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Rotes Kreuz: Kate Forbes will die Bewegung weltweit näher zu den Menschen bringen

Eine Frau vom IFRC steht vor einer Menge.
Überlebende des Zyklons Idai erhalten im März 2019 Erste Hilfe und Notvorräte von Freiwilligen des Roten Kreuzes in Mosambik. Keystone / Denis Onyodi/red Cross Red Cresc

Die neue IFRC-Präsidentin repräsentiert seit kurzem 16 Millionen Freiwillige der Rotkreuz- und Rothalbmondföderation. Was will die ausgebildete Wirtschaftsprüferin in diesem Amt erreichen?

“Wir müssen generell daran erinnern, die Embleme zu achten”, sagt Kate Forbes. “Das ist die Grundlage, damit wir humanitäre Hilfe leisten können.” Forbes hat vor kurzem ihr Amt als Präsidentin der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes (IFRC) angetreten.

In Konflikten stehen humanitäre Organisationen wie das IFRC unter Druck. Kriegsparteien stellen ihre Neutralität oft in Frage – aber angreifen dürfen sie die Spitäler, Ambulanzen, Hilfsgüter und Menschen im Sanitäts- und Hilfsdienst nicht. So steht es im humanitären Völkerrecht.

Die Schutzsymbole der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung – das Rote Kreuz, der Rote Halbmond und der Kristall – bieten in bewaffneten Konflikten Schutz.

Doch aktuell werden diese oft nicht respektiert: Die Weltgesundheitsorganisation WHO meldete Ende Januar mehr als 670 Angriffe auf Spitäler und Ambulanzen im Gazastreifen und im Westjordanland seit dem 7. Oktober 2023.

Die Embleme der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung
Kriegsparteien müssen die Embleme der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung respektieren Keystone / Martial Trezzini

Die Problematik betrifft nicht nur die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung – und nicht nur den israelisch-palästinensischen Krieg, wie James Elder vom Kinderhilfswerk UNICEF kürzlich im SWI swissinfo.ch-Podcast Inside Geneva geschildert hat, sondern etwa auch die Kriege in der Ukraine und im Sudan.

Kate Forbes setzt sich dafür ein, dass die Neutralität – ein Grundprinzip der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung – weltweit anerkannt wird. Schon seit 43 Jahren engagiert sie sich als Freiwillige für die Bewegung. Seit diesem Dezember ist sie IFRC-Präsidentin. “Das Amt ist die Ehre meines Lebens”, sagt die US-Amerikanerin.

IFRC-Präsidentin Kate Forbes guckt in die Kamera
Die neue IFRC-Präsidentin Kate Forbes glaubt daran, dass man auch Geldgeber:innen überzeugt, wenn man aufzeigt, dass die Arbeit der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung einen Unterschied machen. Brad Zerivitz

Sie repräsentiert in dem Ehrenamt nun 16 Millionen Freiwillige sowie 2500 Angestellte weltweit. Viele von ihnen leisten in schwierigen Situationen unglaubliche Arbeit.

Forbes empfindet das IFRC-Präsidium nicht nur als Ehre, sondern auch als grosse Verantwortung. “Allein in den ersten zwei Wochen dieses Jahres haben wir sieben Personen verloren”, erzählt Forbes.

Morgens nach dem Aufwachen zu erfahren, dass Mitarbeiter:innen bei der Arbeit getötet worden sind, gehöre zu den “ernüchterndsten Dingen” seit sie Präsidentin sei.

Die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung

Die IFRC und ihre 191 nationalen Gesellschaften bilden zusammen mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. Diese hilft Menschen, die von Katastrophen, bewaffneten Konflikten, sozialen und gesundheitlichen Problemen betroffen sind.

Alle Mitglieder der Bewegung teilen Grundprinzipien wie Neutralität und Unparteilichkeit, sind aber nicht hierarchisch miteinander verbunden. In bewaffneten Konflikten oder bei Unruhen übernimmt das IKRK die Führung.

Genf: Heimatstadt der Menschenwürde

Forbes Wahl zur IFRC-Präsidentin im Dezember in Genf sind einige Turbulenzen vorausgegangen. Ihr Vorgänger Francisco Rocco musste wegen eines politischen Interessenkonflikts in Italien zurücktreten. Der Wahlprozess für die Nachfolge erreichte dann fast den Stillstand, weil einem Konkurrenten von Forbes sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde. Am Ende war Forbes erfolgreich.

Seit fast zwei Jahrzehnten besucht Forbes regelmässig den IFRC-Hauptsitz in Genf. Die Rhonestadt sei zentral für die internationale humanitäre Arbeit – und habe einen speziellen Platz in ihrem Herzen. Das Erbe Henri Dunants mache Genf zur Heimatstadt der Humanität.

Das Gebäude des IFRC.
Der Sitz der IFRC in Genf. Keystone / Martial Trezzini

Ihr Engagement für die Rotkreuzbewegung unterstreicht die neue IFRC-Präsidentin auch mit ihrer Kleidung. Beim Videogespräch mit Swissinfo trug sie die Farben der Bewegung: weisse Bluse, rote Jacke – dazu einen IFRC-Anstecker und einen mit roten Kreuzen bedruckten Schal.

IFRC-Netzwerk weltweit vor Ort

Forbes ist überzeugt von der Bedeutung der ehrenamtlichen und lokalen Arbeit direkt vor Ort. Selbst begann sie als Ehrenamtliche beim Roten Kreuz in ihrer Heimatstadt Phoenix. Sie half in Arizona unter anderem dabei, Hausbrände in indigenen Gemeinden zu verhüten.

