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POLITIK/LIBYEN: Luftschläge gegen Regime – Gaddafi droht mit Vergeltung

Tripolis (awp/sda) – Mit massiven Luftschlägen hat eine internationale Streitmacht die UNO-Resolution gegen das Regime des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi umgesetzt. Damit sollen weitere Angriffe der Gaddafi-Truppen auf das eigene Volk verhindert werden.
Die von der UNO beschlossene Flugverbotszone über Libyen sei nun “wirksam eingerichtet”, erklärte US-Generalstabschef Mike Mullen am Sonntag im amerikanischen Sender CNN.
US-Vizeadmiral William Gortney sagte vor Journalisten im Pentagon, dies sei die erste Phase zur Durchsetzung der vom UNO-Sicherheitsrat autorisierten Flugverbotszone in Libyen, mit der Gaddafi an Angriffen auf die eigene Bevölkerung gehindert werden solle.
Die Militäraktion habe zwei Ziele: Angriffe der Gaddafi-Truppen auf Rebellen zu unterbinden und die Fähigkeit der libyschen Streitkräfte zu mindern, sich gegen die Flugverbotszone zu wehren.
Amerikanische, französische und britische Kampfflugzeuge hatten seit Samstag die libysche Luftabwehr weitgehend ausgeschaltet und viele Landebahnen zerstört. Von Überwasserschiffen und U-Booten wurden mehr als 100 Marschflugkörper auf Einrichtungen der Gaddafi-Truppen abgefeuert.
Gaddafi kündigte einen “langen, ruhmreichen Krieg” gegen die “Kreuzritter” und “neuen Nazis” an. Eine Million Libyer würden dafür bewaffnet. Er habe die Waffendepots öffnen lassen, sagte Gaddafi. Das ganze Mittelmeer werde “zum Schlachtfeld”, drohte er.
Unterdessen setzten die Gaddafi-Truppen ihre Angriffe auf Regimegegner auch am Sonntag fort. Schwere Kämpfe wurden vor allem aus der rund 200 Kilometer östlich von Tripolis gelegenen Stadt Misrata gemeldet. Die Stadt würde von drei Seiten mit Artilleriegeschützen beschossen, sagte ein Einwohner der BBC. Panzer würden ins Stadtgebiet vorrücken. Auch Wohngebiete lägen unter schwerem Feuer.
Ein Sprecher der Rebellen sagte, Misrata werde in Grund und Boden geschossen. Die Lage für die Zivilbevölkerung werde dort immer dramatischer.
Noch vor Beginn des internationalen Militäreinsatzes hatten Gaddafis Truppen einen Überraschungsangriff auf Benghasi unternommen. Die Kämpfe reichten bis dicht ans Zentrum der Stadt heran, der Angriff konnte von den Aufständischen aber abgewehrt werden. Mindestens 90 Menschen seien dabei ums Leben gekommen, sagten Spitalärzte dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira.
Während in Washington und London die ersten Angriffe als Erfolg bezeichnet wurden, bedauerten mehrere Länder den Einsatz, darunter Russland und China, die im UNO-Sicherheitsrat auf ein Veto verzichtet hatten.
Russland kritisierte, durch Luftschläge auf Brücken und andere nicht rein militärische Ziele seien auch mindestens 48 Zivilisten ums Leben gekommen. Solche Luftschläge seien von der UNO-Resolution nicht gedeckt. Auch China und Indien bedauerten den Einsatz militärischer Gewalt. Russland, China, Indien, Deutschland und Brasilien hatten sich bei der Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat über die Libyen-Resolution enthalten.
Die Arabische Liga zeigte sich angesichts von Berichten über zivile Todesopfer besorgt. “Für den Schutz der Zivilisten braucht man keine Militäroperationen”, sagte der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa. Er hatte die Mitgliedsstaaten der Organisation in der vergangenen Woche dazu gedrängt, eine UNO-Resolution für eine Flugverbotszone zu fordern.
Der internationale Militäreinsatz stützt sich auf eine UNO-Resolution, die den Einsatz aller notwendigen Mittel erlaubt, um die libysche Zivilbevölkerung vor den Angriffen der Gaddafi-Truppen zu schützen – ausser Bodentruppen. Der UNO-Sicherheitsrat hatte sie in der Nacht zum Freitag verabschiedet.
Der Militäreinsatz begann am Samstagnachmittag, nach einem Libyen-Gipfel in Paris, bei dem internationale Spitzenpolitiker die Umsetzung der UNO-Resolution erörterten.
US-Präsident Barack Obama hatte den Einsatzbefehl an seine Streitkräfte für eine “begrenzte Militäroperation in Libyen” gegeben. “Diese Aktion hat jetzt begonnen”, sagte Obama bei seinem Besuch in Brasilien.
Unterdessen kündigte auch Katar seine Beteiligung am Militäreinsatz an. Und auch bei der NATO zeichnete sich eine direkte Beteiligung ab, wie Diplomaten am Sonntag in Brüssel berichteten.
Nach Angaben der libyschen Behörden wurden bei den Angriffen bis Sonntagnachmittag 64 Menschen getötet und 150 weitere verletzt. Die Behauptung des Gaddafi-Regimes, auch Dutzende Zivilisten seien getötet worden, bezeichnete der britische Verteidigungsminister Liam Fox als Propaganda.
Die Angriffe seien mit sehr zielgenauen Waffen ausgeführt worden, “die so konstruiert sind, dass sie Opfer unter Zivilisten oder andere Kollateralschäden minimieren”, sagte er.

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