
Heute in der Schweiz
Liebe Schweizerinnen und Schweizer im Ausland
Aufgestiegen und wieder abgeworfen: Das US-Zoll-Rodeo geht weiter. Ein Telefonat zwischen der Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und US-Präsident Donald Trump über Handel und Zölle sorgt sowohl in der Schweiz als auch international für Schlagzeilen.
Ausserdem im heutigen Briefing: Die Schweiz ist zurück – zumindest in wichtigen Forschungsprogrammen der Europäischen Union.
Doch ausländische Journalist:innen halten sich aus der Schweiz fern, weil sie befürchten, aufgrund des Bankgeheimnisses befragt oder gar festgenommen zu werden.
Sonnige Grüsse aus Bern

Hat ein 25-minütiges Telefongespräch zwischen der Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und US-Präsident Donald Trump gestern dessen dramatische Kehrtwende bei den US-Zöllen beeinflusst? Das ist die Frage, die sowohl die Schweizer als auch die internationalen Medien beschäftigt.
Das wissen wir: Das Telefonat fand gestern um genau 9 Uhr morgens Washingtoner Zeit statt, 15 Uhr in der Schweiz. Nur wenige Stunden später kündigte Trump eine Kehrtwende bei den meisten der neuen Zölle an – und verschonte alle ausser China.
Nach einem Sturm der Kritik stand Trump Berichten zufolge von mehreren Seiten unter erheblichem Druck. In einem Gespräch mit dem Westschweizer Fernsehen RTS nannte der Historiker Jérôme Gygax drei Faktoren, die Trump wahrscheinlich zu seinem Kurswechsel veranlasst haben: wirtschaftlicher Schaden in den USA, Uneinigkeit innerhalb der republikanischen Partei und drohende Gegenmassnahmen aus China und der EU.
Doch inmitten des Wirbels der internationalen Diplomatie wurde in der Washington Post nur ein ausländisches Staatsoberhaupt genannt: Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter. «Das ist ziemlich bemerkenswert», sagte Gygax.
Nach Angaben des Schweizer Finanzministeriums hob Keller-Sutter in ihren Gesprächen die Rolle der Schweiz als sechstgrösste ausländische Investorin in den USA hervor, besonders im Bereich Forschung und Entwicklung, was vor allem Pharmariesen wie Roche und Novartis zu verdanken sei. Sie wies auch darauf hin, dass die Schweiz im vergangenen Jahr die Zölle auf US-Industriegüter abgeschafft hat.
Gygax sagte, dass die Befürchtung der Trump-Beamt:innen, dass China, Japan und die EU eine gemeinsame Front bilden könnten, ebenfalls zu dieser Veränderung beigetragen habe. Aber er fügt hinzu: «Trump lässt sich von einer Wirtschaftstheorie leiten, die 40 Jahren Forschung widerspricht.» Und, so warnt Gygax, wird dies wahrscheinlich nicht das letzte Zoll-Rodeo von Trumps Präsidentschaft gewesen sein.

Eine weitere wichtige Kehrtwende machte heute Schlagzeilen: Die Schweiz nimmt offiziell wieder an den EU-Forschungs- und Bildungsprogrammen Horizon Europe und Erasmus teil.
Der Schweizer Bundesrat hat das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen genehmigt. Rückwirkend ab dem 1. Januar 2025 wird die Schweiz wieder an den Bildungs-, Forschungs- und Innovationsprogrammen der EU beteiligt, darunter Horizon Europe, Euratom und Digital Europe, wie Wirtschaftsminister Guy Parmelin heute an einer Pressekonferenz in Bern bekanntgab. Die Schweiz muss 630 Millionen Franken beisteuern, um am Programmjahr 2025 teilnehmen zu können.
Das Abkommen soll im November unterzeichnet werden und kann vorläufig bis Ende 2028 angewendet werden. Bis dahin sollte das Schweizer Stimmvolk über das Abkommenspaket mit der EU entschieden haben.

Ausländische Enthüllungsjournalist:innen meiden die Schweiz aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen aufgrund des strengen Bankgeheimnisses. Das Schreiben über Bankdaten von Whistleblowern bleibt in der Schweiz ein Straftatbestand.
«Journalisten können strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie Daten veröffentlichen, die sie über eine Person erhalten haben, die das Bankgeheimnis verletzt hat», bestätigt das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) gegenüber dem Tages-Anzeiger.
Im Jahr 2022 veröffentlichten über 100 Journalist:innen – darunter Reporter:innen der Süddeutschen Zeitung, des Guardian, von Le Monde und des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) – Artikel aus Untersuchungen über sensible Konten der Credit Suisse. Die verschiedenen Artikel deckten unter anderem Credit Suisse Konten ehemaliger ägyptischer Geheimdienstchefs auf, die der Folter und Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden, schreibt der Tages-Anzeiger.
Eine der Journalistinnen, Cecilia Anesi vom Italian Center for Investigative Reporting, lehnte eine Einladung zu einem Vortrag in Lugano ab, nachdem ihr aufgrund ihrer Berichterstattung «von einem Besuch in der Schweiz abgeraten wurde». Sie ist nicht allein: Antonio Baquero vom OCCRP und der deutsche Journalist Frederik Obermaier sagen ebenfalls, dass sie die Schweiz nun meiden – und sogar Flüge mit Zwischenlandung in Zürich ablehnen.
Im Dezember 2022 ermächtigte die Schweizer Bundesregierung die Bundesanwaltschaft, mögliche Verletzungen des Bankgeheimnisses im Fall der Credit Suisse zu untersuchen. Nach dem Whistleblower, der die Daten weitergegeben hat, wird noch immer gefahndet.
Auf das Datenleck folgte die Frage, ob die Gesetzgebung zum Bankgeheimnis die Pressefreiheit verletzt. Im Februar 2023 sagte Finanzministerin Karin Keller-Sutter: «Der Bundesrat anerkennt die Bedeutung der verfassungsmässig garantierten Medienfreiheit und ist bereit, die geforderte Prüfung vorzunehmen.»

In den letzten zehn Jahren ist das Durchschnittsalter der jugendlichen männlichen Straftäter, die in der Schweiz in Massnahmenzentren eingewiesen werden, von über 21 auf unter 19 Jahre gesunken. Gleichzeitig hat die Gewalt in diesen Zentren zugenommen, was teure Sicherheitsmassnahmen erforderlich machte.
Francesco Castelli, Leiter der Jugendstrafanstalt Arxhof, sagte der Neuen Zürcher Zeitung, dass vor vier Jahren zwei Insassen einen Mitarbeiter brutal angegriffen hätten, was noch vor 15 Jahren «undenkbar» gewesen sei.
Die jugendlichen Straftäter von heute leiden oft an schwereren psychischen Problemen, hätten geringere kognitive Fähigkeiten, schlechte Sprachkenntnisse und Probleme mit Drogenmissbrauch – alles Faktoren, die das Risiko von Gewalt erhöhen.
Nach Ansicht von Philipp Eder, Präsident der Vereinigung der Deutschschweizer Jugendheimleitungen, liegt die Ursache des Problems eher in der Gesellschaft: «Bei uns landen die Jugendlichen, die die Gesellschaft ausschliesst. Wir erleben einen Strukturzerfall.»
Doch Castelli fordert die Gesellschaft auf, das grosse Ganze im Auge zu behalten: «Diese Jungen wachsen zu Männern heran, und diese Männer werden unsere Nachbarn. Wenn wir nicht mit ihnen arbeiten, während sie in Haft sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie erneut straffällig werden, und die Wahrscheinlichkeit, dass es weitere Opfer gibt.»

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards