschoben werden. «Die Rolle der UNO in der politischen globalen Gouvernanz steht auf dem Spiel.»
Nicht mit zweierlei Mass messen
Um bei den wichtigsten Fragen der Gegenwart präsenter zu sein, müsse das Gemeinwohl sich noch besser gegen nationale Interessen durchsetzen können. «Noch zu oft sind wir zu zurückhaltend, wenn es darum geht, rein nationale, kurzfristige Interessen aufzugeben.»
Die UNO müsse auch vermeiden, mit zweierlei Mass zu messen. Für alle Menschen, deren Würde oder Rechte verletzt worden seien – ob dies in Syrien oder anderswo auf der Welt der Fall sei – müsse die UNO-Vollversammlung ein moralischer Hort sein. Sie habe diesen Menschen zu versichern, dass Hoffnung bestehe und ihre Anliegen nicht vergessen würden.
Beim Blick auf das vergangene Jahr hatte Deiss bei seiner letzten Medienkonferenz darauf verwiesen, dass der Sicherheitsrat im Fall Libyen zum ersten Mal das Konzept der Verantwortung zum Schutz der Zivilbevölkerung angewandt habe.
In seiner letzten Rede rief er in Erinnerung, dass die Suspendierung Libyens aus dem Menschenrechtsrat durch die Generalversammlung ihn als Präsident des Gremiums mit Stolz erfüllt habe. Gleichzeitig stelle sich aber auch die Frage, wie man Libyen überhaupt in den Rat habe aufnehmen können.
«Und wie konnten wir einige Monate davor tolerieren, mitzuerleben, wie der Tyrann, der dieses Land regierte, die Werte der Vereinten Nationen verachtete, als er, in dieser Halle hier, die Charta wegwarf?»
Südsudan als Höhepunkt
Ein persönlicher Höhepunkt war die Aufnahme Südsudans in die UNO. Dieser emotionale Moment habe den Gipfel eines friedlichen Prozesses zur Beendigung eines langen und tödlichen Konfliktes markiert.
Seine letzten Ausführungen in dem hohen UNO-Amt schloss Deiss mit den Worten: «Kein Hindernis ist unüberwindbar für die, die sich Erfolg wünschen. Das sollten wir nie vergessen.»
Die Generalversammlung ist das Plenum der Weltorganisation, in dem alle 193 Mitgliedsstaaten unabhängig von ihrer Grösse und Macht eine gleichberechtigte Stimme haben.
Das Präsidium wechselt jedes Jahr im Rotationsverfahren unter den fünf regionalen UNO-Gruppen. Nach der Gruppe «Westeuropa und andere» ist die Reihe jetzt an der Gruppe Asien.
Deiss› Nachfolger und Präsident der 66. Generalversammlung ist Nassir Abdulaziz al-Nasser aus Katar. Er blickt bereits auf eine lange Karriere bei der UNO zurück.
1972 hatte seine Laufbahn im diplomatischen Dienste Katars begonnen, die ihn nach Libanon, Jordanien, Pakistan und in die Vereinten Arabischen Emirate führte.
Seit 1998 vertrat Al-Nasser sein Land als Botschafter am UNO-Hauptsitz in New York, darunter 2006 und 2007 als Mitglied im Sicherheitsrat.
Die Wahl zum Präsidenten der UNO-Generalversammlung gab der politischen Karriere von Joseph Deiss eine internationale Dimension.
Diese Karriere begann 1981 im Grossen Rat des Kantons Freiburg. Von 1982 bis 1996 war er Gemeindepräsident von Barberèche.
1991 wurde er in den Nationalrat gewählt, 1999 folgte die Wahl in den Bundesrat, wo er das Aussenministerium übernahm. In dieser Funktion führte er die Abstimmungskampagne für den Beitritt der Schweiz zur UNO.
2003 wechselte er ins Wirtschaftsministerium, 2006 trat er aus dem Bundesrat zurück.
Joseph Deiss wurde 1946 geboren. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Von 1984 bis zu seiner Wahl in den Bundesrat 1999 war Deiss Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg. Von 1993 bis 1996 amtete er zudem als Preisüberwacher der Schweiz.
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