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Marcel Hirschers “riesige Herausforderung”

(Keystone-SDA) Marcel Hirscher muss Versäumtes wettmachen. Drei Monate Pause wegen seines Knöchelbruchs werfen ihn im Materialbereich zurück. Der Österreicher steht vor einer “riesigen Herausforderung”.

Es geht zu wie im Taubenschlag auf dem offiziellen Trainingshang in Vail im US-Bundesstaat Colorado. Fahrer aller Nationen versuchen für den ersten Weltcup-Riesenslalom des Winters vom Sonntag im benachbarten Beaver Creek den letzten Schliff zu holen. In einer Ecke am Fusse der Piste wird besonders emsig gearbeitet, da liegen besonders viele Paar Ski im Schnee, da stehen extrem viele Serviceleute herum. Und mittendrin: Marcel Hirscher.

Verspätete Feinjustierung

Der Salzburger testet, pröbelt. Nicht am Feinschliff der Abstimmung. Davon ist er noch weit entfernt, wie er an diesem Dienstagmorgen sagt. Hirscher ist noch mit den groben Dingen beschäftigt. “Wir stehen da ganz am Anfang. Feinjustierung kommt später.” Da kann er noch nicht so weit sein wie gewünscht, denn ihm fehlen nach dem Mitte August erlittenen Knöchelbruch am linken Fuss drei Monate Vorbereitung. Zwischen den Riesenslalom-Toren ist Hirscher noch keine zehn Tage gefahren. “Zuletzt waren wir auf der Reiteralm. Auf dem heimischen Schnee gings schon ganz gut”, erzählt er. In der Station in der Nähe von Schladming hat er einen Tag lang auch zusammen mit den Schweizern Zeitläufe absolviert. Die ruppige, harte Piste in Vail bereitet ihm mehr Mühe. Er spürt die Vibrationen und die Schläge deutlicher. Die Schmerzen im Fuss sind für ihn gleichwohl erträglich. “Es passt so.”

Hirscher nennt seinen Kampf auf dem Weg zurück eine riesige Herausforderung. Die neueste Materialreform mit den wieder taillierteren Riesenslalom-Ski und der Verringerung des fahrbaren Radius von 35 auf 30 Meter wirkt als zusätzliche, immense Hypothek. “Der Riesenslalom-Schwung, an den ich mich wieder gewöhnen muss, kommt dem vor fünf Jahren sehr nahe.” Damals hatte der Internationale Skiverband FIS die Vergrösserung des Radius von 27 auf 35 Meter beschlossen.

Seinen zeitlichen Rückstand beziffert Hirscher auf mindestens eine Sekunde pro Lauf. An diesem ersten Trainingstag in Vail sollen es sogar zwei Sekunden gewesen sein. “Das ist zuviel.” Die Hoffnung für den Riesenslalom am Sonntag ist entsprechend bescheiden. “Das Beste wird sein, ohne Erwartungen ins Rennen zu gehen.” Bis er dort angelangt sei, wo er und sein Team hinwollten, werde es noch eine Zeitlang dauern.

Verschworene Einheit

Hirscher und sein Team – das ist eine verschworene Einheit, die dem Erfolg alles unterordnet. Deshalb wird diese “eine Zeitlang” wohl doch nicht so lange dauern. Hirscher und seine Equipe, zu der im Kern Trainer Mike Pircher, die Serviceleute Thomas Graggaber und Johann Strobl, Physiotherapeut Josef Percht, Pressesprecher Stefan Illek und natürlich sein Vater Ferdinand gehören, werden unter Hochdruck arbeiten, um das Manko so schnell als möglich aus der Welt zu schaffen. Sie alle arbeiten halt eben so, wie sie es sich gewohnt sind.

Hirscher erwähnt den Egoismus, der ihn weiterbringt. Von Leistungsorientierung, vom stetig gewachsenen Perfektionismus. Er nennt die Rennfahrerei eine Sucht. Er will die Grenzen ausloten, darüber hinausgehen, über sich selber hinauswachsen. Hirscher fordert, nur das Maximum ist ihm gut genug. Er fordert das von sich und seinen Leuten um ihn herum. Er nennt die totale Bereitschaft die Grundvoraussetzung für eine Zusammenarbeit. Bei seinen Getreuen muss nicht selten das Private hinten anstehen oder müssen sie Sonderefforts leisten. Wegen eines Paars Ski sieben Stunden von Salzburg nach Frankreich fahren und nochmals sieben Stunden zurück etwa. Oder in der Fabrik seines Ski-Ausrüsters Atomic. Da werden auch an einem Sonntagmorgen in aller Herrgottsfrühe die Maschinen hochgefahren, wenn es dringend nötig ist. Ein Anruf von Marcel Hirscher genügt.

Hirscher geht seinen Mitstreitern voraus – ohne sich dabei als Taktgeber zu sehen. “Chef im Team Hirscher ist nicht die Person Hirscher, sondern die Mission Hirscher”, hat er kürzlich in einem Interview gesagt. Angestellter im Team Hirscher zu sein kommt der Bereitschaft gleich, Aussergewöhnliches zu leisten. Täglich, stündlich. In der Situation, in der sich der sechsfache Gewinner des Gesamtweltcups momentan befindet, wissen sie dies mehr denn je. Die vielen Paar Ski, die in diesen Tagen in Vail auf der Trainingspiste im Kunstschnee liegen, sind ein untrügliches Zeichen dafür.

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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