Eine Stärkung der Arbeit vor Ort, ist Teil der Strategie 2030 der IFRC. Forbes hält die Anpassung an lokale Gegebenheiten für wichtig. “Wenn man Teil einer Gemeinde ist, versteht man deren Bedürfnisse besser als irgendjemand sonst”, führt sie aus.

In den lokalen Sektionen stammen die Freiwilligen aus den örtlichen Gemeinden. “Das schafft Vertrauen.” Und Vertrauen hält sie für absolut nötig, um angemessen reagieren zu können. “Inzwischen realisieren selbst die Geldgebenden, dass die lokale Arbeit die Lösung ist.”

Vertrauen rettet Leben

Dieses Vertrauen bezeichnet Forbes als lebenswichtig: “Man kann nicht von Genf aus jemandem sagen, der es dann weitersagt, dass in Bangladesch ein Taifun aufzieht.” Dort funktioniert die Frühwarnung vor Unwettern dank dem nationalen Roten Halbmond.

Deren Mitglieder wüssten, auf welche Weise sie wen warnen müssen, führt Forbes aus. Bei den letzten Taifunen hätten die Leute ihren Warnungen geglaubt. Sie konnten sich so in Sicherheit bringen.

Für Forbes war das anschaulichste Beispiel dafür, wie Vertrauen und lokale Teams zusammenwirken, die Arbeit des Roten Kreuzes während der Ebola-Epidemie in Westafrika.

In den Dörfern war es Brauch, dass die Angehörigen die Verstorbenen wuschen. Dabei steckten sie sich oft an, weil die Krankheit über Körperflüssigkeiten übertragen wird.

Zur Eindämmung der Epidemie konnten Rotkreuz-Teams von ehrenamtlichen Helfer:innen die Leute überzeugen, dass diese geschulten und in Schutzanzügen gekleideten Teams die Verstorbenen wuschen und für würdevolle Bestattungen sorgten.

“Das wäre nicht möglich gewesen, wenn die Teams nicht selber Teil der lokalen Bevölkerung gewesen wären und diese ihnen nicht vertraut hätte”, erklärt die IFRC-Präsidentin.

Geldgeber:innen wollen bessere Welt

Vertrauen zu erwerben ist für die IFRC auch in finanzieller Hinsicht ein Anliegen, das Forbes vertritt. Der Wirtschaftsprüferin und früheren Finanzchefin liegt die finanzielle Tragfähigkeit der Föderation am Herzen.

2022 umfasste das Budget der IFRC knapp 1,4 Milliarden Franken. 627 Millionen Franken davon waren für Notfälle. Die obligatorischen Beiträge der nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften betrugen nur 113 Mio. Franken.

Das meiste Geld erhält die IFRC durch freiwillige Beiträge. Zu den zehn Top-Geberländern zählten die EU-Kommission (333 Mio. Franken), die USA (165,6 Mio.) und Grossbritannien (100,4 Mio.). Die Schweiz lag mit 37,5 Mio. Franken auf Platz 8.

Nur 11,4% der bereitgestellten Gelder waren flexible, nicht für ein bestimmtes Projekt bestimmte Beiträge. Am meisten Geld setzte die IFRC mit knapp 269 Mio. Franken für die Hilfe bei Katastrophen und Krisen ein, gefolgt von 150 Mio. Franken für die Gesundheitsversorgung.

Forbes war in den vergangenen 17 Jahren Mitglied des IFRC-Vorstandes und zuletzt Vorsitzende der Audit- und Risikokommission der Föderation. In dieser Funktion hat sie die Transparenz erhöht, stärkere Finanzkontrollen eingeführt und Schutzmassnahmen, darunter vor sexuellem Missbrauch, festgelegt.

Der Grossteil der Spendengelder sind freiwillige Beiträge. Ein Problem für die IFRC ist aber, dass Geldgeber:innen ihre finanzielle Unterstützung oft ausschliesslich für ein bestimmtes Projekt sprechen wollen.

“Wir müssen den Geldgebenden aufzeigen, dass wir in einer bestimmten Gemeinde vertreten sind und sie uns vertrauen können, dass wir daher wissen, auf welche Weise das Geld am besten zur Deckung der Bedürfnisse eingesetzt werden kann.”

Um humanitäre Hilfe zu leisten, sei auch die entsprechende Infrastruktur wie Computer oder das Ersetzen zerstörter Ambulanzen nötig, betont Forbes.

Kate Forbes spricht 2006 in ein Mikrofon.
Kate Forbes während einer Rede im Mai 2006 in Washington. Damals war sie im Vorstand des US-amerikanischen Roten Kreuzes für die Freiwilligen verantwortlich. © The American National Red Cross 2006

Wenn man effizient arbeite und die Bedürfnisse der betroffenen Menschen decke, bekomme man die finanzielle Unterstützung, die es braucht. Davon ist sie überzeugt. So könne man aufzeigen, dass die Welt mit der geleisteten Hilfstätigkeit besser dran sei.

Dies sei es, was die Geldgebenden wollten. “Ich denke, wir können der ganzen Welt zeigen, was wir bewegen, weil wir lokal arbeiten.” Das zu vermitteln, ist nun ihre Aufgabe.

Editiert von Imogen Foulkes und Benjamin von Wyl

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