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Ständerat will Urteil von 1933 wegen Genfer Unruhen nicht aufheben

Die Genfer Unruhen: Bei der Protestkundgebung gegen den Faschismus in Genf am 9. November 1932 schossen Armeemitglieder auf Demonstranten und Passanten. Es gab 13 Tote und 65 Verletzte. (Archiv) Keystone/STR sda-ats

(Keystone-SDA) Der 9. November 1932 ist unbestritten ein dunkler Fleck in der Schweizer Geschichte. Damals schossen in Genf Mitglieder der Schweizer Armee auf Demonstranten und Passanten. Der Ständerat ist dennoch dagegen, ein Gerichtsurteil gegen sieben Demonstranten aufzuheben.

Er sprach sich am Donnerstag mit 24 zu 17 Stimmen bei einer Enthaltung gegen eine Standesinitiative des Kantons Genf aus, die eine Aufhebung eines Bundesstrafgerichtsurteils vom 3. Juni 1933 fordert sowie die volle Rehabilitation der sieben Personen.

Laut dem historischen Lexikon der Schweiz wurde Genf am 9. November 1932 “Schauplatz heftiger Zusammenstösse zwischen Links- und Rechtsextremen, die im Zusammenhang mit dem Aufstieg des Totalitarismus in Europa, der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit zu sehen sind”. Sie gingen als Genfer Unruhen in die Geschichte ein.

Militante Sozialisten unter Léon Nicole und Anhänger der faschistischen Union nationale von Georges Oltramare lieferten sich Strassenkämpfe. Eine Aktion der Union nationale, die zum Ziel hatte, die sozialistischen Anführer in Genf an den Pranger zu stellen, trieb die Sozialisten zu einer Gegendemonstration.

13 Tote

Um die öffentliche Ordnung zu wahren, wurde die Armee aufgeboten. Doch der Einsatz geriet aus den Fugen: Die Armee eröffnete das Feuer gegen die Menschenmenge. Es gab 13 Tote und 65 Verletzte.

Trotz der Schwere des Vorfalls habe sich später keiner der militärischen Befehlshaber vor Gericht verantworten müssen, ruft der Kanton Genf in Erinnerung. Hingegen seien Hunderte Demonstranten verhaftet und verhört worden. Sieben Demonstrationen wurden ausserdem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt von einem Strafgericht des Bundes verurteilt.

Dieses Urteil sei politisch motiviert gewesen, argumentiert der Grossrat des Kantons Genf. Mehr als achtzig Jahre später sei es an der Zeit, diese sieben Demonstranten zu rehabilitieren, die sich dem aufkommenden Faschismus in Genf widersetzt hätten.

Urteil korrekt

Der Ständerat anerkennt die historische Bedeutung der Ereignisse für den Kanton Genf. Dass die Armee auf Zivilisten schiesse, dürfe sich nie mehr wiederholen – “plus jamais”, hielt die vorberatende Kommission des Ständerats fest. Sie habe auch Verständnis für die Beweggründe der Verurteilten, die damals gegen “antidemokratische und antisemitische Organisationen” demonstrierten.

Nach Einsicht des Gerichtsurteils von 1933 gelangte die Kommission jedoch zur Ansicht, dass es nach den damaligen Regeln des Rechtsstaats korrekt zustande kam.

Andrea Caroni (FDP/AR) hätte Verständnis gehabt, wenn die Schweizer Armee das eigene Verhalten im Jahr 1932 hätte aufarbeiten wollen. “Denn damals ist offensichtlich etwas sehr schiefgegangen.” Aber das Urteil an sich sei nicht widerrechtlich gewesen. Die Demonstranten hätten ebenfalls Gewalt angewendet. Dies wäre auch nach heutigem Recht strafbar.

Historische Neubeurteilung

Robert Cramer (Grüne/GE) versuchte das Anliegen aus seinem Kanton zu erklären. Es gehe den Genfer nicht in erster Linie um die Revision des Urteils, auch wenn die Initiative dies im Wortlaut verlange. Es gehe ihnen vor allem um die politische Rehabilitierung. Eine solche würde helfen, einen Schlussstrich unter dieses dunkle Kapitel ziehen zu können. Dazu brauche Genf ein starkes Zeichen aus Bern.

Paul Rechsteiner (SP/SG) äusserte sich auch in diese Richtung. Die Urteile seien rechtskonform erlassen worden, dies sei unbestritten. Es gehe hier jedoch um eine politische Neubewertung der Vorgänge. “Georges Oltramare war ein offener Bewunderer Mussolinis”, rief Rechsteiner in Erinnerung.

Dieser antifaschistische Einsatz der Demonstranten müsse gewürdigt werden – die Geschichte habe ihnen recht gegeben. Es dränge sich auf, hier ein Stück Gerechtigkeit und Frieden für Genf herzustellen.

Nun muss sich noch der Nationalrat äussern.

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