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E-ID – ein Schritt Richtung E-Voting?

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© Keystone / Christian Beutler

Eine elektronische Identität wäre für viele Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ein Vorteil. Doch im Abstimmungskampf um die E-ID bleibt die Auslandschweizer-Organisation auffallend ruhig. Das hat einen Grund. Eine Analyse.

Elektronisch an den Abstimmungen in der Heimat teilzunehmen, das ist ein alter, tiefer Wunsch vieler Schweizer Bürgerinnen und Bürger im Ausland. Aber E-Voting kennt die Schweiz derzeit nicht.

Es herrscht bei diesem Projekt – vergleichbar einem Fussballmatch – Halbzeitpause. Die erste Spielhälfte nahm schnell Fahrt auf. Zahlreiche Versuche gelangen. Wäre E-Voting eine Mannschaft, es sah für sie zunächst nach leichtem Sieg aus.

Dann aber drehte das Spiel. Sicherheitslücken wurden bekannt, das Vertrauen schwand. Die Gegner punkteten und auf dem Feld wurde klar, dass der Preis für Tore zu hoch würde. Man rettete sich in die Garderobe, geschlagen, aber nicht ganz erledigt.

Wer sich für fähig hält, soll bauen

Dann, für die zweite Spielhälfte ergab sich plötzlich Hoffnung.

Nachdem 2019 der letzte Versuchsbetrieb mit E-Voting eingestellt wurde, galt das Projekt für auf Jahre hinaus blockiert oder gar endgültig beendet. Dann kam vor einem Monat aus dem Off der Pandemie die dicke Überraschung: Der Bundesrat kündigte neue Versuche an, wie wenn zuvor nie was gewesen wäre.

Das neue Projekt ist ambitioniert. Vergleichbares existiert weltweit nicht im Ansatz. Die künftige Aufstellung der Schweiz auf diesem Gebiet sieht so aus: Wer immer sich für fähig hält, soll der Schweiz ein auf jeder Stufe transparentes und zugleich datensicheres E-Voting-System bauen – finanziert vom Bund, überwacht von Kritikern und Expertinnen, begleitet von bezahlten Fehlerjägern.

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Die Schweizerische Post hat diese Herausforderung angenommen. Schafft sie das, wo doch genau dieses Unternehmen zuvor wegen Sicherheitsmängeln in die Kritik geraten war? “Es ist für uns ein logischer Schritt”, sagt Post-Sprecherin Léa Wertheimer, “da wir seit jeher die physischen Abstimmungs- und Wahlunterlagen transportieren.” Die Post sei prädestiniert, in Zukunft das “Briefgeheimnis auch in der digitalen Welt sicherzustellen”. 

Doch der Weg dahin ist weit, und irgendwann – darüber besteht kein Zweifel – wird auch das Volk an den Urnen einen Grundsatzurteil fällen müssen.

E-Voting und E-ID: die Gemeinsamkeiten

Einen Entscheid auf ähnlichem Gebiet werden die Schweizer schon am 7. März fällen. Dann nämlich haben sie darüber zu entscheiden, ob im Land eine elektronische Identität für die Bürger geschaffen werden soll.

Die Fragen, die sich zur E-ID stellen, gleichen jenen zum E-Voting:

  • Beides ist eine Frage des Vertrauens: Ist es möglich, dass eine solche Identität je sicher wird? Dass damit weder auf kleiner, persönlicher noch auf grosser, globaler Ebene Missbrauch, Klau und Manipulation betrieben werden?
  • Beides ist auch eine Frage des Absenders: Ist es vernünftig, wenn so sensible Daten wie Identität und Verhalten in die Hände von privaten Unternehmen kommen? Sowohl bei der E-ID wie beim E-Voting beschränkt sich der Bund auf Kernaufgaben. Handhabung im Alltag und Entwicklung der Infrastruktur gehen aber in die Hände von Unternehmen wie Post, Versicherungen oder Banken – und an jedem dieser Unternehmen hängt eine kaum nachvollziehbare Kette von Zulieferern.
  • Es ist auch beides eine Frage der Dringlichkeit: Muss das jetzt wirklich sein? Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung konnte bisher gut ohne leben und empfand das Fehlen einer E-ID kaum als Mangel. Dies trifft auch auf das E-Voting zu. Mit der Einschränkung, dass unter den 170’000 registrierten Stimmbürgerinnen und -bürgern im Ausland ein deutlicher Bedarf herrscht.

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Die Begriffe, die im Zusammenhang mit der E-ID fallen, sind: E-Commerce, E-Government und E-Collecting – also das Sammeln von Unterschriften für Volksbegehren im Netz.  E-Voting wird weniger genannt, aber auch für dieses Projekt wird der E-ID-Entscheid vom 7. März zum Wegweiser.

Wenn die Schweiz am 7. März über die Einführung einer E-ID abstimmt, dann gibt das eine Richtung vor. Einer der Befürworter, CVP-Nationalrat Martin Candinas, sieht in der E-ID etwa “die Grundlage für viele weitere digitale Angebote, die uns als Land vorwärtsbringen.” Auch einer der Gegner, SP-Ökonom Rudolf Strahm, sagt: “Die Volksabstimmung wird die Weichen für die Zukunft stellen. Aus dem Staatsbürger kann ein Konzernbürger werden.”

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Ein Nein wird E-Voting einen Rückschlag versetzen. Ein Ja werden die Befürworter als Rückenwind empfinden. Deshalb mag erstaunen, dass sich die Auslandschweizer-Organisation ASO, die vorderste Kämpferin für ein E-Voting, im jetzigen Abstimmungskampf bisher zurückhält.

Warum diese Stille? Die Wurzel für die Zurückhaltung liegt offensichtlich in der Sitzung des Auslandschweizer-Parlaments im letzten Sommer. Die Sitzung wurde virtuell abgehalten. Das VideoExterner Link dazu ist verfügbar (Debatte zu E-ID ab 01:40:30).

Resultat bitte “nicht veröffentlichen”

Einstimmig beschloss man im Juli zunächst, dass das Geschäft wichtig genug ist, um eine Parole dafür zu fassen. Dann folgte der Entscheid, es gab eine Ja-Parole, aber eine mit wenig Überzeugung: 35 Ja-Stimmen standen 25 Nein und 16 Enthaltungen gegenüber. ASO-Präsident Remo Gysin bemerkte: “Es ist interessant, dass 41 Personen die Vorlage nicht unterstützen, wenn man Nein und Enthaltungen zusammenzählt.”

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Auslandschweizerrat Tim Guldimann, Ex-Botschafter in Deutschland, votierte darauf: “Ich bin sehr dafür, dass wir dieses Resultat nicht veröffentlichen. Es ist nicht klar.” Worauf ASO-Präsident Gysin antwortete: “Wir werden es nicht an die grosse Glocke hängen. Dieses Geschäft wird bei uns in den Hintergrund gehen.”

Bereits die Debatte, die dem Entscheid vorangegangen war, fiel lauwarm aus. ASO-Vizedirektor Filippo Lombardi sagte,  die E-ID habe “eine relative Relevanz für die Auslandschweizer”. Es sei für sie “kein Kerngeschäft”. Einzig wenn man an eine elektronische Stimmabgabe denke, sehe man, “dass diese Frage der Identifizierung für uns tatsächlich wichtig ist.”

Das klang unentschieden. Es ist damit zu erklären, dass im Juli letzten Jahres die Situation völlig anders war. E-Voting lag in weiter Ferne. Eine rasche Wiederaufnahme eines Versuchsbetriebs war kaum denkbar. Man ging vom Platz und wusste noch gar nicht, dass es eine zweite Halbzeit geben würde.

Für Bankbeziehungen ist E-ID ein Faktor

Demgegenüber standen an besagter Sitzung Votanten der SP und der Grünliberalen, welche pflichtbewusst die Nein-Parolen ihrer Parteien wiedergaben. So sagte Carlo Sommaruga von der SP: “Wir wollen, dass diese Daten beim Staat bleiben. Das war auch das Problem beim E-Voting. Die Post ist ein Privatunternehmen, und die Versuche liefen nicht unter der Kontrolle des Staats. Da haben wir gesehen, das kann ein Problem sein.”

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Nur ASO-Quästor Lucas Metzger plädierte deutlich für ein Ja zur E-ID. Ihm ging es um ein zweites grosses Anliegen der Fünften Schweiz, den Zugang der Auslandschweizerinnen zu Schweizer Bankkonten. “Die Banken haben eine hohe Anforderung, die Kunden zu kennen, um Geldwäscherei und Steuerhinterziehung zu verhindern”, sagte Metzger. Und argumentierte, wenn die E-ID dazu beitrage, winkten am Ende günstigere Konditionen bei der Kontoführung.

Es geht auch ohne

Urs Bruderer ist Sprecher der Bundeskanzlei, die für den Bund das E-ID-Projekt vorantreibt. Er weist darauf hin, dass der Stimmrechtsausweis mit den Prüfcodes für die Verifizierbarkeit aus Sicherheitsgründen “weiterhin auf einem von der IT unabhängigen Weg, nämlich auf Papier per Post”, zugestellt werden müsse. Bruderer sagt: “Die E-ID ist ein Mittel zur Authentifizierung, das eingesetzt werden könnte. Doch ein vollständig papierloses E-Voting kann in absehbarer Zukunft nicht umgesetzt werden.”

Festzustellen bleibt: Die Fünfte Schweiz hätte Grund, sich für ein Ja zur E-ID stark zu machen. Sie ist ein Baustein von zwei Top-Prioritäten der Auslandschweizer-Organisation.

Sicher gilt aber auch: E-Voting geht auch ohne E-ID. Es ging schon bei den bisherigen Versuchen ohne.

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