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Professor Hampe und das Glück

Michael Hampe: Glück ist nicht messbar. Keystone

Nach dem Wechsel ins neue Jahrzehnt haben sich die Menschen in vielen Ländern mit Glückswünschen eingedeckt. Doch was ist das Glück? Einer der es wissen muss, ist der Glücksforscher und Buchautor Michael Hampe von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.

swissinfo.ch: Derzeit wünschen sich Millionen Menschen Glück fürs neue Jahr oder gleich fürs ganze Jahrzehnt. Glück ist aber für jeden Menschen individuell. Was macht Sie persönlich glücklich?

Michael Hampe: Ich kann das nur formal beantworten, sonst würde ich ja Klatsch verbreiten. Eine intensive Erfahrung, bei der ich mich nicht bedroht fühle.

Das kann alles Mögliche sein. Sport oder Musik führt für mich zu glücklichen Momenten.

swissinfo.ch: Ist Glücklichsein also eher an Momente gekoppelt? Kann man über längere Zeit überhaupt glücklich sein?

M.H.: Doch. Ich denke, dass es einerseits glückliche Momente gibt und andererseits so etwas wie Lebensglück. Das hat damit zu tun, ob diese glücklichen Momente in einem grösseren Sinnzusammenhang eine wichtige Rolle spielen.

Ich halte das Lebensglück für sehr viel wichtiger als das eher kurzfristige Wohlfühl-Glück, wie der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid das genannt hat. Es ist jedoch zu kompliziert, um in einem Satz die Frage zu beantworten, was jetzt mein Lebensglück ausmacht.

Man kann sagen, es ist ein Sinnzusammenhang, dass man das Gefühl hat, das eigene Leben ergibt einen Zusammenhang, in dem jede einzelne Erfahrung eine Rolle spielt.

swissinfo.ch: Ist dieses Lebensglück irgendwie messbar?

M.H.: Nein, das glaube ich nicht. Es ist erzählbar. Man kann sich daran erinnern, wie das Leben abgelaufen ist und es dann beurteilen als gelungen oder nicht gelungen. Aber es gibt keinen Massstab dafür.

swissinfo.ch: Warum streben wir alle in unserem Leben nach Glück?

M.H.: Es gab vermutlich Zeiten, wo das gar nicht der Fall war, vielleicht vor mehr als 2500 Jahren. Ich weiss nicht, ob die homerischen Helden auch nach Glück strebten oder nicht eher nach Ehre, beispielsweise.

Und ich bin mir auch nicht so sicher, ob in anderen Kulturen tatsächlich überall nach Glück gestrebt wird. Wir gehen davon aus, dass das alle Menschen tun, weil das Glück in der abendländischen Kultur in Europa und auch in der vom Buddhismus beeinflussten Kultur eine grosse Rolle spielt. Aber ich denke, das ist kulturell und historisch bedingt.

swissinfo.ch: Braucht es unglückliche Erfahrungen, um das Glück überhaupt finden und schätzen zu können?

M.H.: Wenn Glück eine Erfahrung ist, sei es momenthaft oder eine Erfahrung von Lebens- und Sinnzusammenhängen, dann braucht es sicher so etwas wie Kontraste, um tatsächlich das Glück erkennen zu können.

Man muss sich selbst kennenlernen, und das tut man wohl nur, wenn man auch merkt, dass etwas schiefgeht und dass man etwas macht, das nicht zu einem passt, das nichts mit einem zu tun hat.

Wenn Glück von der Selbsterfahrung abhängt – und Selbsterfahrung bedeutet, dass man herausfindet, was für einen richtig oder falsch ist –, dann muss man wohl auch einmal in Situationen geraten, in denen man unglücklich ist, um nach dem Glück streben zu können.

Jemand kann ja zurückblicken auf sein Leben und sagen: Das tat mir sehr weh, aber es ist gut, dass ich diese Erfahrung gemacht habe, weil ich dadurch erst mich selbst kennengelernt habe.

swissinfo.ch: Dass man also das Glück aus dem Unglück heraus entdeckt?

M.H.: Genau, dass man das Gefühl hat, man reift oder man hat einen Erkenntniszuwachs dadurch. Das rechtfertigt natürlich nicht, dass man andere Leute in schwierige Situationen bringt.

Die Vorstellung, dass alles Leid auf der Welt damit gerechtfertigt ist, dass es Erkenntnis für andere Menschen bringt, das wäre ein Fehlschluss.

swissinfo.ch: Wie kann man das Glück bei sich selber erkennen?

M.H.: Man hat das Gefühl, man macht das, was zu einem passt, was zu einem gehört und man verwirklicht die Person, die man eigentlich ist. Das hat mit dem Evidenz-Gefühl zu tun, das eintritt, wenn man sich und anderen gegenüber ehrlich ist.

swissinfo.ch: In der kapitalistischen Welt kämpfen viele täglich darum, mehr und mehr Geld zu verdienen. Macht Geld glücklich?

M.H.: Ich denke, dass Geld eine Möglichkeit darstellt, Dinge zu realisieren und das, was einen dann eventuell glücklich macht, sind die Realisationen bestimmter Handlungen, die natürlich auch finanzieller Ressourcen bedürfen.

Aber wenn man das Geld als solches anstrebt, dann ist das eher ein Suchtfaktor wie beliebige andere auch. Es macht als solches nicht glücklich.

swissinfo.ch: In ihrem Buch zweifeln Sie an der technischen Machbarkeit des Glücks. Was meinen Sie damit?

M.H.: Technisch machbar sind nur Dinge, die wir uns gegenüberstellen können. Wenn man den Spruch nimmt, dass jeder seines Glückes Schmied ist, dann ist das Bild dabei ein Schmied, der ein Hufeisen vor sich hat, das ins Feuer hält und mit dem Hammer bearbeitet.

In dieser Situation stehen wir gegenüber unserem Leben nie, sondern wir werden durch das, was wir tun und erleiden, selbst hervorgebracht und dann reagieren wir wieder auf das, was bisher mit uns geschehen ist.

Zu sagen, ich stelle die Erfahrungen her, die mein Leben ausmachen, ist meiner Ansicht nach ein ganz absurder Gedanke.

swissinfo.ch: Ist das Glück anders machbar?

M.H.: Das kommt darauf an, wie streng man das Wort ‘machbar’ deutet. Wenn man sagt, ich muss mich bemühen, glücklich zu werden, dann ist es richtig, dass das Glück machbar ist.

Aber weil wir ja nicht allmächtige Wesen sind, passiert uns im Leben immer wieder etwas, was wir nicht geplant haben, auf das wir dann zum selben Zeitpunkt reagieren müssen. Das verändert uns und ist ein anderes Verhalten als das Herstellen eines Gegenstandes.

Das nennt man umgangssprachlich sehr gut ‘sein Leben zu führen’. Ein Leben führen und es so zu führen versuchen, dass es ein glückliches wird, bedeutet etwas anderes, als ein Flugzeug zu planen, das Material heranzuschaffen und dann diesen Plan zu realisieren.

Christian Raaflaub, swissinfo.ch

Michael Hampe forscht nicht experimentell, sondern historisch: er untersucht die unterschiedlichen Glücksvorstellungen, die in der Geschichte der Philosophie existiert haben.

Dazu gehört auch die Analyse von Ratgeber-Literatur, sowohl antike, philosophische, wie auch Handbücher für das Glück.

So versucht er mit seinem Team, herauszufinden, in welchen sprachlichen und kulturellen Zusammenhängen Glücksvorstellungen realisiert wurden.

Es gebe aber auch viele Informationen über Glücksvorstellungen in Romanen, besonders in Bildungsromanen, wo vorgeführt werde, wie ein Leben gelinge oder misslinge, erklärt er.

Der 1961 in Hannover geborene Michael Hampe hat bereits mehrere Bücher publiziert.

Das neuste heisst “Das vollkommene Leben. Vier Meditationen über das Glück” und ist im Sommer 2009 im deutschen Hanser Verlag erschienen.

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