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Diskriminierung ist ein teurer Fehler

Ausländische Arbeitskräfte verdienen bis zu 40 Prozent weniger als ihre Schweizer Kollegen. Keystone

Rassendiskrimierung am Arbeitsplatz ist in der Schweiz häufig. Dies zeigt eine neue Studie, die vor dem Tag der Arbeit präsentiert wurde.

Laut der Studie, die von der Fachstelle für Rassismus-Bekämpfung in Auftrag gegeben wurde, kommt Diskrimierung in allen Arbeitsbereichen vor.

Arbeitgeber, Politiker sowie Angestellte sollen Ideen für die Bekämpfung der Diskriminierung am Arbeitsplatz vorlegen, forderte die Fachstelle für Rassismusbekämpfung an einer Fachtagung am Mittwoch.

Die Schweizer Regierung kündigte zudem an, dass 15 Mio. Franken für Projekte bereit gestellt werden sollen, welche das Bewusstsein für Diskriminierung wecken und Möglichkeiten zu deren Eliminierung finden.

An der Tagung nahmen 150 Vertreterinnen und Vertreter aus Industrie, Gewerkschaften, Regierungsämtern sowie Gruppen teil, welche sich für die Rechte der Arbeitenden einsetzen.

Öffentlichkeit soll es akzeptieren

Laut Michele Galizia, der Leiterin der Fachstelle, sollte die Öffentlichkeit in einem ersten Schritt den Umstand akzeptieren, dass es in der Schweiz Diskriminierung gibt.

“Ein Viertel aller Angestellten in der Schweiz kommen aus dem Ausland”, erklärte Galizia gegenüber swissinfo. “Und immer mehr junge Leute sind zwar in der Schweiz geboren, haben aber eine ausländische Staatsbürgerschaft. Diese leiden unter Diskriminierung.”

Wenn man zum Beispiel die Löhne vergleiche, so die Leiterin der Fachstelle, sehe man, dass Menschen aus Mittel- und Osteuropa 20 Prozent weniger verdienen als Schweizerinnen und Schweizer, Menschen aus Afrika verdienen 42 Prozent weniger. Zumindest einige dieser Unterschiede würden auf Diskriminierung zurück gehen.

Die Schweiz hat kein Gesetz, das Diskriminierung am Arbeitsort explizit verbietet. Mit der Einführung der Rassismus-Strafnom wurden öffentliche rassistische Äusserungen verboten, nicht aber die Diskriminierung.

EU: Ab November gilt Anti-Diskriminierungsbestimmung

“In der Praxis gibt es für Angestellte in der Schweiz keine rechtliche Möglichkeit, sich gegen Diskriminierung zu verteidigen”, erklärt Galizia. “Wer sich als Opfer von Diskriminierung fühlt, sollte Hilfe finden können.”

Ab kommendem November gilt in allen Ländern der Europäischen Union eine Bestimmung, welche Diskriminierung am Arbeitsplatz verbietet. Als Nichtmitglied ist die Schweiz von dieser Auflage nicht betroffen.

Hierzulande scheinen viele der Ansicht zu sein, dass Gesetze nicht das Richtige sind, um Diskriminierung zu bekämpfen. Arbeitgeber und Regierung ziehen freiwillige Partnerschaften zwischen den Sozialpartnern vor.

Ist Toleranz gesetzlich erzwingbar?

Jean-Luc Nordmann vom Schweizer Volkswirtschaftsministerium (EVD) ist überzeugt, dass es keine neuen Gesetze braucht. “Ein neues Gesetz ändert noch nichts”, so Nordmann gegenüber swissinfo. “Man muss an der Basis anfangen, zum Beispiel in den Schulen. Nur so kann die Gesellschaft verändert werden.”

Nordmann schlug vor, dass man erfolgreiche Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz als Beispiele heranziehen soll, wie zum Beispiel einige Spieler im FC Basel. Er fände das eine gute Möglichkeit, negativen Wahrnehmungen von Ausländern entgegen zu treten.

