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Enrico Letta – Italiens neuer Hoffnungsträger

(Keystone-SDA) Enrico Letta ist 46, überzeugter Europäer und Mitte-Links-Politiker. Über die Massen bekannt ist der Italiener noch nicht. Nun soll er als Regierungschef sein hoch verschuldetes Land aus der Krise führen. Dass ihm der greise Staatspräsident Giorgio Napolitano da keine leichte Aufgabe aufgebürdet hat, ist Letta wohl bewusst.

Enrico Letta ist 46, überzeugter Europäer und Mitte-Links-Politiker. Über die Massen bekannt ist der Italiener noch nicht. Nun soll er als Regierungschef sein hoch verschuldetes Land aus der Krise führen. Dass ihm der greise Staatspräsident Giorgio Napolitano da keine leichte Aufgabe aufgebürdet hat, ist Letta wohl bewusst.

“Ich spüre eine grosse Verantwortung auf meinen Schultern, schwerer als meine Schultern sie tragen können”, sagte er, nachdem der Präsident ihn mit der Regierungsbildung beauftragt hatte. Da hatte er die Koalitionsverhandlungen mit dem Mitte-Rechts-Bündnis um Silvio Berlusconi noch vor sich.

Nach drei Tagen des Ringens sprach er in seiner gewohnt zurückhaltenden Art von “verhaltender Zufriedenheit”. Am Sonntag wurden er und sein Kabinett aus Politikern und Technokraten von Napolitano vereidigt.

Bei den ausländischen Partnern Italiens und an den Märkten dürfte Letta freundlich begrüsst werden. Man ist erleichtert, wenn der monatelange Stillstand in der drittgrössten Volkswirtschaft der Euro-Zone ein Ende hat. Auch die Italiener werden froh sein, dass sie nicht mehr von alten Männern regiert werden – allein viermal hiess der Ministerpräsident Berlusconi, der skandalumwitterte Medienmogul.

Zweitjüngster Regierungschef

Letta hat Politikwissenschaften studiert, er ist verheiratet und hat drei Kinder. Wenn er das Vertrauen des Parlamentes erhält, ist er der zweitjüngste Regierungschef in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg.

Doch ein Grünschnabel ist er keineswegs. Jahrelang gehörte Letta der politischen Elite in Europa an. Mit 31 Jahren war er bereits stellvertretender Vorsitzender der Volkspartei, einem Ableger der Demokratischen Partei (DC), die das Italien der Nachkriegszeit dominierte. 33 Jahre war Letta alt, als er 1998 Europa-Minister wurde – und das jüngste Kabinettsmitglied seit dem Zweiten Weltkrieg.

Europa war stets das Thema Lettas. In den 1990er Jahren leitete er im Finanzministerium den Ausschuss, der den Beitritt Italiens zur Euro-Zone vorbereitete. Dem Europäischen Parlament gehörte er von 2004 bis 2006 an.

All das wird Letta nutzen, wenn er eine seiner dringendsten Aufgaben in Angriff nimmt: den Versuch, bei der EU-Kommission mehr Haushaltsflexibilität auszuhandeln. Dabei hat er die Unterstützung seiner Demokratischen Partei und Berlusconis Partei Volk der Freiheit.

Verbindung zu Berlusconi

Zu Berlusconi gibt es eine weitere Verbindung. Lettas Onkel Gianni diente Berlusconi als Stabschef und war über Jahrzehnte einer seiner engsten Vertrauten. Der Neffe folgte dem Onkel im Amt eines Staatssekretärs, als Romano Prodi 2006 Berlusconi als Regierungschef ablöste. Zwei Jahre später, als Berlusconi seine vierte Amtszeit antrat, lief das Spiel der beiden Verwandten umgekehrt.

Wie tragfähig die Verbindung ist, wird sich weisen müssen – immerhin hat Berlusconi schon vielen Regierungen das Leben schwergemacht. Berlusconi sitzt zwar nicht am Kabinettstisch, doch er wird kräftig mitmischen.

Rivale aus eigener Partei

Aber auch aus den eigenen Reihen könnte Letta Ungemach drohen: Matteo Renzi, der 38-jährige Bürgermeister von Florenz gilt als der aufsteigende Stern seiner Partei. Und Renzi wird sicherlich darauf bedacht sein, dass sein Rivale Letta nicht allzu viel Erfolg hat.

Doch wenn es Letta gelingt, all die Fährnisse zu umschiffen und die dringend nötigen Reformen durchzusetzen, dann könnte er der Hoffnungsträger und der bestimmende Politiker Italiens des nächsten Jahrzehnts werden.

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