So setzen US-Zölle den Pharmastandort Schweiz unter Druck

Die drohenden US-Zölle auf Arzneimittel könnten sowohl Patient:innen als auch die Branche treffen. Die Abwanderung von Investitionen in die USA stellt den Pharma-Standort Schweiz auf die Probe.
Die Schweizer Pharmariesen Roche und Novartis haben Investitionen in Milliardenhöhe in den USA angekündigt. Die von US-Präsident Donald Trump angedrohten Zölle erwähnten sie dabei nicht, sondern betonten ihr langjähriges Engagement in den USA.
Doch das Thema Zölle steht unausgesprochen im Raum. Expert:innen sehenExterner Link die Investitionen als Versuch, Trumps Pläne für Importsteuern auf Arzneimittel zu entschärfen.

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Am 1. April hat die US-Regierung damit begonnen, Importe von Pharmazeutika und Halbleitern auf ihre Auswirkungen auf die «nationale Sicherheit» zu untersuchen. Laut Wall Street JournalExterner Link könnte diese Untersuchung zu Zöllen von bis zu 25 Prozent auf Medikamente, deren Inhaltsstoffe und alle Derivate führen.
Diese könnten schon Mitte Mai in Kraft treten. Und das, obwohl die Weltwirtschaftsorganisation, der die USA angehören und aus der Trump mit dem Austritt gedroht hat, Medikamente von weltweiten Zöllen ausgenommen hat.
Arzneimittel gehören zu den wenigen Produkten, die von den am 2. April angekündigten US-Zöllen ausgenommen sind, die derzeit für 90 Tage ausgesetzt sind – für alle 57 betroffenen Länder ausser China.
Die Verhängung von Zöllen auf Medikamente könnte für die Schweizer Pharmaindustrie einen schweren Schlag bedeuten. Die USA machen einen erheblichen Teil des weltweiten Umsatzes der beiden Pharmariesen aus – etwas mehr als 50 Prozent bei Roche und rund 40 Prozent bei Novartis.

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Pharmazeutische Erzeugnisse machen 40 Prozent der Gesamtexporte der Schweiz aus und sind damit die wichtigste Exportbranche des Landes. Mehr als die Hälfte dieser Exporte, nämlich 60 Prozent, gehen in die USA.
Im Jahr 2024 beliefen sich die PharmaexporteExterner Link in die USA auf rund 35 Milliarden US-Dollar. Sollte der mögliche Maximalzoll von 25 Prozent eingeführt werden, belaufen sich die Kosten für die Schweizer Pharmaunternehmen nach einer groben Schätzung auf rund 8,75 Milliarden US-Dollar.
Reaktion auf die die angedrohten Zölle
Angesichts dieser hohen Kosten suchen die Pharmaunternehmen nach Möglichkeiten, die Zölle zu umgehen. Die naheliegendste Lösung ist, die Produktion in den USA zu erhöhen, was einige Unternehmen wie Roche mit bestehenden Anlagen tun können.
Roche-CEO Thomas Schinecker erklärte den Medien bei der Bekanntgabe der Ergebnisse für das erste Quartal am 24. April, dass vier Medikamente aus dem Portfolio des Unternehmens – deren Namen Roche nicht nennen wollte – 92 Prozent der Zollbelastung des Unternehmens ausmachen.
Drei dieser Medikamente werden bereits in den USA produziert, für das vierte, das noch nie in den USA hergestellt wurde, hat der Technologietransfer in die USA begonnen.
Roche nutzt nur 50 Prozent seiner Kapazitäten für die Herstellung von Wirkstoffen in den USA, was „uns viel Spielraum für eine Ausweitung der Produktion in den USA gibt“, so Schinecker.
Für Unternehmen, deren Produktion stärker dezentralisiert und globalisiert ist als die von Roche, dürfte die Umgehung der Zölle teurer und komplizierter werden.
„Kurzfristig ist eine Verlagerung der Produktion praktisch unmöglich – Qualitätssicherung, Bewilligungen und Bau einer Anlage dauern mindestens fünf bis zehn Jahre“, sagte René Buholzer, CEO von Interpharma, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz.
In einer E-Mail an SWI Swissinfo.ch reagierte Novartis nicht auf die Frage nach Sofortmassnahmen, um die Auswirkungen der Zölle abzufedern. Stattdessen erklärte ein Unternehmenssprecher per E-Mail, dass „die geplanten Investitionen ein klarer Beweis für unser anhaltendes Engagement in den USA sind“.
Die jüngsten Investitionsankündigungen von Roche, Novartis und anderen grossen PharmaunternehmenExterner Link zeigen, dass die Unternehmen die Standorte für die Produktion zukünftiger Medikamente unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Faktoren, einschliesslich geopolitischer und nationaler Sicherheitsbedenken, überdenken.
Mit der Anfang April angekündigten Investition von 23 Milliarden US-Dollar in den USA wird Novartis zwei Innovationszentren und vier Produktionsstätten errichten und 1000 Arbeitsplätze schaffen, um sicherzustellen, dass «alle wichtigen Novartis-Medikamente für US-Patienten in den USA hergestellt werden».
Roche, das bereits 25’000 Mitarbeitende an 24 Standorten in den USA beschäftigt, hat diese Woche eine Investition von 50 Milliarden Dollar in den USA angekündigt. Der Pharmariese nannte keinen Zeitplan, erklärte aber, dass er nach dem Aufbau der neuen Kapazitäten «mehr Medikamente aus den USA exportieren als importieren» werde.
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Auf der anderen Seite verstärken die Ankündigungen weiterer Investitionen ausserhalb der Schweiz die Sorge um die Attraktivität des Landes für Pharmaunternehmen. Die Schweiz spielt in der Forschung und Produktion von Arzneimitteln eine herausragende Rolle und übertrifft mit ihrem Beitrag zum BIP sogar den Bankensektor. Rund 50’000 Personen arbeiten in der Pharmaindustrie, was 5,4 Prozent der gesamten Schweizer Erwerbsbevölkerung im Jahr 2022 entspricht.
Mit etwas mehr als neun Millionen Einwohner:innen ist die Schweiz jedoch ein kleiner Markt, was in einer Zeit, in der Unternehmen ihre Produktionsstätten zunehmend in die Nähe ihrer Kunden verlagern, ein Nachteil ist.
«In den letzten Jahren war es unsere Strategie, in allen wichtigen Märkten eine starke Produktionspräsenz aufzubauen», sagt Schinecker. «In vielen dieser Märkte, darunter China, ist eine lokale Präsenz inklusive Produktion sogar Voraussetzung für den Marktzugang».
Sowohl Roche als auch Novartis haben stark in Forschung und Entwicklung, Produktion und Partnerschaften in China investiert. Roche hat in den letzten zwei Jahren zwei LizenzvereinbarungenExterner Link im Wert von rund 1 Milliarde US-Dollar mit chinesischen Biotechnologieunternehmen unterzeichnet.

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Auch in der Schweiz haben die Unternehmen kürzlich Investitionen getätigt, die jedoch bei weitem nicht an die Gesamtinvestitionen von 73 Milliarden US-Dollar in den USA heranreichen – eine der grössten Pharma-Investitionen in einem einzelnen Land in den letzten zehn Jahren.
«Alle zehn Jahre stehen grosse Reinvestitionen an – die eigentliche Frage ist: Wohin fliessen sie? Und die Antwort lautet zunehmend: nicht mehr in die Schweiz», kommentiert Buholzer die Investitionspläne der Unternehmen.
Attraktiv bleiben
Angesichts der drohenden Zölle verstärken die Unternehmen ihre Forderungen an die europäischen Regierungen, darunter auch die Schweiz, die Anreize für Unternehmen zu verbessern, damit diese an ihren Standorten festhalten.
Im April schrieben die CEOs von Novartis und dem französischen Unternehmen Sanofi einen Brief an die Financial TimesExterner Link, in dem sie Brüssel aufforderten, «die Dinge richtig zu machen», um neue Investitionen in die Pharmaindustrie anzuziehen. «Vor dem Hintergrund der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit der europäischen biopharmazeutischen Industrie verringert die Unsicherheit über die Zölle die Anreize für Investitionen in der EU weiter», schrieben sie.
Pharmaunternehmen argumentieren seit Jahren, dass der zunehmende Druck zur Senkung der Arzneimittelpreise, Verzögerungen bei der Zulassung von Arzneimitteln und strengere Konformitätsvorschriften die Wettbewerbsfähigkeit der EU beeinträchtigen.
Zwischen 2010 und 2022 stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Pharmasektor in Europa um durchschnittlich 4,4 Prozent pro Jahr, von 27,8 Milliarden Euro (26,1 Milliarden Franken) auf 46,2 Milliarden Euro.
Im gleichen Zeitraum wuchsen die F&E-Ausgaben im Pharmasektor in den USA um durchschnittlich 5,5 Prozent pro Jahr, während China – allerdings ausgehend von einem deutlich niedrigeren Niveau – ein Wachstum von 20,7 Prozent verzeichnete.
Schinecker teilt die Ansicht, dass es in Europa «zu viel Bürokratie» gebe, die das Wirtschaftswachstum hemme. Es brauche Investitionen in die «Schlüsselindustrien der Zukunft», zu denen auch die Pharmaindustrie gehöre, was die USA und China erkannt hätten.
Zölle hält der Interpharma-Chef zwar für schlecht für die Branche, sieht darin aber auch eine Chance, für bessere Bedingungen in der Schweiz zu sorgen. «Viele Länder ergreifen derzeit gezielte Massnahmen, um ihre Attraktivität als Standort für Life Sciences zu steigern», sagt Buholzer und verweist auf GesprächeExterner Link zwischen europäischen Pharma- und Biotech-Lobbygruppen und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang April.
Die Schweiz müsse angesichts der aktuellen Umstände «eine klare Strategie» für die Life Sciences entwickeln. «Trumps Zölle schaden sowohl den Patienten als auch der Industrie – und beschleunigen gleichzeitig die Verlagerung von Investitionen aus Europa in die USA», sagt er.
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Editiert von Veronica DeVore/ac; Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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