Iraker in der Schweiz: «Saddam muss weg!»

Es herrscht Krieg in ihrer Heimat. Die USA und ihre Verbündeten gegen den Diktator Saddam Hussein. Für die Iraker in der Schweiz sind beide Kriegsparteien Feinde ihres Volkes.
Ihre Hoffnung: Ein schneller Sturz von Saddam Hussein.
Die rund 9000 Irakerinnen und Iraker in der Schweiz sind verzweifelt. Seit Tagen versuchen sie, ihre Verwandten im Irak zu erreichen.
Der Schriftsteller Ali Al-Shalah, seit zehn Jahren im Exil, konnte vor drei Tagen mit einem Kollegen in Bagdad sprechen: «Die Leute warten, dass diese Katastrophe, und ich meine damit die Regierung in Bagdad, ein Ende hat.»
Als Iraker habe er nur noch eine Hoffnung, sagt Al-Shalah gegenüber swissinfo: «Dass das irakische Militär jetzt, in diesen Tagen, etwas gegen den Diktator unternimmt, bevor das grosse Desaster kommt.»
Saddam ist «das Übel»
Saddam Hussein sei die Ursache des ganzen Krieges, sagt auch der Psychiater Sukar Al-Ghazali. «Er tyrannisiert das irakische Volk seit 34 Jahren.» Ein Machtwechsel sei dringend notwendig, «aber nicht mit einer amerikanischen Invasion».
Er wünscht deshalb seinen Landsleuten «die Kraft und den Willen, das Regime zu stürzen – ohne die Amerikaner. Aber vielleicht ist das zu spät.»
Vor vier Tagen telefonierte Al-Ghazali noch mit seinem Bruder: «Die Menschen sind nervös, ratlos, verzweifelt. Sie beten nur. Sie wissen nicht, wie es weitergeht.» Seither hat er nichts mehr von ihm gehört.
Auch der Physiker Hamid Al-Zerjawi ist in Sorge um seine Verwandten im Süden Iraks. «Die Angst frisst uns auf», sagte er gegenüber dem Schweizer Fernsehen. Er befürchtet, dass sich Saddam Hussein mit der Armee gegen das eigene Volk wenden könnte.
Blutige Rache
Die Angst ist nicht unbegründet: 1991 hatte sich das irakische Volk gegen Saddam Hussein aufgelehnt. Doch nach dem Rückzug der amerikanischen Truppen waren sie auf sich allein gestellt. Saddams Rache war grausam.
Al-Ghazali: «Er hat zurückgeschlagen mit Bomben, mit Giftgas, mit Raketen und den Widerstand liquidiert. Das irakische Volk hat das nicht vergessen.»
Auch der Flüchtling Alwan Al-Amir Taha erinnert sich mit Schrecken an die Zeit nach dem Aufstand: «Wir haben die Folterungen und die Hinrichtungen erlebt. Wir haben furchtbare Angst vor Saddams Regime.»
Seine Familie hat die Folgen ganz direkt zu spüren bekommen: Zwei seiner vier Kinder sind seit dem Krieg von 1991 behindert. Er verliess darauf seine Heimat mit Frau und Kindern.
Flüchtlinge können bleiben
Seit dem letzten Golfkrieg haben viele Menschen den Irak verlassen. Im zweiten Halbjahr 2002 flüchteten pro Monat zwischen 100 und 150 Irakerinnen und Iraker in die Schweiz. Im Januar 2003 waren es 202, im Februar schon 241.
Deren Status werde erst nach Kriegsende definiert, sagt das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF). Zudem seien Entscheidungen über Rückschaffungen allfälliger Flüchtlinge auf Eis gelegt. Auch würden derzeit keine Asylgesuche irakischer Bürger abgelehnt.
Von den rund 9000 Irakerinnen und Irakern in der Schweiz besitzen 2644 einen Ausländerausweis. Rund 3000 sind anerkannte Flüchtlinge und 3150 sind provisorisch aufgenommen, darunter 450, deren Rückschaffung nun zurückgestellt wurde.
Hoffnungsschimmer Demokratie
Sie alle hoffen nun, wie Psychiater Al-Ghazali es gegenüber swissinfo ausdrückt, «dass Saddam einfach abhaut». Denn: «Wir hätten am liebsten keinen Krieg und keinen Saddam.»
Auch Al-Zerjawi hofft, «dass der Frieden schnell kommt, dass Demokratie und Menschenrechte in den Irak kommen.» Und der Student Addulfi Salah doppelt nach: «Ich sehe eine gute Zukunft für mein Land: Freiheit und Demokratie.»
Der Flüchtling Hussein Zameli betont, dass er viel von der Schweiz gelernt hat: «Wir möchten gerne unsere Erfahrungen zurück in den Irak mitnehmen, und dort für den Aufbau einsetzen.»
Diese Zukunft jedoch sehen sie ohne die Amerikaner. Denn diese seien mitschuldig am grossen Leiden des irakischen Volks. «Die USA haben diesen Diktator aufgebaut, wie man ein Haus baut», sagt Schriftsteller Ali Al-Shalah.
Und für Sukar Al-Ghazali ist klar: «Das irakische Volk traut den Amerikanern nicht. Die USA glauben, eine Kolonie wie in Afghanistan einzurichten. Wenn sie das tun, wird es für sie schlimmer als Vietnam.»
swissinfo, Christian Raaflaub
Irakerinnen und Iraker in der Schweiz: rund 9000
davon Etablierte, mit Ausländerausweis: 2644
davon Anerkannte Flüchtlinge: rund 3000
davon Provisorisch Aufgenommene: 3150 (darunter 450 sistierte Rückschaffungen)
Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) hat für die Irakerinnen und Iraker in der Schweiz gleich nach Ausbruch des Krieges einen Suchdienst und eine Infoline eingerichtet.
Angehörigen von Flüchtlingen und Vertriebenen soll mit der Vermittlung von Informationen geholfen werden.

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