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Die Gold-Schweiz im Fokus vom Menschenrechtsrat

Illegale Goldmine
Eine illegale Mine im südlichen Bundesstaat Bolivar in Venezuela nahe der Grenze zu Brasilien. Reuters / Jorge Silva

Der illegale Goldbergbau war an der jüngsten Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen in Genf Thema mehrerer Diskussionen. Auch die Schweiz als grösste Goldimporteurin der Welt stehe für damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen in der Verantwortung.

Letzte Woche wurden dem Rat gleich zwei voneinander unabhängige Berichte zu den Auswirkungen der Goldförderung – namentlich im Amazonasbecken – auf etliche Gemeinschaften und die Umwelt vorgelegt.

Der eine Bericht stammt aus der Feder eines Sonderberichterstatters, der die Verwendung von Quecksilber im Kleinbergbau untersuchte, der andere von einer UNO-Untersuchungskommission zu Venezuela.

Beide Berichte weisen auf Menschenrechtsverletzungen wie die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, Quecksilbervergiftungen und Kinderarbeit in den lokalen Gemeinschaften hin, in denen illegal Gold abgebaut wird.

Die Ermittler:innen machen für diese Vergehen auch diejenigen Länder verantwortlich, die das Schwermetall kaufen. Globale Käuferinnen wie die Schweiz – über die etwa zwei Drittel des Welthandels abgewickelt werden – müssten sicherstellen, dass die Menschenrechte in der gesamten Lieferkette eingehalten werden.

Unersättliche Nachfrage und mangelnde Sorgfalt

«Das ist ein ernstes Problem», sagt Marcos Orellana gegenüber swissinfo.ch. Der UNO-Sonderberichterstatter für toxische Substanzen hat Menschenrechtsverletzungen im Kleinbergbau untersucht.

«Ich gehe davon aus, dass in den kommenden Monaten und Jahren Menschenrechtsgremien den Goldsektor und Länder wie die Schweiz, in denen Raffinerien angesiedelt sind, näher unter die Lupe nehmen.»

Die Schweiz ist die grösste Goldimporteurin der Welt. Sie hat im Jahr 2021 für 92,3 Milliarden US-Dollar Gold gekauft. Vier der grössten Raffinerien der Welt befinden sich hier, zwei davon sind in ausländischem Besitz.

Die Nachrichtenagentur Reuters schätzt, dass drei der grössten Raffinerien – Valcambi, Argor-Heraeus und PAMP – im Jahr 2020 rund 1500 Tonnen Gold pro Jahr raffinierten. Sie alle haben ihren Sitz in der Schweiz.

Orellana erläuterte dem Menschenrechtsrat am vergangenen Dienstag die Situation schwangerer Frauen in indigenen Gemeinden, die flussabwärts vom Goldbergbau im bolivianischen Dschungel leben. Sie weisen aufgrund des Verzehrs von kontaminiertem Fisch hohe Quecksilberwerte im Blut auf. Sexueller Missbrauch und Gewalt in den Goldabbaugebieten sind weit verbreitet.

Aufgrund der weltweiten Kontamination der Ozeane wurden laut dem BerichtExterner Link sogar auf Pazifikinseln, die Tausende von Kilometern von Goldminen entfernt liegen, erhöhte Quecksilberwerte bei der Bevölkerung festgestellt.

Nach Angaben der Vereinten Nationen waren 2017 weltweit etwa 10 bis 15 Millionen Menschen direkt im Kleinbergbau zur Gewinnung von Gold beschäftigt, darunter etwa eine Million Kinder und 4,5 Millionen Frauen.

Quecksilber, das zur Trennung des Goldes von anderen Stoffen verwendet wird, ist ein hochgiftiges Schwermetall. Gelangt es in die Nahrungskette, kann es beim Menschen dauerhafte Schäden wie neurologische Störungen oder Fortpflanzungsstörungen verursachen oder gar zum Tod führen.

«Die Verwendung von Quecksilber wird durch die unersättliche Gold-Nachfrage der Finanzmärkte und der Juweliere in den reichsten Ländern angetrieben», sagte Orellana vor dem Menschenrechtsrat.

«Den Raffinerien in den Industrieländern, die das Gold kaufen, mangelt es an angemessenen Mechanismen zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht, um Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Kleinbergbau und Quecksilber zu bekämpfen.»

In dem Bericht wurde neben der Schweiz auch das Vereinigte Königreich namentlich genannt, das im Jahr 2020 die Eidgenossenschaft hinsichtlich Goldimporten in den Schatten stellte.

Nach seinem Exposé sagte Orellana in einem Telefongespräch gegenüber SWI, dass die Schweiz mehr tun müsse: «Die Schweiz verfügt über kein angemessenes Rückverfolgbarkeitssystem, das von den Raffinerien verlangt, zu wissen, woher das Gold kommt und wie es abgebaut wurde», so der Sonderberichterstatter.

«Das Schweizer Rückverfolgbarkeitssystem endet beim Intermediär-Land («intermediary country»). Diese Lücke wird von kriminellen Syndikaten und Drogenkartellen ausgenutzt, die mit Quecksilber und Gold handeln.»