Laut Pierre Triponez vom Schweizerischen Gewerbeverband wären neue Gesetze sehr problematisch. “Ich glaube ohnehin nicht, dass Diskriminierung in kleinen Betrieben ein Problem ist.” Diese könnten, so Triponez, gar nicht funktionieren, wenn sie solche Probleme hätten.

Er glaube auch nicht, so Triponez weiter, dass es sehr produktiv sei, sich so auf Diskriminierung zu konzentrieren. “Unsere Gesellschaft besteht aus vielen verschiedenen Leuten. Es gibt Alte, Junge, Männer, Frauen, Leute aus der Schweiz und aus dem Ausland. Wenn wir uns auf die Diskriminierung konzentrieren, vergessen wir das fundamentale Prinzip der Toleranz.”

Keine Klage ohne legale Basis

Diese Haltung führt zum Beispiel im Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH zu Frustration. Hier ist man überzeugt, dass damit ein wirkliches Einschreiten gegen Diskriminierung verhindert wird.

Laut Anne Roth-Laurent von der Freiburger Sektion des SAH reicht der Wunsch von Nordmann und von Triponez, das Problem über freiwillige Partnerschaften zwischen den Sozialpartnern anzugehen, nicht aus. “Ich habe täglich mit Leuten zu tun, die unter Diskriminierung leiden.”
Ein Gesetz wäre sehr gut, betont Roth. “Wenn Diskriminierung verboten ist, dann wissen die Leute, dass sie klagen können, wenn sie diskriminiert werden.”

Dieser Meinung ist auch Patrick Taran von der International Labour Organisation (ILO). “Wir haben diese Frage eingehend studiert, und in allen Ländern zeigte sich, dass ein Gesetz der erste notwendige Schritt ist.”

Aber auch das freiwillige Angehen sei nötig, so Taran weiter. “Dass man in der Schweiz überhaupt so über Diskriminierung diskutiert, ist eine sehr gute Art und Weise, das Problem öffentlich und zum Thema einer landesweiten Debatte zu machen.”

In kleinen Schritten zum Ziel

Michele Galizia von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung hat eine pragmatische Haltung im Dilemma Gesetz gegen Freiwilligkeit. “In der Schweiz brauchen Gesetzesänderungen sehr lange”, betont sie, “deshalb denke ich, dass den Opfern von Diskriminierung am Arbeitsplatz im Moment mit kleinen Projekten am besten geholfen ist.”

“Aber”, so die Leiterin der Fachstelle für Rassismusbekämpfung, “langfristig gesehen finde ich, dass die Schweiz sich dem Beispiel der EU anschliessen sollte, wo es in jedem Land eine legale Basis für die Bekämpfung der Diskriminierung gibt.”

swissinfo, Imogen Foulkes
(Übertragung aus dem Englischen: Charlotte Egger)

25 % der Angestellten in der Schweiz kommen aus dem Ausland.

Der Durchschnittslohn einer ausländischen Arbeitskraft liegt deutlich unter jenem ihrer Schweizer Kolleginnen und Kollegen.

Jugendliche aus dem Balkan haben eine um 75% kleinere Chance eine Lehrstelle zu bekommen.

In der Schweiz gibt es kein Gesetz, das Diskriminierung am Arbeitsplatz explizit verbietet.

Gegen Diskriminierung richtet sich auch die offizielle 1.-Mai-Parole des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.

Das Hauptaugenmerk ist auf die Frauen gerichtet: “Frau Macht Gewerkschaft – Gemeinsam für mehr Gerechtigkeit”.

Noch immer verdienten Frauen für die gleiche Arbeit statistisch gesehen rund 20% weniger als Männer, so die Kritik.

Gerade in einer Wirtschaftskrise bestehe immer die Gefahr, dass Grundsatz-Forderungen wie jene der Gleichstellung in den Hintergrund rückten, warnen die Gewerkschaften.

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