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«Fall News of the World in der Schweiz kaum möglich»

Mit der Maske des Medienzaren: Kritiker beschuldigen Rupert Murdoch der Nachrichten-Verbrechen. Keystone

Grossbritannien wird von einem Abhörskandal erschüttert, ausgelöst durch ein Boulevardblatt aus dem Murdoch-Imperium. Die Affäre wirft auch in anderen Ländern die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Medien und dem Schutz der Privatsphäre auf.

Die Schweiz gehört zu den Ländern mit der grössten Zeitungsdichte. Den Löwenanteil der Titel stellen die beiden Medienhäuser Tamedia und Ringier. Generell herscht in allen Verlagshäusern die Meinung vor, dass in der Schweiz Politik und Medien strikt zu trennen seien.

Zwar verfügten Boulevardmedien wie der Blick aus dem Haus Ringier in der Schweiz durchaus über Einfluss, sagt Peter Studer, ehemaliger Chefredaktor des Zürcher Tages-Anzeigers und von 2001 bis 2007 Präsident des Schweizerischen Presserats.

Aber die Schweizer Öffentlichkeit toleriere keine grösseren Einmischungen von Medien in den Privatbereich von Personen, sagt der 76-jährige Publizist und Jurist, der in seiner Laufbahn auch Chefredaktor des Schweizer Fernsehens war.

swissinfo.ch: Könnte sich der britische Skandal, beim dem sich Journalisten Zugang zu Telefonen von Personen verschafften, auch in der Schweiz ereignen?

Peter Studer: Nicht in dieser Form, denn dies ist verboten. Laut den grossen Telekomanbietern verhindern Sicherheitsmassnahmen ein solches Telefon-Hacking. Wie es scheint, war dies aber in Grossbritannien sehr leicht.

swissinfo.ch: In England sind die so genannten Revolverblätter sehr einflussreich. Wie schaut es bei den Boulevardzeitungen in der Schweiz aus?

P.S.: Ihr Einfluss ist beachtlich, weil Blick und SonntagsBlick bezüglich Leserschaft die beiden wichtigsten Titel sind. Das Gewicht ist aber nicht so gross wie dasjenige von britischen Boulevardzeitungen. Dort gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen grossen Boulevard-Sektor, während in der Schweiz die erste Boulevardzeitung 1959 erschien.

Zweitens sind sie nicht derart versessen, in die Privatsphäre anderer Menschen einzudringen, wie es bei den britischen Boulevardzeitungen der Fall ist. In der Schweiz gehen sie nicht so weit. Aber es gibt auch hier solche Fälle, die oft auch vor Gericht ausgetragen werden.

swissinfo.ch: Wie weit geht die Akzeptanz der Schweizer Öffentlichkeit der Berichterstattung von Boulevardmedien über bekannte Personen?

P.S.: Es gab Fälle, die Stirnrunzeln ausgelöst haben. Vor neun Jahren war der damalige Schweizer Botschafter in Berlin Ziel einer sehr aggressiven Einmischung durch Blick und SonntagsBlick. Das führte zu harscher Kritik, nicht nur von Seiten aller anderen Zeitungen, sondern auch vielen Abonnenten und Inserenten. SonntagsBlick musste sich auf der Frontseite entschuldigen.

Ich denke, dass es in der öffentlichen Meinung eine gewisse Barriere gegen sehr extreme Fälle gibt. Dennoch musste der Schweizer Presserat eine Reihe von Ermahnungen aussprechen.

swissinfo.ch: Kann der Presserat verbindliche Sanktionen gegen ein Medium aussprechen, das in die Privatsphäre eingedrungen ist? 

P.S.: Nein. Aber er kann seine Befunde sofort publizieren und die Beteiligten beim Namen nennen. Die Stellungnahmen werden recht gut gelesen, insbesondere in der Medienwelt. Der Presserat ist aber nicht ganz befriedigt darüber, wie die Beklagten die Befunde veröffentlichen müssen. In diesem Punkt lässt die Disziplin etwas zu wünschen übrig, gerade von Ersttätern.

swissinfo.ch: Wissen Sie von Fällen in der Schweiz, in denen Journalisten Detektive einsetzten oder für Informationen bezahlten? 

