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Pinochet intim, Immigranten unter der Erde

Pinochet mit seinen Generälen am 20. September 1973, wenige Tage nach dem blutigen Putsch. Keystone

Ein Schwerpunkt des Filmfestivals Freiburg sind Dokumentarfilme. "Pinochet et ses trois Généraux" ist ein authentisches, entlarvendes Porträt der Militärjunta.

“Cantando Bajo la Tierra” zeigt Strassenmusiker in Madrid. Zumeist Immigranten aus Südamerika, Osteuropa und Afrika.

Ein chilenischer Bischof bewundert General Pinochet als grossen Staatsmann, “vergleichbar mit General Franco”. Pinochet habe Chile zur Ruhe gebracht und sei “ein guter Christ”.

Der in Frankreich lebende spanische Filmemacher José Maria Berzosa hat die Bilder zu seinem Dokumentarfilm “Pinochet et ses trois Généraux” 1977, also wenige Jahre nach dem 11. September 1973, gedreht. Erst im vergangenen Jahr hat er den Film geschnitten und produziert.

“In Chile haben wir keine Gefangenen und keine Verschwundenen”, sagt Pinochet im Film. “Die Gefangenen sind von den Gerichten verurteilt, die Verschwundenen sind eine reine Erfindung unserer Gegner im In- und Ausland”, lügt er vor laufender Kamera.

Bewunderer der “amerikanischen Demokratie”

José Maria Berzosa gelang es, den Präsidenten und seine drei Generäle für längere Interviews zu gewinnen. Neben Pinochet traten der Marinechef, Admiral Toribio Merino, Luftwaffenchef General Gustavo Leigh, und César Mendoza, Generaldirektor der Carabineros vor die Kamera.

Die Generäle sitzen in Uniform in ihrem Büro und in lockerer Freizeitkleidung, in Begleitung der Ehefrau zu Hause im Wohnzimmer, spielen mit Haustieren und Enkelkindern. Jeder redet über Politik, über Musik, Kunst, Philosophie und beantwortet die Frage, was für ihn “Glück” bedeute.

Dabei tischen sie unentschuldbare Lügen auf, bewundern Franco und die “amerikanische Demokratie” und verstricken sich in Widersprüche. Das geschieht über weite Strecken ruhig und in einem lockeren Plauderton.

Glück? – nicht ohne christliche Nächstenliebe

Pinochet wettert gegen die Christdemokraten und erklärt im selben Atemzug, er möge nicht über politische Parteien reden. Die Massaker an seinen Gegnern leugnet er kurzum ab.

General Leigh versteigt sich zur Behauptung, er trete sofort zurück, wenn die Menschenrechte in seinem Chile auch nur einmal verletzt würden.

Die Generäle definieren Glück über glückliche Familien und zufriedene Enkelkinder. Die Gattinnen erzählen von ihrer Tätigkeit in sozialen Institutionen und davon, dass zum glücklich Sein auch das Engagement für weniger gut gestellte Menschen gehört.

“Pinochet et ses trois Généraux” ist ein einmaliges, ironisch distanziertes und damit kritisches Dokument über die Gedankenwelt und die politische Haltung der chilenischen Militärjunta.

Während die Regenten das von ihnen “beruhigte” Land loben, entlarven die authentischen und belastenden Zeugenaussagen von Frauen, deren Männer seit Jahren spurlos verschwunden sind, das Lob als Propaganda.

Musiker im Dauerschatten

“Cantando Bajo la Tierra” von Rolando Pardo lief in Freiburg ebenfalls im Wettbewerb um den besten Dokumentarfilm. Der Kubaner zeigt die Welt von Strassenmusikern aus Osteuropa, Südamerika, Afrika und Nordamerika, die sich in Madrid durchschlagen.

Auf der Strasse des Erfolges waren sie schon vor der Globalisierung nicht, die Musiker, die unter der Erde, in den U-Bahn-Schächten, ihr Geld verdienen müssen.

In “Cantando Bajo la Tierra” erzählen sie aus ihrem Leben, von ihren (zerbrochenen) Träumen und Hoffnungen. Frau und Kinder leben zu Hause. Der Film zeigt die Musiker bei der Arbeit, in ihren bescheidenen Wohnungen, mit Kollegen und Freunden in der Bar.

Träumen von der gelobten Stadt

Jeder hat seinen Traum von einem besseren Leben. Doch der hat meist mit der Vergangenheit zu tun. Einer war einmal in seiner kubanischen Heimat ein Star. Nun sucht er in Madrid seinen ehemaligen Duo-Partner.

Ein Perkussions-Spieler stand vor Jahren vor einer grossen Karriere, als ihn sein erfolgreicher brasilianischer Landsmann Nanà Vasconcelos nach New York holen wollte. Er ist in Madrid geblieben, demonstriert seine unbestrittene Virtuosität, muss aber weiterhin unter die Erde zur Arbeit.

Ein alternder, schlitzohriger Kauz trägt stets seine Gitarre am Rücken, war 1968 in Paris bei den Unruhen dabei, hat einmal als Statist in einem Hollywoodfilm mitgewirkt und träumt von der nächsten Studentenrevolte oder wenigstens davon, das nächste Flugzeug nach Berlin oder Kairo zu besteigen.

Paco de Lucia – das Wunderkind

Andere produzieren im Wohnzimmer mit einfachsten Mitteln ihre CDs und kommen doch nicht weiter. Die Arbeit ist hart und teilweise illegal. Die Anerkennung klein, der Verdienst minimal. Doch keiner klagt: Spanien sei ein gutes Land, die Leute in der U-Bahn seien spendabel.

Keinem wird der Aufstieg in die bessere Welt über der Erde gelingen. “Cantando Bajo La Tierra” ist dennoch ein Film mit viel Schalk und Humor. Die einen pfeifen auf mehr Geld, andere träumen davon.

Einer glaubt nicht mehr daran: ein Flamenco-Gitarrist, der als Kind im Haus neben dem Flamenco-Star aufgewachsen ist. “Paco de Lucia hat schon mit dreizehn seiner erste Platte aufgenommen. Er war ein Wunderkind. Wir bringen es zu nichts.” – So treffen sich alle am nächsten Tag wieder drunten bei der U-Bahn.

swissinfo, Andreas Keiser, Freiburg

Das 19. internationale Filmfestival Freiburg findet vom 6. bis 13. März statt.

Es zeigt insgesamt 102 Filme und ein Rahmenprogramm mit Diskussionen und Foto-Ausstellungen.

Das Festival wird unterstützt von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), den Gemeinden der Agglomeration Freiburg, dem Kanton Freiburg und der “Loterie Romande”.

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