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POLITIK/Aiman al-Sawahiri möglicher Nachfolger Bin Ladens

Berlin (awp/sda/afp) – Aiman al-Sawahiri galt schon vor der Tötung Osama bin Ladens als das eigentliche Hirn des Al-Kaida-Netzwerks und könnte nun auch offiziell Bin Ladens Nachfolge antreten.
Der wortgewandte Vordenker des islamischen Extremismus entwickelte sich in den vergangenen Jahren zum Sprachrohr Bin Ladens, dem der studierte Mediziner auch als Leibarzt diente. Rasch brachte er es im Al-Kaida-Netzwerk zur Nummer zwei.
Gemeinsam mit Bin Laden soll der heute 59-jährige Sawahiri der intellektuelle Wegbereiter der Anschläge vom 11. September 2001, aber auch auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania sein.
Zuletzt rief der im Juni 1951 in einer bürgerlichen Familie geborene Sawahiri in einer im Internet veröffentlichten Videobotschaft Muslime zum Kampf gegen die NATO und die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi auf. Immer wieder sagte er dem Westen eine Niederlage im Irak und in Afghanistan voraus.
In einer im Februar im Internet aufgetauchten Erklärung appellierte Sawahiri an seine Gefolgsleute, bei künftigen Anschlagsplanungen “neue Wege” zu gehen. Zugleich beklagte er, dass die muslimische Welt bei Technologie und Waffentechnik hinter dem Westen hinterherhinke.
Sawahiris Werdegang weist ihn als regelrechten Karriere-Islamisten aus: In seiner Heimat Ägypten wandte er sich schon als Jugendlicher dem radikalen Islam zu. Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums an der Universität Kairo 1974 machte er sich mit leidenschaftlichen Plädoyers gegen den Westen und für eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Glaubens einen Namen im radikalislamischen Untergrund.
Seine Gruppe Al-Dschihad soll die Fäden bei der Ermordung des prowestlichen Staatspräsidenten Anwar al-Sadat im Oktober 1981 gezogen haben. Sawahiri verbüsste dafür eine dreijährige Haftstrafe. 1992 startete Al-Dschihad eine Attentatsserie in Ägypten. 1999 wurde Sawahiri in Abwesenheit zum Tod verurteilt.
In Afghanistan hielt sich Sawahiri nach Angaben des islamistischen Anwalts Muntasser al-Sajat, der ihn gut kannte, erstmals 1979 und dann noch einmal 1980 auf. Er versorgte dort die im Kampf mit den sowjetischen Truppen verletzten Mudschahedin.
Mitte der 80er Jahre setzte sich der Glaubenstheoretiker mit einer Handvoll Getreuer endgültig aus Ägypten ab und gelangte nach mutmasslichen Zwischenstationen in Saudi-Arabien, im Sudan und den Vereinigten Staaten nach Afghanistan. 1998 gründete er im pakistanischen Peshawar zusammen mit Bin Laden die Front für die Befreiung der Heiligtümer des Islam.
Sawahiri veröffentlichte mehrere Abhandlungen über radikalislamische Politikkonzepte und verfasste zahlreiche Gedichte. Der von Sajat als in sich gekehrter Intellektueller beschriebene Mann, der stets mit leiser Stimme spricht, hat jahrelange Erfahrung im extremistischen Kampf.
Laut Informationen vom Dezember 2001 verlor er bei einem US-Angriff auf das afghanische Kandahar während der Offensive zum Sturz der Taliban seine Frau, seine beiden Töchter und seinen Sohn. Von den USA und Interpol wird Sawahiri weltweit gesucht.
mk

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