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Vulkanausbruch: Auswirkungen auf Luftfahrt unbekannt

Wie viele Flüge müssen noch annulliert werden? Keystone

Die Lähmung des europäischen Flugverkehrs über längere Zeit könnte den Konzentrationsprozess bei den Airlines beschleunigen. Die Schweizer Fluggesellschaft Swiss allerdings sollte nicht in Turbulenzen geraten, schätzt Aviatik-Spezialist Pierre Condom.

So lang man nicht weiss, wie lange das durch den Vulkanausbruch in Island hervorgerufene Chaos im europäischen Luftverkehr andauern wird, ist es sehr schwierig, die Konsequenzen für die Airlines abzuschätzen.

Der französische Spezialist Pierre Condom, während 15 Jahren Leiter des Fachblatts Air et Cosmos und ausserdem Chef der europäischen Zeitschrift Interavia, wagt trotzdem einige Hypothesen.

Dazu nimmt er Bezug auf eine andere Begebenheit, die den Flugverkehr massiv betroffen hat: Die Terror-Anschläge in den USA vom 11. September 2001.

“Heute befinden wir uns in der umgekehrten Situation. Damals waren die US- und kanadischen Airlines komplett gelähmt, während die europäischen ihren Betrieb aufrecht erhalten konnten”, erklärt der unabhängige Experte gegenüber swissinfo.ch.

Pierre Condom erinnert daran, dass diese Krise “die Tendenz zur Konsolidierung” im amerikanischen Luftgeschäft verstärkt hatte. Die europäischen Airlines hätten “sich besser gehalten, dank dem Verkehr Richtung Asien und Nahem Osten”. Nicht so jedoch die Swissair: Bereits vorher in Schwierigkeiten, ging sie im Oktober 2001 unter.

Swiss mit starkem Partner

Die Erinnerung daran ist in der Schweiz immer noch wach. Heute fragt man sich, was mit der Nachfolgegesellschaft Swiss geschehen könnte, die allein am Freitag 205 von insgesamt 365 europäischen Flüge von und nach den Flughäfen Zürich, Genf und Basel streichen musste.

Auch wenn er die finanzellen Folgen nicht kleinreden will, beruhigt der Experte in dieser Hinsicht: “Klar ist das Problem ernst, weil die Swiss einen grossen Teil des Umsatzes mit Flügen über den Nordatlantik erwirtschaftet. Aber sie ist ein Unternehmen in einer gesunden finanziellen Situation und hat die Lufthansa im Rücken. Sie ist also keinesfalls bedroht.”

Dieses Szenario allerdings setzt laut Condom “in hinreichender Wahrscheinlichkeit” voraus, dass die Sperrung eines Grossteils des europäischen Luftraums “maximal eine Woche dauert. Die grossen Fluggesellschaften sind in der Lage, dies zu ertragen, wie sie auch einen einwöchigen Streik wegstecken können”, erklärt er.

SAS wie die Swissair?

Kleine Airlines aber könnten in eine heikle finanzielle Situation geraten, so der Spezialist. Er fürchtet etwa für die skandinavische SAS, “die das Problem hat, 75-80% ihres Umsatzes im stark betroffenen Nordatlantik-Verkehr zu erzielen”. Würde die SAS aber in die Knie gezwungen, wäre fast sicher, dass die Regierungen der skandinavischen Länder intervenieren würden, wie dies die Schweizer Landesregierung 2001 bei der Swissair getan habe, fügt Condom an.

“Die Ära Swissair ist vorbei, aber jetzt gibt es die Swiss”, eine Tochtergesellschaft der Lufthansa. Auf die gleiche Art und Weise “könnte man sich vorstellen, dass eine angeschlagene SAS sich bei einer der drei grossen europäischen Airlines unter die Flügel rettet, die sich rund um British Airways, Lufthansa und Air France gebildet haben”.

Sollte die prekäre Situation für die Luftfahrt im europäischen Himmel weiter anhalten, könnten sich die Fluggesellschaften jedoch stark verschulden. Die Banken könnten bei der Kreditvergabe für den Erwerb von Flugzeugen wieder vorsichtiger werden und höhere Zinssätze fordern, betont der Experte.

Verglichen mit der Situation im Jahr 2001 sieht Pierre Condom zwar einige Ähnlichkeiten, aber auch gewichtige Unterschiede: “Ist die Vulkanasche einmal nicht mehr da, werden keine neuen Kosten mehr entstehen. Den 11. September 2001 bezahlen wir jedoch noch heute – mit erhöhten Sicherheitschecks, Verspätungen und längeren Wartezeiten. All das zieht enorme volkswirtschaftliche Kosten nach sich.”

Sonia Fenazzi, swissinfo.ch
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

Das Chaos im Luftverkehr kostet die Fluggesellschaften jeden Tag mindestens 200 Millionen Dollar Umsatz, wie der Branchenverband IATA am Freitag mitteilte.

Dies sei eine vorläufige und konservative Schätzung, hiess es.

Auf die Airlines kämen zusätzliche Kosten etwa für die Betreuung der gestrandeten Passagiere zu.

Die IATA setzte nach eigenen Angaben ein Krisenzentrum in Montreal ein, um den Fluggesellschaften und den Flugsicherungen bei der Koordinierung ihrer Bemühungen zu helfen.

Die Eruption unter dem Eyjafjalla-Gletscher am 21. März hat auch zu Überschwemmungen geführt.

Die Distrikte Fljotshlid und Landeyjar mussten deshalb evakuiert werden.

Das Wasser, wegen der Lava rosafarben, hat diverse Schutzwälle weggespült.

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