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Landwirtschaft weiterhin unter Druck

Im Vallée de Joux im Kanton Waadt machte die aussergewöhnliche Trockenheit des Sommers dem Vieh schwer zu schaffen. © Keystone / Jean-christophe Bott

Mit dem Nein zur Massentierhaltungsinitiative haben die Schweizer:innen erneut ihre Verbundenheit mit der Landwirtschaft betont. Dennoch müssen sich Bäuerinnen und Bauern für zukünftige Debatten rüsten. Eine Analyse.

Landwirt:innen in der Schweiz können aufatmen, zumindest diejenigen, die sich gegen das Verbot der Massentierhaltung ausgesprochen haben. Für sie war die Abstimmungskampagne ein Déjà-vu-Erlebnis, auch wenn sie etwas weniger emotional geführt wurde als jene zum Pestizidverbot im vergangenen Jahr.

Die ländliche Bevölkerung trat geschlossen gegen den Angriff der Tierrechtsaktivist:innen und Umweltverbände an. Abweichende Stimmen hatten es schwer, sich Gehör zu verschaffen; einige Bäuerinnen und Bauern, die die Initiative befürworteten, zogen es sogar vor, aus Angst vor Repressalien zu schweigen. 

Wie bei früheren Abstimmungen, bei denen die Landwirtschaft im Mittelpunkt stand – Pestizide, Hornkuh oder nachhaltige Lebensmittel –, stellte sich das Volk hinter die Argumente des Bauernverbandes, der traditionell gute Verbindungen zur Politik pflegt.

Bäuerinnen und Bauern haben es satt

In einem für Experimente ungünstigen Umfeld – in Europa herrscht Krieg und Angst vor Knappheit und Inflation – setzten sich die vorsichtigen Stimmen durch. Die Bürger:innen, die in erster Linie Konsument:innen sind, wollen ihre Lebensmittel weiterhin selbst wählen und zu einem erschwinglichen Preis kaufen können.

Wie bei früheren Abstimmungen gab es auch diesmal ein vorherrschendes Argument: die ausländische Konkurrenz. Jede Verschärfung der Bedingungen für die Landwirtschaft in der Schweiz öffne importierten und vermeintlich minderwertigen Lebensmitteln Tür und Tor, behauptet die Agrarlobby. 

Doch trotz des komfortablen Sieges an der Urne hat diese x-te Schlacht ihre Spuren in der ländlichen Schweiz hinterlassen.

“Die Landwirte haben es satt, sich ständig rechtfertigen zu müssen. Sie wollen von der städtischen Bevölkerung, die in ihren Augen eine idealisierte Vorstellung von der Landwirtschaft hat und immer höhere Ansprüche stellt, nicht länger als Giftmischer oder Tierquäler wahrgenommen werden”, sagt Jérémie Forney, Professor für Anthropologe und Landwirtschaftsexperte an der Universität Neuenburg.   

Das politische System der Schweiz ermöglicht es kleinen Gruppen, radikale Veränderungen zu fordern, auch wenn sie über keine grosse politische Basis verfügen. “Da es relativ einfach ist, die Landwirtschaft ins Visier zu nehmen, wird diesem Wirtschaftszweig die gesamte Verantwortung für eine viel breitere und komplexere Problematik aufgebürdet”, kritisiert Forney. “Man versucht, ihr massive Einschränkungen aufzuerlegen, während beispielsweise die sakrosankte Freiheit der Konsument:innen nie in Frage gestellt wird.”

Opfer und Schuldige

Auch wenn die Schweiz ein Land mit einer bürgerlichen Mehrheit bleibt, muss sich die Landwirtschaft weiterentwickeln, um auch in Zukunft an der Urne bestehen zu können. “Es sind nicht mehr nur die extremen Veganer, die uns sagen, dass wir weniger Fleisch essen sollen – dieser Diskurs wird von der Wissenschaft und der Politik getragen”, sagt Forney. “Deshalb können sich die Vertreter der institutionellen Landwirtschaft auch nicht länger hinter einfachen Argumenten verstecken. Stattdessen müssen sie Alternativen aufzeigen und sich dem Dialog stellen.” 

Das Bild der friedlich grasenden Kuh in der Schweizer Postkartenlandschaft hat im vergangenen Sommer einen tiefen Riss erlitten. Fotos von ausgetrockneten Weiden und Berichte über Landwirt:innen, die ihre Tiere sterben lassen mussten, weil das Futter fehlte, hinterliessen bei vielen einen bleibenden Eindruck. Die extreme Dürre war wie ein Weckruf: Die Bevölkerung erkannte, dass die Klimaerwärmung nicht mehr nur die schwächsten Staaten, sondern auch die Schweiz trifft.  

Rinder, die besonders stark unter dem heissen und trockenen Sommer gelitten haben, sind auch jene Nutztiere, die den grössten Einfluss auf die globale Erwärmung haben, da sie viel Methan produzieren. Und so war die Frage der Emissionen auch Teil der Argumentation des Initiativkomitees. Die Gegnerschaft reagierte und liess es sich nicht nehmen, Unsinniges anzuprangern: Zum Beispiel die Tatsache, dass in Brasilien gigantische Flächen Regenwald gerodet werden, damit Soja angebaut werden kann, mit dem am Ende auch Schweizer Rinder gemästet werden.  

Welche Auswirkungen unsere Ernährung auf die Umwelt hat: Treibhausgasemissionen der Lebensmittelproduktion über die gesamte Lieferkette hinweg betrachtet:

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Auch wenn die Energiekrise derzeit im Fokus der Öffentlichkeit steht, wird der Themenkomplex Landwirtschaft, Umwelt und Klima nicht von der politischen Agenda verschwinden. Es ist so gut wie sicher, dass in den nächsten Jahren neue Initiativen folgen werden. “Die gute Nachricht ist, dass sich die Schweizer Bürger:innen trotz episodischer Spannungen noch nie so sehr für die Landwirtschaft interessiert haben wie aktuell. Und da eine neue Generation von Bauern heranwächst, die für Neues bereit ist und dem Verbraucher die Hand reichen will, hat die Landwirtschaft alle Karten in der Hand, um aus dem Abstimmungssieg Kapital zu schlagen”, sagt Forney. 

Die Bürger:innen müssen aber nicht bis zur nächsten Abstimmung warten, um ihre Meinung äussern zu können. Sie können jeden Tag beim Einkauf entscheiden, welche Art von Landwirtschaft sie unterstützen wollen.

Editiert von Balz Rigendinger, adaptiert aus dem Französischen: Christoph Kummer

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Christoph Kummer

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