«Während die Goldindustrie profitiert, leiden die Menschenrechte», fügte er hinzu.

swissinfo.ch hat über die Zerstörung von tausend Quadratkilometern Regenwald im Südosten Perus berichtetExterner Link. In Madre de Dios illegal abgebautes Gold wurde an Käufer – angeblich auch in der Schweiz – verkauft, die bereit waren, ein Auge zuzudrücken.

Im Anschluss an die Präsentation von Orellana vor dem Rat nahmen mehr als 40 Länder an einem interaktiven Dialog zu Massnahmen zur Verringerung der Menschenrechtsverletzungen im Kleinbergbau teil. Die Schweizer Mission war nicht mit dabei.

Paola Ceresetti, eine Sprecherin der Mission, reagierte nach der Veröffentlichung des Berichts auf unsere Bitte um Stellungnahme. «In der Schweiz wird der Goldhandel durch eine der strengsten Gesetzgebungen der Welt kontrolliert. Insbesondere das Gesetz zur Regulierung von Edelmetallen und zur Geldwäsche soll sicherstellen, dass das von den Raffinerien gehandelte Gold nicht aus betrügerischen Quellen stammt», schrieb sie in einer E-Mail.

Venezuelas Goldabgrund

Ein weiterer Bericht an den Menschenrechtsrat kommt zum Schluss, dass bewaffnete Gewalt zwischen «Sindicatos» – kriminelle Gruppen, welche die Minen kontrollieren – sowie Ausbeutung von Arbeiter:innen, sexuelle Ausbeutung und grausame Bestrafungen durch eine willkürliche Justiz in Venezuelas Goldabbauregion weit verbreitet sind.

Das als «Arco Minero» bekannte Gebiet wurde eigens für den Abbau von Ressourcen geschaffen, als die Wirtschaft des Landes abrutschte – in der Hoffnung, ausländische Investitionen anzulocken.

«Anwohnende und Bergleute gerieten im Kampf um die Kontrolle über das Gold oft ins Kreuzfeuer der Gewalt», sagte Francisco Cox, Mitglied der Untersuchungsmission, gegenüber Journalist:innen.

Laut Cox sind es sowohl nichtstaatliche Akteure wie die «Sindicatos» als auch Behörden – einschliesslich militärischer und ziviler Führer, die finanzielle Interessen am Bergbau haben –, die für Morde, Erpressung, körperliche Züchtigung und geschlechtsspezifische Gewalt verantwortlich seien.

Obwohl die offiziellen Daten spärlich sind und es an Transparenz mangelt, wird in verschiedenen Berichten geschätzt, dass zwischen 70 und 90% des Goldes aus der Bergbauregion illegal gewonnen wird.

Der Venezuela-Bericht empfiehlt den goldimportierenden Ländern, Massnahmen zu ergreifen, um Gold- und Geldwäsche über das Gold aus den Bergbauregionen Venezuelas zu verhindern.

Offizielle Daten der Schweiz zeigen, dass das Land den direkten Import von Gold aus Venezuela im Jahr 2016 eingestellt hat. Seitdem gibt es jedoch Bedenken, dass das Gold über andere Länder in die Schweiz gelangen könnte.

Die venezolanische Vertretung bei der UNO in Genf reagierte nicht auf eine Anfrage von swissinfo.ch und wollte sich nicht zu den Vorwürfen der geheimen Absprachen und der Verwicklung der Behörden in den Goldhandel äussern.

Transparenz auf dem Prüfstand

Der Druck auf die Goldimporteure wächst, eine saubere Beschaffung zu gewährleisten. Schweizer Raffinerien haben sich kürzlich dazu verpflichtet, aus indigenen Gebieten stammendes Gold aus ihren Lieferketten zu entfernen.

Im Jahr 2020 erklärte das japanische Unternehmen Metalor mit Sitz in Neuenburg, dass es kein Gold mehr aus handwerklichem Bergbau beziehen werde.

Flüssiges Gold
Flüssiges Gold wird in der Schweizer Raffinerie Metalor in Marin bei Neuenburg (Schweiz) zu Körnern gegossen. Reuters / Denis Balibouse

Schweizer Daten zeigen jedoch, dass grosse Mengen an Gold aus nicht-produzierenden Ländern importiert werden – unter anderem aus dem Nahen Osten und Europa. Dies wirft die Frage auf, woher dieses Gold stammt.

Viele drängen auf Antworten

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) erwartet in den kommenden Monaten einen entsprechenden Bundesgerichts-Entscheid.

Die in Bern ansässige Nichtregierungsorganisation hatte 2018 bei der Eidgenössischen Zollverwaltung beantragt, die Akten über die genaue Herkunft des ins Land eingeführten Goldes zu veröffentlichen, da dies im öffentlichen Interesse liege.

Die GfbV untersucht seit langem die illegale Goldproduktion im Amazonasgebiet und deren Verbindungen zu Schweizer Raffinerien.

Editiert von Virginie Mangin

Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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