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Das Kandidatinnen-Karussell dreht bereits

Zwei Kantonalpolitikerinnen sind die Favoritinnen für die Nachfolge von Ruth Dreifuss: die Genferin Micheline Calmy-Rey und die Tessinerin Patrizia Pesenti.

Weniger Chancen dürfte Nationalrats-Präsidentin Liliane Maury Pasquier haben.

Nach dem Rücktritt von Ruth Dreifuss am Montag beginnt sich das Karussell um die Nachfolge der Innenministerin zu drehen. Zauberformel und Quoten geben vor, dass höchstwahrscheinlich eine Frau aus der lateinischen Schweiz gewählt wird.

Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei (SP) wird am 15./16. November entscheiden, wen sie der Bundesversammlung als Nachfolgerin oder Nachfolger vorschlagen will. Die Wahl soll am 4. Dezember stattfinden.

Als Wunschkandidatin der SP wird die Genfer Finanzdirektorin Micheline Calmy-Rey gehandelt. Sie gilt als starke Frau mit Format, sei eine glänzende Polit-Strategin, und sie ist in Genf beliebt.

Positioniert

Schon im Frühling wurde die Genferin, bislang fast unbekannt in der Deutschschweiz, für eine mögliche Wahl positioniert: Im März ersetzte sie die frühere SP-Ständerätin Yvette Jaggi im Bankrat der Nationalbank.

Calmy-Rey schaffte es auch, die Genfer SP nach jahrelangen Streitereien wieder auf Kurs zu bringen. Die bekennende Arbeitssüchtige erzielte bei der Wiederwahl in den Regierungsrat ein Spitzenergebnis.

Tessiner Charme

Höher im Kurs bei den Bürgerlichen steht die Tessiner Sozialdirektorin Patrizia Pesenti. Sie gilt als Wunschkandidatin der abtretenden Ruth Dreifuss. Ihr Charme ist schon jetzt in Bern legendär.

Die Sozialpolitikerin versteht es, mit amerikanischen Methoden zu kommunizieren: Nach ihrer Wahl in den Regierungsrat im Jahr 1999 schaffte sie es, sich innert kürzester Zeit in der Öffentlichkeit zu profilieren.

Nochmals Genf

Auch die derzeitige Nationalrats-Präsidentin, die Genferin Liliane Maury Pasquier, will im Rennen um die Nachfolge mitmischen. Sie ist durch ihre Arbeit im Nationalrat bestens mit den Mechanismen im Bundeshaus vertraut.

Doch die fehlende Regierungserfahrung könnte ihr einen Strich durch ihre Rechnung machen. Kommt dazu, dass mit Calmy-Rey eine starke Kandidatin ebenfalls aus dem Kanton Genf gegen sie antritt.

Ferner laufen

Weitere Namen, die unter der Bundeshauskuppel gehandelt werden, sind die Regierungsrätinnen Ruth Lüthi (Freiburg) und Monika Dusong (Neuenburg).

Sogar ein Mann wagte sich vor: Der Neuenburger Ständerat Jean Studer. Er hätte wohl nur eine Chance, wenn Kaspar Villiger gleichzeitig zurückgetreten wäre und damit möglicherweise eine Frau den FDP-Minister ersetzt hätte.

Doch Villiger erklärte am Montag, dass er bis Ende der Legislaturperiode (Herbst 2003) im Amt bleiben will.

Wahl ohne das Volk

Die Nachfolge von Ruth Dreifuss wird während der Wintersession geregelt. Voraussichtliches Datum: 4. Dezember 2002.

Bei der Wahl in den Bundesrat kann das Volk nicht mitreden. Nur die Mitglieder der Bundesversammlung (National- und Ständerat) dürfen ihre Stimmen abgeben – eine schweizerische Besonderheit. Wählbar allerdings ist jede Schweizer Bürgerin, jeder Schweizer Bürger.

Die Zauberformel – ein freiwilliger Parteien-Proporz – besagt, dass der nächste Bundesrat sozialdemokratisch sein wird. Nach dem ungeschriebenen Gesetz aus den 50er-Jahren stellt sich der Bundesrat zusammen aus zwei Freisinnigen, zwei Sozialdemokraten, zwei Christdemokraten und einem Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Angriff auf Zauberformel

Die Zauberformel sorgt regelmässig für Aufruhr. Denn die SVP wird erneut versuchen, diese zu sprengen. Sie beansprucht gemäss ihrem Wähler-Anteil einen zweiten Sitz. In Umfragen ein Jahr vor den Wahlen liegt sie derzeit – vor den Freisinnigen und weit vor der CVP – gleichauf mit der SP an der Spitze der Wählergunst.

Doch die beiden andern bürgerlichen Parteien haben am Montag bekräftigt, an der Zauberformel festzuhalten. Sowohl FDP wie CVP sähen keinen Handlungsbedarf, erklärten sie.

Dies bedeutet, dass die SP ihren zweiten Sitz im Bundesrat behält. Nicht sicher ist, ob die Nachfolge aus der Romandie kommen wird. Denn mit Pascal Couchepin und Joseph Deiss ist die Quote eigentlich schon erfüllt.

Logisch gedacht, müsste die neue Ministerin oder der neue Minister aus der italienischen Schweiz stammen. Diese Minderheit ist seit dem Rücktritt von Flavio Cotti im April 1999 nicht mehr in der Landesregierung vertreten.

Die SP steht nun unter Druck: Innert knapp zwei Monaten muss sie eine Person finden, welche für das Amt in Frage kommt. Die bürgerlichen Parteien haben schon angekündigt, dass sie jemanden wünschen, der «das Kollegialitätsprinzip im Bundesrat beachtet». Kämpfer-Naturen sind nicht gefragt.

swissinfo, Christian Raaflaub

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