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Gletscherfriedhof Island

Ein riesiger Gletscher, der im Meer endet
Der Vatnajökull-Gletscher in Island ist der volumenmässig grösste Gletscher in Europa. Thorvardur Arnason

Die Gletscher Islands gehören zu den am schnellsten schmelzenden Eisschilden der Welt. Dadurch steigen sowohl das Meer als auch das Land an – mit Folgen für den Tourismus und die Schifffahrt.

Die isländischen Gletscher schmelzen so schnell, dass sich künftige Generationen vielleicht irgendwann fragen, wie der nordeuropäische Inselstaat eigentlich zu seinem Namen kam.

Im «Eisland» sind 70 von 400 GletschernExterner Link bereits verschwunden. Die Gesamtfläche des isländischen Eises ist in den letzten 25 Jahren um etwa 10% geschrumpft, die Gletscherdicke hat um durchschnittlich einen Meter pro Jahr abgenommen, wie Hrafnhildur Hannesdóttir vom isländischen Wetterdienst (IMO) gegenüber SWI swissinfo.ch sagt.

Hannesdóttir ist die isländische Korrespondentin des World Glacier Monitoring ServiceExterner Link (WGMS) mit Sitz in der Schweiz.

«Die Geschwindigkeit des glazialen Massenverlusts gehört zu den höchsten der Welt», ergänzt Hannesdóttir per E-Mail. Und da sich Auswirkungen des abschmelzenden Eises immer deutlicher abzeichnen, bereitet sich Island auf eine Zukunft mit weniger oder gar keinen Gletschern mehr vor.

Gletscher, lokales Schmelzen und globale Auswirkungen

Der World Glacier Monitoring ServiceExterner Link (WGMS) sammelt und analysiert Daten zur Massenbilanz, zum Volumen, zur Fläche und zur Länge der weltweiten Gletscher. Er wurde 1986 gegründet und hat seinen Sitz an der Universität Zürich.

Der WGMS verfügt über ein Netzwerk von nationalen Korrespondentinnen und Korrespondenten in über 40 Ländern.

Im Internationalen Jahr der Gletschererhaltung haben wir einige von ihnen kontaktiert, um mehr über den Zustand der Gletscher in ihrer Region, die Folgen der Eisschmelze und Anpassungsstrategien zu erfahren.

Die Eisinsel wird zum Gletscherfriedhof

2014 hatten Glaziologinnen und Glaziologen den Okjökull-Gletscher im Landesinnern aufgrund des menschengemachten Klimawandels für «tot» erklärt – das erste derartige Verdikt für einen isländischen Gletscher.

Noch ist der Gletscher nicht vollständig verschwunden, seine Eisschicht ist aber mittlerweile so dünn, dass die Schwerkraft nicht mehr ausreicht, dass der Gletscher den Berghang hinunterfliesst.

Zum ersten Mal seit Zehntausenden von Jahren bewegt sich der Gletscher nicht mehr, wie ein kürzlich erschienener wissenschaftlicher Bericht erläutertExterner Link.

Anderen Gletschern droht ein ähnliches Schicksal. 2024 entstand in Island der erste Gletscherfriedhof der Welt – ein Projekt, das von der Rice University in Houston, USA, initiiert wurde.

Fünfzehn aus Eis gehauene Grabsteine in der Nähe der Hauptstadt Reykjavik erinnern an Gletscher auf der ganzen Welt, die aufgrund des Klimawandels verschwunden oder gefährdet sind.

Dazu gehört auch der Pizolgletscher in der Ostschweiz, der 2019 für abgeschmolzen erklärt wurde.

Grabsteine aus Eis auf einem Grasfeld
Der Gletscherfriedhof in Island. Josh Okun / Joklarannsoknafelag

Gletscher bedecken derzeit etwa 11% der isländischen Landfläche (Schweiz: 2%). Zwischen 2000 und 2010 verlor Island mehr Gletschermasse, als dies gegenwärtig der Fall ist, stellt Hannesdóttir fest. Grund für die momentane Verlangsamung des Abschmelzens könnte der Einfluss der nordatlantischen Winde auf das Klima der Insel sein.

Dennoch ziehen sich die grossen isländischen Gletscher wie der Mýrdalsjökull, der Langjökull und der Vatnajökull – volumenmässig die grössten in Europa – jedes Jahr um mehrere hundert Meter zurück. Wenn die Temperaturen weiter steigen, wird Island in 200 Jahren praktisch eisfrei seinExterner Link.

