Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

G20/Finanzminister loten Währungsreform aus (AF)

(Mit weiteren Angaben)
BERLIN (awp international) – Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) geben den Startschuss für ebenso umstrittene wie ehrgeizige Reformvorhaben. Beim ersten Treffen der G20-Finanzminister und -Notenbankchefs an diesem Freitag und Samstag in Paris sollen Wege für eine Neuordnung des Weltwährungssystems und Massnahmen gegen die Preisexplosion bei Rohstoffen und Nahrungsmitteln ausgelotet werden. “Es geht um kurzfristige Massnahmen noch 2011 und um Diskussionsbeiträge, die über 2011 hinausgehen”, verlautete am Mittwoch in Berlin aus dem Bundesfinanzministerium.
Frankreich hat in diesem Jahr den G20-Vorsitz und ambitionierte Ziele vorgegeben. Aus Sicht von Paris sollte das Weltwährungssystem auf eine neue Basis gestellt werden, bei dem bisher der US-Dollar wesentliche Leit- und Reservewährung ist. Der Euro und auch die chinesische Währung spielen aber eine zunehmend grössere Rolle.
Für zusätzlichen Zündstoff in der G20 dürfte bei der angestrebten Änderung des Währungsgefüges der jüngste Vorstoss der französischen Finanzministerin Christine Lagarde sorgen. Sie schlug Bandbreiten vor, in denen bestimmte Währungen schwanken könnten. Dies hatte auch in der Bundesregierung für Irritationen gesorgt.
Lagarde hofft zudem, dass sich die G20 auf Instrumente zur Messung der Ungleichgewichte zwischen den Wirtschaftsregionen einigen. Es geht darum, wie Leistungsbilanzüberschüsse oder Aussenhandelsdefizite einzelner Ländern als Ursache von Ungleichgewichte vermindert werden können. Im Gespräch sind fünf Indikatoren: Leistungsbilanzsalden, reale Wechselkurse, Währungsreserven, Haushaltsdefizite plus Schuldenstand eines Landes sowie die jeweilige private Sparquote.
Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums soll es bei den Instrumenten keine konkreten Vorgaben oder Quoten zum Abbau der Ungleichgewichte geben. Dies hatte Deutschland, das wegen seiner Exportüberschüsse in der Kritik steht, in der Vergangenheit immer strikt abgelehnt. “Es wird keine spezifischen Zielgrössen für einzelne Indikatoren geben, die ein Land erreichen muss”, hiess es in Berlin.
Bis zum abschliessenden Weltwirtschaftsgipfel im November in Cannes sollen Deutschland und Mexiko den G20-Partnern Empfehlungen für ein neues Weltwährungssystem unterbreiten. Beide Länder leiten die entsprechende Finanz-Arbeitsgruppe der G20. Dabei geht es auch um die massiven Probleme der zuletzt stark zugenommenen Kapitalströme. Starke Schwankungen von Kapitalzu- und -abflüssen machen vor allem Schwellenländern wie Brasilien oder der Türkei Probleme. Brasilien hatte den Begriff “Währungskrieg” geprägt.
“Vorsichtig” gesprochen werden soll den Angaben zufolge auch über das Rekordniveau bei den weltweiten Währungsreserven. Allein China hat umgerechnet mehr als 2,8 Billionen US-Dollar gehortet – nicht nur in der US-Währung ist das Geld angelegt, sondern auch in den Euro.
Weiteres grosses G20-Thema sind die enorm gestiegenen Preise für Rohstoffe und Nahrungsmittel. “Das stellt viele Länder und Regionen vor besondere Herausforderungen”, hiess es im Finanzministerium. Experten schätzten, dass 29 Länder die Nahrungsmittelknappheit ohne externe Hilfe nicht bewältigen können. Etwa eine Milliarde Menschen – also jeder sechste Einwohner – würden inzwischen wieder als unterernährt eingestuft.
Insgesamt geht es auch um eine besser Aufsicht bei spekulativen Finanzprodukten im Handel mit Metallen oder Nahrungsmitteln. Im Rohölhandel sorgt bereits eine gemeinsame Datenbank (Jodi/Joint Oil Data Initiative) für mehr Transparenz bei Angebot und Nachfrage. Ein solches Instrument könnte ausgedehnt werden auf andere Bereiche.
G20-Dauerthema bleibt die weitere Reform der Finanzmärkte. “Es ist nicht so, dass wir es uns leisten können, einen Gang zurückzuschalten – im Gegenteil”, hiess es in Berlin. Auf der Tagesordung steht nun der Umgang mit systemrelevanten Finanzinstituten (Sifi). Bis Mitte des Jahres soll feststehen, welche Institute global systemrelevant sind.
Bis Ende 2011 könnten dann zusätzliche Eigenkapitalauflagen für solche Institute folgen. Es geht hier auch um Nicht-Banken wie Versicherer oder Hedge-Fonds. Mit Blick auf Geldwäsche und Terrorfinanzierung ist es zudem Ziel, vor dem Gipfel in Cannes eine Liste mit nicht kooperativen Ländern zu erstellen./sl/DP/jha

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft