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IWF-Chef Strauss-Kahn tritt zurück – Streit um Nachfolge (Zus)

WASHINGTON/BERLIN (awp international) – Der Untersuchungshäftling Dominique Strauss-Kahn ist nicht mehr länger Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der 62-Jährige erklärte am Mittwoch nach dreieinhalb Jahren seinen sofortigen Rücktritt als Direktor der mächtigen Finanzorganisation und zog damit die Konsequenz aus der New Yorker Sex-Affäre. Er wolle den IWF schützen und seine Kraft dafür verwenden, seine Unschuld zu beweisen. Bei der Suche nach einem Nachfolger droht nun ein Machtkampf zwischen Europa und aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China und Brasilien.
Strauss-Kahn war zuletzt immer mehr unter Druck geraten. Er soll am Samstag in einem New Yorker Hotel versucht haben, ein Zimmermädchen zum Sex zu zwingen, und sitzt seit Montag in Untersuchungshaft auf der Gefängnisinsel Rikers Island im New Yorker East River. Strauss-Kahns Anwälte versuchen weiter, ihren Mandanten für eine Kaution von einer Million Dollar freizubekommen. Am Donnerstag deutscher Zeit sollte eine weitere Verhandlung beginnen, an der der Beschuldigte selbst nicht teilnehmen muss.
In der vom IWF verbreiteten persönlichen Erklärung Strauss-Kahns heisst es, er sei “unendlich traurig”, das Amt aufgeben zu müssen. “Ich möchte diese Institution schützen, der ich mit Ehre und Hingabe gedient habe, und vor allem – vor allem – möchte ich all meine Kraft, all meine Zeit und alle meine Energie darauf verwenden, meine Unschuld zu beweisen”, schrieb Strauss-Kahn. “Ich denke in diesem Moment zuerst an meine Frau, die ich mehr als alles andere liebe, an meine Kinder, meine Familie, meine Freunde.”
Strauss-Kahn stand seit Ende 2007 an der IWF-Spitze. Nach dem Rücktritt führt zunächst sein Vize John Lipsky die Geschäfte des Währungsfonds, bis ein neuer Direktor ernannt ist. Um den Chefsessel, der bislang für die Europäer reserviert war, ist bereits ein Streit zwischen Europäern und aufstrebenden Wirtschaftsnationen aus Asien und Südamerika entbrannt. Länder wie China und Brasilien pochen auf Mitsprache bei der Vergabe eines der wichtigsten Posten in der internationalen Finanzwelt.
In die Rolle der Top-Kandidatin der Europäer wurde am Donnerstag die Pariser Finanzministerin Christine Lagarde gebracht – damit ginge aber die französische Dominanz an der IWF-Spitze weiter. Zudem haben sich die Gewichte in der Weltwirtschaft verschoben. Boom-Länder wie China und Indien haben inzwischen mehr Einfluss beim IWF und wollen auch Führungspositionen besetzen.
Wie das “Handelsblatt” (Freitagsausgabe) aus Koalitionskreisen erfuhr, unterstützt die Bundesregierung Lagarde: Deutschland verzichte auf die Benennung eines eigenen Kandidaten. Auch die USA sprechen sich der Zeitung zufolge für die Französin aus. Die Europäer verbinden mit Lagarde die Erwartung, dass sie als IWF-Chefin die Euro-Krise vordringlich managt. Lagarde selbst schweigt bislang zu ihren Ambitionen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor eine schnelle Entscheidung bei der Neubesetzung des IWF-Chefpostens gefordert. Sie begründete den europäischen Anspruch unter anderem mit den anhaltenden Problemen in der Euro-Zone.
Aber auch China und Brasilien meldeten Ansprüche an. Eine Sprecherin des Aussenministeriums in Peking sagte: “Grundsätzlich glauben wir, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer in den Spitzenpositionen vertreten sein sollten.” Aus Sicht von Brasiliens Finanzminister Guido Mantega muss der neue IWF-Chef nicht zwingend ein Europäer sein.
Der IWF spielt gerade in der Bewältigung der Euro-Schuldenkrise eine zentrale Rolle. Bisher machen die US-Amerikaner und die Europäer die Chefposten bei den Washingtoner Finanzinstitutionen unter sich aus. Ein Europäer leitet den Währungsfonds, während ein US-Amerikaner die Weltbank führt.
Unterdessen will Strauss-Kahn bei der Justiz für seine Freilassung eine Kaution von einer Million Dollar (700.000 Euro) hinterlegen. Zudem werde er versprechen, New York nicht zu verlassen, sagten seine Anwälte vor den Verhandlungen. Der 62-Jährige sei auch bereit, eine elektronische Fussfessel zu tragen. Am Montag hatte eine New Yorker Richterin eine Freilassung auf Kaution wegen möglicher Fluchtgefahr abgelehnt. Auch an dem Tag war die Million schon im Gespräch gewesen. Nun sind die Anwälte eine Instanz weiter gegangen.
Das 32 Jahr alte mutmassliche Opfer hatte am Mittwoch mehrere Stunden vor der Grand Jury ausgesagt, die letztlich über einen Prozess zu entscheiden hat. Details der Vernehmung des Zimmermädchens wurden nicht bekannt, sie soll ihre früheren Aussagen aber im Wesentlichen bestätigt haben./hoe/DP/jsl

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