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Michael Lang über die Chancen des FCB

(Keystone-SDA) Basels Abwehrpatron Michael Lang äussert sich im Interview mit der Nachrichtenagentur sda über die Probleme im ersten Quartal und die Chancen im Champions-League-Heimspiel gegen Benfica Lissabon.

Seit über 10 Jahren ist der mental robuste Nationalspieler im Schweizer Klubfussball engagiert und kann mit hohen Ansprüchen und unangenehmen Herausforderungen umgehen.

War das 1:0 gegen den FC Zürich der klassische Befreiungsschlag?

“Wenn ich an all die Begleiterscheinungen unseres Auftritts in St. Gallen denke, stelle ich mir lieber nicht vor, was passiert wäre, wenn wir erneut verloren hätten.”

Der schwierigste FCB-Moment seit Jahren?

“Der Druck, die Unruhe, die Negativität, die teilweise rund um den FCB herumschwebten, das war in dieser Dimension für viele von uns neu. Jeder erwartete von uns im Spiel gegen die Zürcher ultimativ ein positives Ergebnis, entsprechend gross ist die Erleichterung.”

Sie haben von der neuen Erfahrung gesprochen, mit Fehltritten umgehen zu müssen. Rotblau war jahrelang ausschliesslich auf Sieg programmiert. Im Sommer verlor der Verein an der Spitze eine Menge Know-how, das Kader wurde verkleinert. Ist die aktuelle Situation eine Kumulierung verschiedener Gefahrenherde?

“Ich würde es so formulieren: Dass wir uns nach dem 0:2 in Bern zunächst aufgefangen haben, dann aber erneut aus der Bahn geworfen wurden, ist ein Indiz dafür, momentan weniger gefestigt zu sein als in den letzten Jahren. Nach doch ziemlich einschneidenden Veränderungen im Sommer sind Schwankungen nie ganz auszuschliessen.”

Machten der Mannschaft nach der 1:2-Heimniederlage gegen Lausanne Versagensängste zu schaffen?

“Nein, das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Eine Meisterschaft wird weder im September noch im Oktober entschieden. Vor knapp vier Monaten haben wir den Titel mit 17 Punkten Vorsprung gewonnen und jetzt soll der Champion plötzlich nur noch ein Mittelfeldklub sein? Das ist für mich nur noch Schwarzweiss-Politik. Cool bleiben, den Kopf nicht verlieren, unsere Qualität ist nach wie vor beträchtlich.”

Kritische Beobachter bringen für den Stillstand des wirtschaftlich potenten Branchenprimus kein Verständnis auf.

“Wir wurden in der letzten Saison auch nach Siegen kritisiert. Daher überrascht es mich ehrlich gesagt nicht, nach einem solchen ersten Quartal im Gegenwind zu stehen. Umso wichtiger war, dass wir mit dem Messer am Hals zu einer Reaktion fähig waren. Unser Team funktionierte und wird das auch weiterhin tun.”

Ist Krise der richtige Begriff für neun Runden mit Ausschlägen in alle Richtungen? Oder stufen Sie die Tragweite der Probleme anders ein?

“Es war auf jeden Fall eine schlechte Phase, die sich wie eine Krise anfühlte. Wenn man mit dem FCB vier Spiele nicht gewinnt und sich im eigenen Stadion eine Niederlage gegen Lausanne leistet, ist das schon sehr unbefriedigend.”

Ihr Präsident Bernhard Burgener warf dem Team in einem “Blick”-Interview vor, gegen den FC St. Gallen ohne Leidenschaft und überheblich gespielt zu haben. Ein brisanter Vorwurf!

“Es war eine Message an die Adresse der Mannschaft. Es ist sein gutes Recht, sich nach einer schlechten Leistung klar zu äussern. Vielleicht hätte ich als Aussenstehender unsere erste Hälfte in St. Gallen gleich beurteilt, auf dem Platz war jedoch immer klar: Jeder wollte kämpfen, keinem fehlte die Lust, sich aufzulehnen. Aber mit einer öffentlichen Beurteilung muss ein Profi umgehen können. Jeder von uns steht einmal pro Woche im Schaufenster, und jeder kann sich eine Meinung über den Formstand bilden; das gehört nun mal zu unserem Job.”

Wie haben Sie Raphael Wicky im ersten schwierigen Vierteljahr seiner Trainerlaufbahn bei den Profis wahrgenommen?

“Seine Ansprache war deutlich, aber immer sachlich. Er machte einen abgeklärten Eindruck, obschon er zum ersten Mal auf dieser Ebene mit einer prekären Situation konfrontiert war. Er konnte perfekt vermitteln, was auf dem Spiel stand, ohne dabei nervös zu werden. Die Tragweite war immer spürbar, und doch nahm er bewusst Druck weg.”

Gab es in der letzten Woche auch eine interne Aufarbeitung der Rückschläge?

“Der Staff und ein paar erfahrene Spieler haben sich zusammengesetzt und ein paar Punkte angesprochen. Es war ein gutes, offenes Gespräch. Panik ist keineswegs angebracht. In der Regel ist es wenig hilfreich, überstürzte Änderungen zu veranlassen und Pläne über Bord zu werfen, die sich in besseren Abschnitten bewährt haben. Ich glaube, wir haben uns zwischen den Spielen in St. Gallen und gegen Zürich clever verhalten und jene widerlegt, die den FCB allzu schnell komplett abschreiben wollten.”

Unter welchem Gesichtspunkt empfangen Sie nun Benfica Lissabon? Welche Bedeutung hat die Champions League im Kontext mit dem erstmals seit acht Saisons komplizierteren Alltag?

“Ziel muss der zweite Gruppenplatz sein. Ob wir das schaffen? Wer weiss das schon, aber Träume sollten erlaubt sein, zu viel Realismus ist nicht zielführend. Es wäre ein falscher Ansatz, nur auf die Stärken der Gegner hinzuweisen. Wie viel passieren kann, demonstrierte ZSKA Moskau mit dem Sieg in Lissabon.”

Der FCB müsste auf Champions-League-Ebene eine überraschend lange Serie beenden – seit elf Partien und bald drei Jahren ist Ihr Klub auf dieser Stufe sieglos.

“Es ist an der Zeit, das zu ändern. Die letzte Kampagne verlief mit nur zwei Unentschieden gegen den Aussenseiter Ludogorez enttäuschend. In diesem Jahr ist die Konstellation anders. Jeder Kontrahent trägt einen prominenten Namen, auch jedem Aussenstehenden dürfte der Schwierigkeitsgrad weitgehend bekannt sein.”

Ist der europäische Wettbewerb eine Chance, mit guten Vorstellungen gegen erstklassige Gegner das ramponierte Selbstvertrauen zu stärken?

“In der letzten Saison war es umgekehrt. Wir lösten die Aufgaben national souverän und blieben trotz des frühen europäischen Outs auf Champions-League-Kurs. Nun haben wir die Gelegenheit, Überraschungen zu schaffen. Viele werden zwar eine andere Rechnung machen: Letztes Jahr war der FCB in der Super League überragend und holte im Europacup nichts, wie soll er denn jetzt bestehen können?”

Stimmt denn das Timing?

“Die Champions League kommt auf keinen Fall ungelegen, für solche Partien gibt es nie einen schlechten Zeitpunkt. Sie ist die Bühne, um das Selbstvertrauen ein Stück weit wieder aufzubauen. Ich betrachte den Wettbewerb in erster Linie als riesige Challenge. Prozentual können nur wenige Spieler am Ende ihrer Karriere für sich in Anspruch nehmen, an der Champions League teilgenommen zu haben.”

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