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Rosenkrieg auch in der Schweizer Politik?

Im Wahlkampf haben sie noch die Fassade gewahrt. Nachher hat Ségolène Royal ihren Lebenspartner François Hollande gebeten zu gehen. Keystone

Wieviel soll die Öffentlichkeit vom Privatleben von Politikern wissen? Diese Frage stellt sich nach der Polemik um die gescheiterte französische Präsidentschafts-Kandidatin Royal auch in der Schweiz.

Die Zurückhaltung der Schweizer Medien habe mit deren Berufsethos zu tun, sagt der Medienwissenschafter Roger Blum gegenüber swissinfo.

Die Ex-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal hat während des Wahlkampfs alle Gerüchte dementiert, dass ihre 30-jährige Beziehung mit dem Sozialistenchef François Hollande, mit dem sie vier Kinder hat, nicht mehr im Lot sei.

Die beiden haben sogar mit Verweis auf ihre Privatsphäre Klage gegen ein Buch eingereicht, in dem Royal unterstellt wird, sie habe sich wegen des Ärgers mit ihrem Lebenspartner in den Wahlkampf geworfen.

Und nun ist die Sozialistin von sich aus an die Medien gelangt und hat erklärt, dass sie sich von François Hollande getrennt habe.

Hätte die Öffentlichkeit nicht bereits während des Wahlkampfs über den schiefen Haussegen bei der Kandidatin informiert werden müssen? «Nein», sagt der Berner Medienwissenschafter Roger Blum gegenüber swissinfo: «Durch die Vortäuschung einer intakten Beziehung haben sie nichts vertuscht, was für die Öffentlichkeit wichtig gewesen wäre.»

Blum geht noch einen Schritt weiter und sagt sogar, dass im Gegenteil, vorher gerade ihre enge Beziehung oder Verflechtung in derselben Partei problematisch gewesen sei.

Schweizer Politiker weniger glamourös

Die Frage, wieviel die Öffentlichkeit über das Privatleben von Politikerinnen und Politikern wissen soll, stellt sich auch in der Schweiz, besonders jetzt, vor den Parlamentswahlen am 21. Oktober.

Hierzulande kommen Politikerinnen und Politiker selten wegen privater Probleme oder Fehltritte ins öffentliche Gerede. Bundesräte, die sich mit Tram und Bus fortbewegen oder sogar Velo fahren, sind auch weniger glamourös als ihre ausländischen Kollegen und daher weniger im Rampenlicht des Interesses.

Das sei allerdings nicht der Grund für die Zurückhaltung der Schweizer Medien, widerspricht Roger Blum: «Es hat mit deren Berufsethos zu tun. In der Schweiz geht man davon aus, dass private Angelegenheiten die Öffentlichkeit nur dann etwas angehen, wenn sie einen Bezug haben zur öffentlichen Tätigkeit.»

Sei es, dass sich Politiker privat anders verhielten als sie öffentlich predigten, sei es, dass sie durch ihre privaten Aktivitäten ihr Amt in Gefahr brächten.

Ein legitimes öffentliches Interesse sieht der Medienwissenschafter dann als gegeben, wenn etwa ein Politiker durch eine Prostituierte unter Druck gerate und politische Konzessionen mache.

«Oder wenn ein Minister, wie das in England geschah, einen Kreuzzug für die intakte Familie und eheliche Treue führt, während er selbst in eine heimliche Affäre verwickelt ist», führt Blum aus.

«Nicht Privatsphäre, sondern asoziales Verhalten»

Wenn Politiker privat mit dem Strassenverkehrsgesetz oder dem Drogengesetz in Konflikt kämen, gehöre das publik gemacht. «Denn Politiker sollten ein Stück weit auch Vorbild sein», begründet Blum das legitime öffentliche Interesse.

«Wenn jemand dauernd im angetrunkenen Zustand Auto fährt oder massiv Steuern hinterzieht, ist das nicht Privatsphäre, sondern asoziales Verhalten.»

Gerade Politikerinnen stolpern allerdings öfters über private Fehltritte ihrer Ehemänner und Partner, auch in der Schweiz. Und da sind die Medien nicht immer zimperlich.

So ist es einer Politikerin der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) zum Verhängnis geworden, dass ihr Ehemann bei einer Prostituierten gesehen wurde. Muss das die Öffentlichkeit wirklich wissen?

«Nein, denn es hat mit ihrer politischen Funktion und Rolle nichts zu tun. Man darf in solchen Fällen keine Sippenhaft machen. Sie ist eine untadelige Politikerin. Der Presserat hat zu Recht die Berichterstattung über diesen Fall gerügt», sagt Blum.

Frauen im Visier?

Vor Jahren wurden auch die ehemalige SP-Präsidentin Ursula Koch und die Ex-Bundesratskandidatin Christiane Brunner in den Medien mit politisch kaum relevanten Details aus ihrem Privatleben konfrontiert. Sind Frauen diesbezüglich leichter angreifbar?

Roger Blum verneint, räumt aber ein, dass Politikerinnen möglicherweise genauer beobachtet würden als ihre männlichen Kollegen, weil Frauen in der Schweiz noch nicht so lange politisch aktiv seien.

Ségolène Royal allerdings kann sich über die Medien nicht beklagen. Sie bedient sich ihrer erfolgreich zur Förderung ihrer eigenen Karriere. Auch jetzt wieder. Mit der Bekanntgabe der Trennung von François Hollande lanciert sie ihren Kampf um sein Amt.

swissinfo, Susanne Schanda

Am 6. Mai 2007 verliert die Sozialistin Ségolène Royal die Wahl um die französische Präsidentschaft gegen Nicolas Sarkozy.

Bereits während des Wahlkampfs gilt es als offenes Geheimnis, dass die Beziehung von Royal und dem Sozialistenchef François Hollande in der Krise steckt. Beide dementieren wiederholt und verweisen auf ihre Privatsphäre.

Gemeinsam erheben sie eine Verleumdungsklage gegen die Autorinnen eines Buches, in dem eine Affäre von Hollande als Ausgangspunkt von Royals Präsidentschaftskandidatur dargestellt wird.

Am 18. Juni, am Morgen nach den Parlamentswahlen, sagt Royal in einem Radio-Interview: «Wir leben nicht mehr zusammen. Ich habe François gebeten zu gehen und seine Liebesgeschichte zu leben.»

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