Kürzlich hat das Bundesgericht entschieden, in der Schweiz gebe es kein verfassungsmässiges Recht auf Heimunterricht. Dies, nachdem eine Mutter aus dem Kanton Basel-Stadt, die ihren hochbegabten Sohn daheim unterrichten wollte, Berufung eingelegt hatte. Die Mutter hatte erklärt, dass das lokale Bildungssystem nicht gut genug für ihr hochbegabtes Kind und ihr Vertrauen in das System erschüttert sei.
Mit dem Bundesgerichtsurteil geriet diese Praxis ins Scheinwerferlicht – und sorgte für zahlreiche Reaktionen. Warum entscheiden sich – angesichts des als hochqualitativ angesehenen Bildungssystems der Schweiz – einige Eltern trotzdem dafür, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten? Das fragten sich viele.
Zunehmend beliebter
In der Schweiz liegt die Bildungshoheit bei den 26 Kantonen. Sie haben unterschiedliche Ansichten, was den Heimunterricht betrifft (siehe Infobox). Weil ihr Heimatkanton zu den restriktiveren in Sachen Heimunterricht gehört, zog die Mutter aus Basel ihren Fall bis vor das Bundesgericht.
Kantonale Unterschiede
In 16 der 26 Schweizer Kantone ist «Homeschooling» erlaubt. Laut dem Tages-Anzeiger werden im Kanton Waadt die meisten Kinder daheim unterrichtet (650), gefolgt von den Kantonen Bern (576), Aargau (246) und Zürich (240).
Im Kanton Basel-Stadt gibt es laut dieser BefragungExterner Link keine Kinder, die Heimunterricht geniessen. Der Kanton fordert vor einer Erteilung der Genehmigung unter anderem den Nachweis, dass ein Kind keine reguläre Schule besuchen kann.
Auch im italienischsprachigen Kanton Tessin werden keine Schülerinnen und Schüler daheim unterrichtet.
Einige Kantone wie Waadt und Neuenburg verlangen lediglich, dass die Behörden informiert werden. In Bern und Genf hingegen muss eine Erlaubnis beantragt werden.
Die Kantone Wallis und Freiburg gehen noch weiter und verlangen, dass ein Elternteil eine qualifizierte Lehrperson ist.
Zürich hat einen Mittelweg gewählt und verlangt eine Lehrerqualifikation nach dem zweiten Jahr Heimunterricht.
Im Eidgenössischen Parlament wurde eine MotionExterner Link eingereicht, um das «Homeschooling» im ganzen Land zu harmonisieren.
Laut einer aktuellen Studie des Tages-AnzeigersExterner Link werden gegenwärtig über 2000 Kinder zu Hause unterrichtet. Und der Trend verstärkt sich. In den fünf Spitzenkantonen haben sich die Zahlen in den letzten fünf Jahren verdoppelt oder sogar verdreifacht.
Der Oberstufenlehrer Willi Villiger ist Präsident des Vereins Bildung zu HauseExterner Link. Er hat zehn schulpflichtige Kinder, die daheim unterrichtet werden. In verschiedenen Interviews sagte er, Heimunterricht sei in der Schweiz ursprünglich von Familien mit christlichem Hintergrund praktiziert worden.
Heute sei es beliebter bei jungen Familien, «die ihre Zukunft strategisch planten und ihren Idealen ‹von Zusammenleben, Erziehung und Bildung› nachlebten», wie er in der Neuen Zürcher ZeitungExterner Link zitiert wird: «Das meistgenannte Motiv für elterlichen Privatunterricht ist die Befürchtung, dass die natürliche Lernfreude der Kinder in der Schule verloren gehen könnte», so Villiger.
Reich fügt als weitere Gründe Faktoren wie den Wunsch hinzu, zweisprachig zu unterrichten, den Spass am Unterrichten der eigenen Kinder und die Berücksichtigung von besonderen Bedürfnissen der Kinder.
Weitere Faktoren für die Wahl des Heimunterrichts waren negative Erfahrungen an regulären Schulen, auch wegen des Verhaltens anderer Kinder und wegen Mobbing. Zudem spielten oft finanzielle Gründe eine Rolle, etwa die Tatsache, dass man sich eine Privatschule nicht leisten könnte.
Einige Kantone lassen die Praxis auch für junge Musikerinnen und Musiker zu, die auf Tournee gehen, oder für Kinder, die mit ihren Eltern auf Tournee gehen.
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SRF 10vor10 vom 16.9.2019: «Homeschooling»: Kein Unterricht zu Hause (Teile in Dialekt -> Untertitel einschalten)
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