P.S.: In Grossbritannien ist dies weit verbreitet, in der Schweiz dagegen gab es nur vereinzelte solche Fälle. Kürzlich wurden zwei taxifahrende Brüder beschuldigt, Passagiere vergewaltigt zu haben. Laut dem Blick war die Geschichte bestätigt, was aber nicht stimmte. Es zeigte sich, dass sich ein Polizist hatte anstiften lassen, dem Reporter fehlerhafte Informationen zu liefern. Es war also nicht derselbe Typus wie bei der Zeitung Murdochs.

swissinfo.ch: Wie weit reicht der Einfluss von Schweizer Verlegern über Politiker und die öffentliche Debatte? 

P.S.: Es gibt Versuche, Politiker zu beeinflussen, insbesondere, wenn Interessen der Medienhäuser tangiert werden, etwa in Form einer Kontrolle über die Werbung. Aber solche Einflüsse, wie wir sie jetzt in Grossbritannien sehen, halte ich hier kaum für möglich.

Hier dominieren zwei grosse Häuser. Sie würden aber nie so weit gehen wie Murdoch in Grossbritannien, der dort eine politische Partei offen unterstützte oder gar Werbung für sie machte. Die Kultur hier ist eine andere.

swissinfo.ch: Welche Lehren sollen Schweizer Medien aus den Ereignissen in Grossbritannien ziehen? 

P.S.: Jedermann in den Medien lernt, dass man einerseits sehr vorsichtig sein und der gegenseitige Einfluss von Politikern und Medienschaffenden streng begrenzt und zurückhaltend sein muss. Grundsätzlich herrscht die Überzeugung, dass Politik und Medien getrennt sein müssen.

Es gibt aber Übereinstimmung, dass man jetzt nicht einfach eine Reihe neuer Gesetze zur besseren Kontrolle der Medien erlässt, da dies erwünschte Opposition behindern könnte.

In der Schweiz sind es die elektronischen Medien, die zu einem gewissen Grad reguliert sind, und sie verfügen über politische Richtlinien betreffend Unparteilichkeit etc. Die Presse aber kennt keine solchen Regulative, was auch so bleiben wird. Zum einen gibt es einen Ethikcode, dessen Einhaltung vom Presserat kontrolliert wird. Zum anderen besteht grosses Interesse, diesen Code aufgrund der gemachten Erfahrungen weiter zu verbreiten und zu verankern.

2005

Die britische Polizei untersucht Vorwürfe, wonach das Boulevardblatt News of the World aus dem Imperium News International von Rupert Murdoch Telefone von Angestellten des königlichen Hofes angezapft hätte.

2007

Der Verantwortliche bei News of the World für die Royals sowie ein vom Blatt angeheuerter Privatdetektiv kommen wegen unerlaubten Zugriffs auf Anrufbeantworter in Haft.

Chefredaktor Andy Coulson, der vom jetzigen Premier David Cameron zum Sprecher seiner Regierung ernannt wurde, muss zurücktreten.

News International behauptet, die Praktik werde noch von einem Journalisten angewandt.

2009

Die Zeitung Guardian beschuldigt News of the World des grossflächigen Telefon-Hackings bei über 3000 Personen.

2010

Eine Parlamentskommission beschuldigt die Leitung des Revolverblattes der «kollektiven Amnesie», was die Praktiken des Telefon-Hackings bei der Zeitung angeht.

Eine Untersuchung durch Scotland Yard findet keine Hinweise auf kriminelle Aktivitäten seitens der Zeitung.

Enthüllungen nähren Vermutungen, dass News of the World Telefon-Hacking systematisch als Informationsquelle nutzte.

Ein weiterer Journalist wird verhaftet.

News International stellt einen Entschädigungsplan vor, um der wachsenden Zahl von Klagen wegen Telefon-Hacking zu begegnen.

Der Guardian berichtet, News of the World habe die Combox einer vermissten und später tot aufgefundenen jungen Frau gehackt und darauf Botschaften gelöscht.

News International-Chef James Murdoch lässt die 168-jährige Zeitung schliessen.

Vorwürfe wegen Telefon-Hacking von britischen Kriegsopfern führen zu Rücktritten von führenden Leitern von News International in Grossbritannien und in den USA.

Auch der Chef und Vizechef von Scotland Yard müssen den Hut nehmen.

Premierminister David Cameron gerät wegen seiner Nähe zu News International und Murdoch zunehmend unter Druck.

Die Polizei verhaftet Andy Coulson und Rebekah Brooks, beides ehemalige Chefredaktoren von NoW.

Rupert und Sohn James Murdoch müssen am 19. Juli vor einer Parlamentskomission darüber aussagen, was und wann sie von der Methode des Telefon-Hackings bei ihrer Zeitung gewusst haben.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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