Vorher-Nachher-Bild eines Gletschers
Entwicklung des Hoffellsjökull-Gletschers in Island von 1989 bis 2020. LMÍ (links), Kieran Baxter / Islenskirjoklar.is (rechts)

Gletscherabfluss zur Stromerzeugung

Das Schmelzwasser der isländischen Gletscher wird zur Erzeugung von Strom aus Wasserkraft genutzt. Dieser macht etwa 73% der in Island erzeugten Elektrizität aus, der Rest stammt aus geothermischer Energie.

Da aufgrund der globalen Erwärmung in Zukunft mehr Wasser von den Gletschern abfliessen dürfte, plant Island in den kommenden Jahrzehnten einen Ausbau seiner Wasserkraftproduktion.

Danach wird die Menge an Gletscherwasser jedoch wieder zurückgehen. Der «Peak Water» – also der Zeitpunkt, an dem der Schmelzwasserabfluss von den Gletschern am höchsten ist – wird in Island voraussichtlich in 40 bis 50 Jahren erreichtExterner Link.

In den Schweizer Alpen ist diese Spitze in einigen Regionen bereits heute erreicht, in anderen wird dies in den nächsten Jahren der Fall sein.

Wie stark das Schmelzwasser der isländischen Gletscher in den kommenden Jahren zunehmen wird, hängt vom Klima im Nordatlantik ab. Dazu gehört auch der so genannte «kalte Fleck», ein Bereich des Ozeans, in dem sich die Luft abgekühlt hat, anstatt sich wie andernorts auf der Erde zu erwärmen, erklärt Hannesdóttir.

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Anstieg des Meeresspiegels und Landhebung

Würden alle isländischen Gletscher komplett abschmelzen, könnte dies einen Anstieg des Meeresspiegels um 1 cm zur Folge haben. Ähnliches würde gemäss einer 2013 veröffentlichten StudieExterner Link passieren, wenn alle Gletscher im Himalaya schmelzen würden.

Der Rückzug der Gletscher führt auch dazu, dass sich die Landmasse hebt. Über die Jahrtausende hat das Gewicht der Gletscher die Erdkruste in den weicheren Erdmantel gedrückt, ähnlich wie bei einer Matratze mit Memory-Effekt. Schmilzt nun das Eis, nimmt der Druck auf die Erdkruste ab, und der Boden hebt sich an.

In der Gegend um den Vatnajökull-Gletscher hebt sich der Boden um etwa 1 cm pro Jahr. «Dies wirkt sich beispielsweise auf den Hafen der Gemeinde Höfn im Südosten Islands aus, wo die Wassertiefe immer geringer wird. Das führt zu Problemen im Schiffverkehr», sagt Hannesdóttir.

Durch die Gletscherschmelze werden Berghänge instabiler. Die Folgen sind Steinlawinen und ein erhöhtes Überschwemmungsrisiko durch die Bildung von Gletscherseen.

Millionen von Menschen sind von Gletscherläufen bedroht. Massnahmen zur Minderung solcher Katastrophen sind gefragt. Das ist aber leichter gesagt als getan:

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Wälder in neuen Gletschervorfeldern

Island begegnet der Gletscherschmelze mit einem gesamtheitlichen Konzept, das die Verhütung von Naturkatastrophen, Klimaanpassungsstrategien und die Anpassung der Infrastruktur umfasst.

Etwa 2,3 Millionen Touristinnen und Touristen besuchten Island 2024Externer Link. Hannesdóttir hält fest, dass man bereits begonnen habe, das Umfeld von Gletschern sowie touristisch genutzte Zonen auf mögliche Erdrutsche zu überwachen.

Die Kartierung der Gletschertopografie sei ebenfalls von entscheidender Bedeutung, so Hannesdóttir. Der sich ändernde Verlauf der Gletscherflüsse habe Auswirkungen auf Strassen, Brücken und andere Infrastrukturen.

Landsvirkjun, das staatliche Elektrizitätswerk Islands, plant den Bau neuer Turbinen und die Erweiterung bestehender Wasserkraftwerke. Neben dem vermehrten Schmelzwasser der Gletscher kann sich die Wasserkraftindustrie auf eine Zunahme der Niederschläge verlassen, die gemäss Prognosen der IMO aufgrund des Klimawandels bis 2050 zwischen 1,2% und 4,3% zunehmen werden.

Die isländische Regierung fördert zudem die Wiederaufforstung in Gebieten, die durch den Rückzug der Gletscher frei geworden sind. Die Waldfläche soll bis zum Ende des Jahrhunderts verfünffacht werden. Und wer weiss: Vielleicht wird aus dem «Eisland» eines Tages ein «Waldland».

Grafik über Gletschermassenverlust
SWI swissinfo.ch / Kai Reusser

Editiert von Gabe Bullard/vdv, Übertragung aus dem Italienischen: Lorenz Mohler/raf

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