Gold: Schafft es Dubai, die Schweiz zu überholen?
Gold ist in Dubai allgegenwärtig. Die Emirate zeigen ihren neu gewonnenen Status als wichtiges Goldzentrum demonstrativ – im Gegensatz zur diskreten Schweiz, die bisher zu den wichtigsten Drehscheiben gehört.
Die Schweiz war jahrzehntelang die dominierende Akteurin in der globalen Goldindustrie, sowohl was die Raffineriekapazität als auch den Handel betrifft. Doch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), an der Schnittstelle zwischen dem Westen und einem zunehmend wohlhabenden Osten, bedrohen diese Vormachtstellung.
Die VAE, insbesondere Dubai, sind als internationales Goldzentrum auf dem Vormarsch. Seit 2012 haben sie ihre strategische Lage, ihre moderne Infrastruktur und ihre geschäftsfreundliche Politik genutzt, um globale Akteure anzuziehen. Während die Schweiz ein gut etabliertes Finanzsystem und einen geordneten, regulierten Markt bietet, verfügen die VAE über ein dynamisches und innovatives Umfeld. Die Sanktionen gegen Russland wegen seines Krieges gegen die Ukraine haben zusätzlich dazu beigetragen, dass sich der Goldhandel nach Dubai verlagerte.
Inwieweit sind die VAE eine Bedrohung für die Schweiz? «Das hängt davon ab, wie man den Goldsektor betrachtet und welche Rolle die Länder spielen», sagt die australische Goldexpertin Marcena Hunter. «Die VAE sind ein wichtiger Knotenpunkt für den Goldtransit. Dubai importiert und exportiert schon erhebliche Mengen an Gold, auch in die Schweiz. In gewisser Weise kann man sagen, dass Dubai bereits grösser ist als die Schweiz, vor allem in Bezug auf [Goldimporte aus] handwerklichem und kleingewerblichem Bergbau.»
Die Schweiz bezieht hauptsächlich Gold aus industriellen Minen. Die VAE hingegen kaufen Gold aus handwerklichen Kleinbetrieben in Subsahara-Afrika, Lateinamerika und Südasien. Wertmässig war die Schweiz stets das führende Goldimport- und -exportland der Welt, die VAE haben mittlerweile zu den fünf führenden Ländern aufgeschlossen.
Für alle, die bei Goldtransaktionen Präzision und Zuverlässigkeit suchen, ist die Schweiz nach wie vor die erste Wahl: Schweizer Banken und Raffinerien rühmen sich der Einhaltung strenger Vorschriften und legen zunehmend Wert auf eine ethische Beschaffung. Die Mitglieder der Schweizerischen Vereinigung der Edelmetallhersteller und -händler haben sogar den Bezug von Gold aus Dubai eingestellt. Letztes Jahr beschloss Valcambi, die grösste Raffinerie des Landes, den Austritt aus dem Verband. Beide Seiten beriefen sich auf «unüberbrückbare Differenzen».
Ein aufstrebendes Goldzentrum
Die Financial Action Task Force (FATF), die globale Aufsichtsbehörde für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, hat die VAE im Juni 2022 offiziell als ein Land eingestuft, das verstärkt überwacht werden muss: Ein Hauptgrund für die Entscheidung, das Land auf die graue Liste zu setzen, waren problematische Transaktionen im Goldsektor.
«Dubai ist ein wichtiger Markt und ein internationales Zentrum für das Edelmetallgeschäft», sagt Christoph Wild, ehemaliger CEO der Schweizer Raffinerie Argor-Heraeus und Präsident der ASFCMP. In Zukunft werde Dubai noch wichtiger werden, sagt er mit Verweis auf die strategische Lage, die rasche Entwicklung der Infrastruktur, das unternehmensfreundliche Umfeld sowie das Wachstumspotenzial bei den Finanzdienstleistungen.
«Die VAE machen gute Schritte in Richtung Nachhaltigkeit und Transparenz», sagt er. «Das ist der richtige Weg. Aber die Zeit ist noch nicht reif, um die Augen zu schliessen und alles Material aus Dubai anzunehmen.»
Es wurde festgestellt, dass ein grosser Teil des Goldes, das durch Dubai transportiert wird, aus Afrika und aus kriminellen Konfliktgebieten stammt, sagt Wild. «Wir alle wissen, wenn Gold zusammengeschmolzen wird, geht seine Herkunft verloren. Wenn wir nicht genau wissen, woher das Gold kommt, sollten wir es nicht anfassen. Das soll nicht heissen, alle Akteure in den VAE seien schlecht. Es gibt gute Akteure, schlechte Akteure und glasklare Akteure, wenn es um die Sorgfaltspflicht geht.»
Andere weisen darauf hin, dass die Emirate zwar nach wie vor ein Ziel für den nicht lizenzierten Goldabbau sind, jedoch ihr Regulierungssystem zu stärken versuchen.
Tatsächlich ist Gold das Hauptexportgut der VAE in die Schweiz. Und problematisches Gold – sei es aus afrikanischen Konfliktgebieten oder aus Ländern, die die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mittragen – kann über die VAE leicht in die Schweiz gelangen, sagen Experten.
Wird in der Branche aufgeräumt?
Im November fand in Dubai die 11. jährliche Edelmetallkonferenz statt. Eine Vielzahl an Akteure der Goldbranche reiste dazu an, von Aufsichtsbehörden und Expertinnen über Banker, Händlerinnen und Raffineure bis hin zu sanktionierten Personen wie Alain Goetz. Dieser wurde von der Europäischen Union für den Handel mit Konfliktgold aus der Demokratischen Republik Kongo bestraft.
