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Schweizer mit Mut nach Moskau

(Keystone-SDA) Mit sechs Siegen aus neun Vorbereitungsspielen und viel Selbstvertrauen im Gepäck flog das Schweizer Eishockey-Nationalteam nach Moskau, wo es am Samstag (11.15 Uhr) das erste WM-Spiel austrägt.

Die Zuversicht vor der WM in Russland ist gross. Die Ausgangslage präsentiert sich aber durchaus als heikel. Denn der Blick zurück zeigt: Das, was war, zählt an der Weltmeisterschaft nichts mehr. 2011 und 2012 spielten die Schweizer unter Sean Simpson während der WM-Vorbereitung wie aus einem Guss. Tschechien und Russland (2011) und Schweden und beinahe sogar Kanada mit lauter NHL-Spielern (2012) wurden vor den Weltmeisterschaften besiegt, dann folgte in Kosice (2011) und Helsinki (2012) trotzdem der Absturz und das Verpassen der Viertelfinals.

Die Schweizer stehen in Moskau definitiv vor einer heiklen Mission. Die Vorbereitungsspiele mit zuletzt lauter Siegen schraubten die Erwartungen in die Höhe. Aber die Schweizer überzeugten längst nicht immer. Am Dienstag nach dem Sieg gegen Deutschland (4:3 nach einem 0:3-Rückstand) sprach Nationalcoach Patrick Fischer sogar von einem “miserablen Auftritt” in den ersten 34 Minuten. Bei Spielmitte wirbelte Fischer die Aufstellung derart durcheinander, dass kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Hoffentlich haben die Schweizer ihr Fortune mit den erfolgreichen Aufholjagden gegen Lettland (4:3 nach 1:3 am Samstag) und Deutschland nicht schon vor der WM aufgebraucht. Denn wenn die Schweizer in Moskau ihre Ziele und die Viertelfinals erreichen wollen, braucht es auch eine Portion Glück.

René Fasel, der Präsident des Weltverbandes, brachte es auf den Punkt. “Die Schweizer haben Mut, mit unerfahrenen Trainern an die WM zu kommen”, sagte der Freiburger. Headcoach Patrick Fischer und Assistent Felix Hollenstein trainierten bislang erst einen NLA-Klub – beide noch ohne durchschlagenden Erfolg. Reto von Arx verfügt über keinerlei Erfahrung im Coaching. Immerhin assistierte Fischer vor drei Jahren Sean Simpson, als die Schweiz in Stockholm sensationell den WM-Final erreichte.

Nicht nur bei den Trainern fehlt es den Schweizern an Routine. Neun Debütanten (Sandro Zurkirchen, Christian Marti, Noah Schneeberger, Sven Andrighetto, Gaëtan Haas, Grégory Hofmann, Lino Martschini, Samuel Walser und Marc Wieser) figurieren im WM-Kader. Und Goalie Robert Mayer nahm zwar vor zwei Jahren schon einmal an einer Weltmeisterschaft teil, gelangte damals aber nie zum Einsatz.

Erst einmal in der jüngeren Vergangenheit nominierte ein Nationalcoach derart viele Debütanten für eine WM wie diesmal Patrick Fischer. Ralph Krueger musste 2002 zehn Debütanten mit nach Schweden mitnehmen, weil ihm nach den Olympischen Spielen von Salt Lake City 20 Akteure abgesagt hatten. Krueger sprach damals von einem “Kindergarten”. Und an der WM in Jönköping und Karlstad gewann die Schweiz nur gegen Japan und Lettland, erzielte an der Hälfte aller Spiele kein einziges Tor und schied sang- und klanglos aus.

Es gibt aber auch andere Beispiele: 2010, beim ersten Turnier von Sean Simpson, sagten 21 Nationalspieler ab. Die Schweizer starteten ohne Kredit in die WM in Mannheim und erreichten beinahe die Halbfinals (0:1-Viertelfinal-Niederlage gegen Gastgeber Deutschland). Und drei Jahre später, mit sieben Debütanten und einem scheinbar ebenfalls ersatzgeschwächten Team, stürmten die Schweizer in Stockholm in den WM-Final.

Ob die WM in Moskau zu einem Erfolg wird, entscheidet sich vermutlich schon früh. Wie im Vorjahr treffen die Schweizer gleich in den ersten Spielen auf jene Teams, die sie hinter sich lassen müssten, um die Vorrunde mindestens auf Platz 4 zu beenden. Die Schweizer beginnen das Turnier am Samstagmittag gegen Aufsteiger Kasachstan, danach folgen innerhalb von vier Tagen die Partien gegen Norwegen (Sonntag), Dänemark (Dienstag) und Lettland (Mittwoch). Erst nach diesem Aufgalopp folgen die Partien gegen die Mitfavoriten Russland, Schweden und Tschechien.

In den ersten Partien, in denen es an den Schweizern liegen wird, Tempo und Gangart zu bestimmen, wird die Abwehrarbeit über Sieg oder Niederlage entscheiden. Denn wohl noch nie vorher reiste die Schweiz mit einer derart offensiv ausgerichteten Equipe an eine Weltmeisterschaft. Unter den Backs wimmelt es von Offensivverteidigern. Reto Berra und Robert Mayer werden sich vor dem Tor die Arbeit teilen, wobei wohl Berra das Turnier beginnen darf, obwohl er diese Saison in Nordamerika nicht einmal die Hälfte aller Spiele bestritt und von seinem NHL-Team (Colorado Avalanche) abgeschoben wurde. Die Goalies stehen nach den Absagen von Jonas Hiller, Tobias Stephan und Leonardo Genoni ebenfalls im Fokus. Erstmals seit zehn Jahren verfügen im Torhütertrio zwei Akteure noch über keine WM-Routine (Mayer und Zurkirchen).

Zum ersten Captain des Schweizer WM-Teams wurde Andres Ambühl bestimmt. Ambühl ist einer von zwei Akteuren (neben Félicien Du Bois) im Schweizer Team mit mehr als 100 Länderspielen. Ambühl (221 Länderspiele) bestritt mehr als doppelt so viele Länderspiele als Du Bois (110). Sollte Roman Josi in den Playoffs um den Stanley Cup mit Nashville gegen San Jose in den nächsten Tagen ausscheiden (Stand in der Serie im Moment 2:2), wäre der Berner im Eishockey-Nationalteam und als Captain ebenfalls noch ein Thema.

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