Schweizer Käse-Tradition unter Druck
In diesem Jahr wird in der Schweiz zum ersten Mal der Import von ausländischem Käse das Exportvolumen von "Swiss Made"-Käse übersteigen. Ein Ungleichgewicht, das ein historisches Knowhow bedroht, da immer mehr Milchbetriebe aufgeben.
Im Juli löste der Präsident des Dachverbands der Milchproduzierenden (Swissmilk), Boris Beuret, in einem Interview mit der französischsprachigen Tageszeitung Le TempsExterner Link eine Schockwelle aus. Er beklagte, dass die Schweiz 2023 zum ersten Mal mehr Käse (in Tonnen) importieren als exportieren werde.
«Ich habe Rückmeldungen zu dieser Nachricht aus der ganzen Welt erhalten. Personen aus der Schweiz, die in Las Vegas leben, haben sich darüber aufgeregt», berichtet der 46-jährige Jurassier.
Monique Perrottet von Switzerland Cheese Marketing, der Dachorganisation der Käsebranche, bestätigt diese Entwicklung: «Der Unterschied im Volumen zwischen Importen und Exporten wird seit der Liberalisierung der Märkte im Jahr 2007 immer kleiner. Importierter Käse ist ein viel billigeres Produkt als Schweizer Käse.»
«Als der Käsemarkt vor 16 Jahren liberalisiert wurde, kamen Käsesorten – zum Beispiel aus den Niederlanden – in unsere Läden, die 30% weniger kosteten und deren Absatz stetig stieg», sagt Beuret.
Die Logik des Freihandels besagt, dass Schweizer Käse im Gegenzug exportiert werden kann. Der internationale Absatz von teuren Schweizer Nischenprodukten ist jedoch gering.
Immer weniger Betriebe
Die sinkenden Mengen treiben immer mehr Milchbetriebe dazu, das Handtuch zu werfen. Hinzu kommt ein Milchpreis, der von der Branche als viel zu niedrig angesehen wird.
Obwohl er seit 2009 kontinuierlich gestiegen ist, lag der Erzeugerpreis für Milch im Jahr 2022 bei 75 Rappen pro Kilogramm und damit weit unter dem von den Produzent:innen geforderten Tarif von 1 Franken.
«Der aktuelle Preis deckt die Produktionskosten nicht. Die Landwirt:innen kommen nicht über die Runden und schliessen ihre Betriebe», sagt Beuret.
Das Ergebnis: Die Anzahl der Betriebe in der Milchwirtschaft sinkt doppelt so schnell wie in den anderen landwirtschaftlichen Sektoren. Zwischen 1950 und 2022 ist ihre Zahl um 87% von 138’380 auf 17’603 gesunken, wie aus dem Swissmilk-Bericht 2022Externer Link hervorgeht. Bei gleichbleibendem Tempo wird es bis 2095 nur noch 2000 Betriebe geben.
Diese Aussichten lösen in der Bevölkerung eine gewisse Aufregung aus, da die Milchproduktion eng mit der schweizerischen Identität verbunden ist. Die Tradition erklärt sich zum einen durch das zerklüftete Relief des Landes, das den Anbau von Getreide auf grossen Flächen nicht zulässt.
«Das Klima in der Schweiz ist zudem günstig für Grasland, das rund 80% der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmacht. Und um das Gras in Lebensmittel zu verwandeln, hat man noch keinen besseren Weg gefunden als Kühe, die daraus Milch machen können», so Beuret.
«Subventionen, welche die Margen anheizen»
In der Schweiz zu produzieren bedeutet, dass die Kosten deutlich höher sind als die der ausländischen Konkurrenz.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Betriebe sind mit durchschnittlich 29 Tieren und 30 Hektar Land immer noch klein. Dies macht es unmöglich, Grössenvorteile zu erzielen, wie sie beispielsweise in Spanien mit Herden von rund 400 Kühen möglich sind. Hinzu kommen die im internationalen Vergleich hohen Arbeitskosten und andere Kosten.
Urs Niggli, Präsident des Instituts Agroecology.Science in Frick im Kanton Aargau, hebt die Qualität des Käsesektors hervor, die von der Bundesanstalt Agroscope bescheinigt wird.
«Die Schweiz pflegt Kulturen für die Produktion von Rohmilch, die weltweit einzigartig sind. Mit dem Bio-Boom in den 1990er-Jahren hat die Käsevielfalt noch zugenommen, vor allem dank kleiner Käsereien und der Verarbeitung auf dem Bauernhof.» Unter den derzeitigen Bedingungen ist dieses Knowhow jedoch gefährdet.
Es ist bekannt, dass etwa 20% des Einkommens von Landwirt:innen aus Subventionen und Direktzahlungen des Bundes stammen. Viele Betriebe würden ohne diese staatliche Unterstützung nicht laufen.
«Dieses Geld ist kein Geschenk, sondern entspricht einem sehr dichten Pflichtenheft, insbesondere in Bezug auf die Landschaft, die Biodiversität und die Wasserqualität», betont Beuret.
Wie andere Branchenbeobachter ist auch die Fédération romande des consommateurs (FRCExterner Link) der Ansicht, dass die Agrarsubventionen, die eigentlich die lokalen Produzent:innen unterstützen sollen, in Wirklichkeit die Margen der Verteiler nähren, ohne Vorteile für die Konsument:innen.
Das grosse Schweigen über die Margen der Detailhändler
Laut dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) entfallen 76% (Stand 2020) des Lebensmittelumsatzes auf Coop und MigrosExterner Link (mit ihrer Tochter Denner). Sie haben also eine starke Position, wenn es um Preisverhandlungen geht.
Thierry*, Produzent im Kanton Freiburg, berichtet: «Mein Betrieb kommt nur dank der Agrarsubventionen über die Runden. Die Preispolitik der Händler ist eine kurzfristige Angelegenheit. Das System kann nicht funktionieren, solange die Preise die Produktionskosten nicht decken.»
In Thierrys Dorf ist die Zahl der Milchproduzent:innen in den letzten 20 Jahren von zwölf auf vier geschmolzen. «Unser Kräfteverhältnis mit den grossen Handelsketten ist völlig unausgewogen», beklagt der Landwirt.
Die Detailhändler schweigen sich darüber aus, wie sie den Anteil ermitteln, der ihnen zusteht. Daher muss man sich auf Schätzungen verlassen. Eine von der französischsprachigen Tageszeitung Le Temps im Juni 2023 veröffentlichte UmfrageExterner Link ergab Bruttomargen, die zwischen 46 und 57% schwankten.
Zum Vergleich: Die Bruttomarge in der Abteilung für Milchprodukte in Frankreich betrug laut dem Bericht 2022 der französischen Beobachtungsstelle für Preisbildung und Margen 24,3% des Umsatzes. Folglich setzt sich die FRC für mehr TransparenzExterner Link über die Wertsteigerung von Lebensmitteln ein.
«Coop zahlt marktgerechte Preise und behandelt die Lieferant:innen fair. Wir erzielen einen Gewinn von 1,7 Rappen pro Franken Umsatz, was im Vergleich zu gewinnorientierten Unternehmen wenig ist», sagt Caspar Frey, Pressesprecher von Coop.
«In anderen Branchen weisen Unternehmen Margen von 10% und mehr auf, ohne dass sie aufgefordert werden, ihre Kostenstrukturen offenzulegen. Warum sollten nur die Detailhändler transparent sein?», sagt Tristan Cerf, Sprecher der Migros.
Individuelle Verantwortung
Auf der Produzent:innenseite herrscht Einigkeit darüber, dass zur Sicherung der Zukunft der Milchwirtschaft eine bessere Verteilung der Gewinne erforderlich ist.
«Die Milchproduktion trägt sehr stark zur Ernährungssouveränität unseres Landes bei, ein Aspekt, dessen Bedeutung erst kürzlich durch die Covid-Krise und den Krieg in der Ukraine deutlich geworden ist. Die Aufrechterhaltung einer solchen Produktion ist jedoch nur möglich, wenn alle Akteur:innen in der Wertschöpfungskette davon profitieren», sagt Monique Perrottet.
Um das Ruder herumzureissen, appelliert Boris Beuret seinerseits an die Verbraucher:innen. «Die Entscheidungen des Einzelnen haben einen enormen Einfluss auf die Situation der Produzent:innen. Es ist entscheidend, dass die Leute wissen, was sie kaufen, wenn sie einen holländischen Edamer einem Schweizer Gruyère vorziehen.»
Nach den in den Niederlanden geltenden Normen hat zum Beispiel nicht jede Kuh einen eigenen Liegeplatz im Stall. In der Schweiz ist dies hingegen gesetzlich vorgeschrieben. Auch die Normen zum Gewässerschutz sind hier viel weniger restriktiv. «Letztendlich haben die Kund:innen das letzte Wort», sagt Beuret.
Der mit * markierte Name ist der Redaktion bekannt.
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Janine Gloor
«Infolge des Kriegs in der Ukraine ist der Marktanteil von Bioprodukten in ganz Europa nach 20 Jahren Wachstum leicht zurückgegangen. Der Anteil hat sich bei etwa 8% des Gesamtvolumens stabilisiert», sagt der international anerkannte Schweizer Agrarwissenschaftler Urs Niggli. Im Jahr 2022 würde der Bio-Anteil am Schweizer Milchmarkt 9% betragenExterner Link.
Diese Produkte sind teurer, da die Produktivität um 5 bis 15% niedriger ist als bei der Standardproduktion. «Der Einsatz von billigerem Kraftfutter ist in der Tat sehr begrenzt (max. 5% der Futterration). Der Bio-Sektor arbeitet mit Kühen, deren Genetik eher auf eine bessere Lebensqualität als auf Höchstleistungen ausgerichtet ist.»
Die Langlebigkeit der Tiere spielt eine Rolle, da die Kühe nicht wie in der Massentierhaltung nach der dritten Laktation geschlachtet werden. Auch der sehr zurückhaltende Einsatz von Antibiotika wirkt sich auf die Leistung aus.
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