Die Russen waren so zahlreich vertreten, dass ihnen ein eigener Tisch zustand. Sie diskutierten mit bestehenden und potenziellen Partnern in China über Probleme wie Ausfuhrzölle und Sanktionen. Während die Referenten über Due-Diligence-Prüfungen sprachen, erkundeten andere potenzielle Geschäftsabschlüsse – auch für sudanesisches Gold, das mit Konfliktfinanzierung in Verbindung gebracht wird. Die Veranstaltung stellte Dubai als das Herz eines Goldhandels dar, der sich zunehmend nach Osten verlagert.
Die Freihandelszone Dubai Multi Commodities Centre hat entscheidend zum Aufstieg der VAE auf dem globalen Goldmarkt beigetragen. Sie beherbergt wichtige Raffinerien, darunter Emirates Gold, das von der London Bullion Market Association (LBMA) und den VAE wegen Geldwäschebedenken von der Good-Delivery-Liste der zugelassenen Raffinerien gestrichen wurde – zum Entsetzen deren kürzlich ernannten Schweizer CEOs, Daniele Provenzale. Dieser nahm zwar an der Konferenz teil, lehnte eine Interviewanfrage allerdings ab.
Im Jahr 2021 stellten die VAE einen Good Delivery Standard vor, ein Regelwerk für die Abwicklung und den Handel mit Gold. Es schreibt den Akteuren des Goldsektors jährliche Betriebsprüfungen vor, um die Einhaltung der Gesetze zur Bekämpfung der Geldwäsche und zur verantwortungsvollen Beschaffung sicherzustellen.
«In zwei Jahren wird es hier so sauber sein wie in Singapur», prognostiziert Lars Johansson, unabhängiger Berater beim schweizerischen Beratungsunternehmen Secure Supply Chains, der regelmässig an der Konferenz teilnimmt. «Das ist eine schlechte Nachricht für die Schweiz.»
Abgegrenzte Spielfelder für viele Spieler
Andrew Naylor, Leiter des Bereichs Naher Osten und öffentliche Politik beim World Gold Council, räumt die potenzielle Gefahr für die Dominanz der Schweiz ein, sieht sie aber nicht als Nullsummenspiel, da die beiden Länder unterschiedliche Teile des Marktes bedienen. «Die Bedrohung könnte auf der Raffinerieseite liegen», sagt er.
Seit der Schweizer Mohamed Shakarchi 1992 in Dubai das Unternehmen Emirates Gold eröffnete, hat sich einiges getan. Während die Schweiz über fünf der grössten und wichtigsten Raffinerien der Welt verfügt, haben die VAE zahlenmässig doppelt so viele, wenn auch viel kleinere. Im Jahr 2022 unterzeichneten sie ein Handelsabkommen mit Indien, nach China dem zweitgrössten Goldschmuckkonsumenten der Welt und ein wichtiger Kunde der Schweizer Raffinerien.
Die Schweiz hat aber noch an anderen Fronten einen Wettbewerbsvorteil, sagt Naylor. Sie ist ein wichtiges Depotzentrum, das vermögenden Privatpersonen und Institutionen Tresordienstleistungen anbietet. Hier sind die VAE kein bedeutender Akteur. Beide Länder sind relativ kleine Akteure auf dem ausserbörslichen Markt.
Dubai ist auch im Bereich der Investitionen nicht vertreten. Weltweit werden über 3’000 Tonnen Gold in börsengehandelte Fonds (ETFs) gehalten, d. h. in Anlageprodukten, die einen Index, einen Rohstoff, eine Anleihe oder eine Mischung von Produkten abbilden. Etwa die Hälfte des Gesamtvolumens befindet sich in in den USA domizilierten ETFs. Es folgen London mit 600 Tonnen, Deutschland und die Schweiz mit jeweils etwa 340 Tonnen, während die VAE nicht einmal unter den Top 20 zu finden sind.
Die Bemühungen der Emirate, die Vorschriften zu verschärfen, wurden von der FATF als Fortschritt anerkannt. Viele in der Branche weisen auch darauf hin, dass Gold Gold ist und dass sogenanntes «schlechtes Gold» immer einen Markt finden wird. Doch auch die Schweiz verschärft ihre Vorschriften und setzt auf ihren Ruf, um ihren Vorsprung gegenüber den VAE und anderen Raffineriezentren zu wahren.
«Es gab schon immer diese Debatte: Ist die Sorgfaltspflicht ein Risiko oder ein Vorteil im Hinblick auf künftige Marktanteile?», sagt Louis Marechal, Experte für die Rohstoffindustrie und OECD-Berater, gegenüber SWI swissinfo.ch. «Wir würden immer argumentieren, dass dies zu Ihrem Vorteil ist, weil die Anforderungen der Märkte und der Aufsichtsbehörden steigen. Ich glaube, dass die Schweizer Raffinerien und die LBMA-Raffinerien im Allgemeinen verantwortungsbewusster und rechenschaftspflichtiger sind als viele Raffinerien in anderen Teilen der Welt.»
Editiert von Nerys Avery/vm, Übertragung aus dem Englischen: Claire Micallef/gm
Dieser Artikel wurde in der deutschen Fassung am 27. Februar korrigiert, um klarzustellen, dass Valcambi beschlossen hat, aus dem Schweizerischen Verband der Edelmetallproduzenten und -händler auszutreten und nicht, wie zuvor angegeben, aus dem Verband ausgeschlossen wurde.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch