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“Schweiz nicht mit Strafsteuern abschotten”

Johann Schneider-Ammann (links), traf in Brasilia mit dem brasilianischen Aussenminister Antonio Patriota zusammen. Keystone

Strafzölle, wie sie Brasilien im Kampf gegen seine zu starke Währung einführte, seien für die Schweiz kein Rezept, sagt Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann in einem Interview, das er swissinfo.ch anlässlich seiner Südamerika-Reise gab.

Das Wort Krise will Bundesrat Schneider-Ammann nicht in den Mund nehmen, vielmehr spricht er von einem Abschwung.

Als wichtiges Mittel dagegen plädiert er für die Offenhaltung der (Handels-)Grenzen.

swissinfo.ch: Zum angestrebten EFTA-Mercosur-Freihandelsabkommen gehört auch der Handel mit Agrarprodukten. Wie erklären Sie das den Schweizer Bauern, die sich durch freien Agrarhandel konkurrenziert sehen?

Johann Schneider-Ammann: Agrarfreihandel ist überall ein viel diskutiertes Thema. Wir haben bei den Gesprächen in Brasilien den Wunsch deponiert, exploratorische Gespräche zwischen den EFTA- und den Mercosur-Staaten zu starten.

Dabei können beide Seiten ihre Interessen darlegen, auch im Landwirtschaftsbereich. Jedes mögliche Handelsabkommen müsste die Interessen beider Seiten reflektieren. Für die Schweizer Landwirtschaft besteht jetzt kein Anlass zur Sorge.

swissinfo.ch: Brasilien kämpft wie die Schweiz mit einer hohen Währung. Haben Sie interessante Ansätze vorgefunden, die Brasilien dabei verfolgt?

J.S.-A.: Brasilien ist in einer ähnlichen Lage wie wir, der Real ist wie der Franken stark überbewertet. Das Land kämpft aber noch mit zwei Nachteilen, welche die Schweiz nicht kennt: Inflation und relativ hohe Zinsen.

Um optimale Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen, insbesondere für die Exportwirtschaft, operiert die brasilianische Regierung mit Zinssenkungen. Dies allerdings um den Preis von steigender Inflation.

Im Gespräch mit der brasilianischen Seite kam für mich zum Ausdruck, dass wir in der Schweiz mit den getroffenen Massnahmen auf gutem Weg sind. Entscheidend ist, dass die Innovation und die Bildung gefördert werden.

swissinfo.ch: Brasilien gewährt Steuererleichterungen und erhebt Strafzölle, so auf Importautos. Sind dies Rezepte auch für die Schweiz?

J.S.-A.: Nein, sicher nicht. Die Schweiz ist ein transparenter und attraktiver Steuerstandort und als solcher stets bemüht, sein Steuersystem zu optimieren. Ich kann mir nicht vorstellen, unseren Markt mit Strafsteuern abzuschotten.

swissinfo.ch: Schweizer Unternehmer, die in Brasilien tätig sind, bemängeln hohe bürokratische Hürden und Handelsbarrieren, die das unternehmerische Risiko erhöhen. Teilen Sie diese Ansichten?

J.S.-A.: Ich habe diese Kritik auch gehört. Bis die nötigen Bewilligungen vorliegen, muss offenbar ein längerer bürokratischer Prozess durchlaufen werden. Brasilien ist sich dessen bewusst und stellt dies auch nicht in Abrede.

Unser Besuch bot die Gelegenheit, den mitreisenden Wirtschaftsvertretern kurze Wege in der brasilianischen Administration aufzuzeigen.

Der Vize-Gouverneur von Sao Paulo hat seinerseits erklärt, dass einfachere Prozeduren nötig seien. Er bekundete auch grosses Interesse an ausländischen Investoren, vor allem im Bereich Infrastruktur.

Die Schweiz und Brasilien vereinbarten bereits 1994 ein Investitionsschutz-Abkommen, dieses wurde aber nie ratifiziert. Durch die jetzigen Kontakte ist wieder etwas Bewegung in die Sache gekommen.

swissinfo.ch: Brasiliens Regierung kritisiert Exzesse und grosse Kontrollmängel im Finanzsektor. Wie sehen Sie das Problem solcher Verfehlungen?

J.S.-A.: Auch der Schweizer Finanzplatz kennt Verfehlungen, erinnert sei an die schwierige Situation mit der UBS (der Bund musste der Grossbank 2009 mit knapp 70 Mrd. Franken unter die Arme greifen, die Red.).

Jedes Land muss seine Hausaufgaben lösen. Ich engagiere mich für die Stabilisierung des Schweizer Finanzplatzes. Es ist nicht opportun, befreundeten Ländern wie Brasilien diesbezüglich Empfehlungen abzugeben.

swissinfo.ch: Das Wirtschaftswachstum geht momentan sowohl in Brasilien als auch in der Schweiz leicht zurück. Droht vor dem Hintergrund der Schuldenkrise Europas eine Krise grossen Ausmasses?

J.S.-A.: Wir müssen einen Abschwung hinnehmen, aber ich will nicht von Krise sprechen. Die europäischen Länder sind stark verschuldet und müssen ihre Staatshaushalte in Ordnung bringen, indem sie weniger Geld ausgeben. Das ist ein Indikator dafür, dass sich die Volkswirtschaft der EU eher schleppend entwickeln wird.

Etwas Sorge bereitet mir der Ferne Osten. Die chinesische Lokomotive, die für die Weltwirtschaft sehr wichtig ist, kämpft mit Überhitzungsproblemen, darf aber nicht erlahmen.

Ich hoffe, dass die konjunkturellen Abwärtsbewegungen nicht dramatisch ausfallen. Ein Mittel zur Beibehaltung der Zuversicht besteht darin, dass die Länder ihre Grenzen offen halten. So werden die volkswirtschaftlichen Impulse nicht erstickt.

swissinfo.ch: Kontrollen des Kapitalverkehrs sind in der Schweiz kein Thema. Wie steht es mit dem Ausreizen der Möglichkeiten, heimische Firmen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu bevorzugen?

J.S.-A.: Die Märkte sollen grundsätzlich offen bleiben. Ich habe aber Verständnis dafür, dass unsere Unternehmer Aufträge im Inland in erster Linie selbst erledigen wollen.

Gefragt sind neben dem Preis das insgesamt beste Angebot inklusive Beratung, Finanzierunginstrumenten, Kundendienst u.a.m. Das sollte den heimischen Firmen erstranginge Chancen bieten, sich öffentliche Aufträge zu sichern.

Schneider-Ammanns Partei, die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen), muss bei den Parlamentswahlen vom kommenden Wochenende gemäss Umfragen mit Sitzverlusten rechnen.

Da sich der gesamte Bundesrat im Dezember zur Wiederwahl stellen muss, ist somit auch sein Regierungssitz gefährdet.

Der Wirtschaftsminister will aber nicht über sich sprechen; im Vordergrund stehe die Zukunft des Landes.

Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann unterzeichnete ein Abkommen zum Austausch von Praktikanten zwischen der Schweiz und Brasilien.

Junge Schweizerinnen und Schweizer haben so vereinfachten Zugang zu brasilianischen Unternehmen. Umgekehrt kommen nun auch junge Brasilianerinnen und Brasilianer leichter in den Genuss einer Arbeitsbewilligung für die Schweiz.

Zwei Bedingungen haben die jungen Berufsleute zu erfüllen: Sie dürfen nicht älter als 35 jährig sein und müssen eine mindestens zweijährige Berufsausbildung abgeschlossen haben. Die Aufenthaltsbewilligung ist maximal ein Jahr gültig.

Die Schweiz hat bereits mit über 30 Ländern eine solches Abkommen getroffen. Berufliche wie sprachliche Kompetenzen sollen so gefördert werden.

Brasilien ist eines der wenigen Länder, mit denen die Schweiz weder ein Doppelbesteuerungs- noch ein Investitionsschutz-Abkommen hat.

Der Handel zwischen den beiden Ländern hat in den letzten Jahren zugenommen, allerdings auf relativ niedrigem Niveau.

Die Schweiz gehört trotz fehlendem Investitionsschutz-Abkommen zu den 13 grössten Investoren in Brasilien. Rund 300 Schweizer Konzerne haben Niederlassungen in Brasilien.

Brasilien ist mit seinen 190 Millionen Einwohnern auch für die Schweizer Exportwirtschaft ein interessanter Partner. Die Wirtschaft soll in den nächsten Jahren laut Prognosen durchschnittlich um rund 4 Prozent wachsen. Von den Schweizer Exporten nach Lateinamerika gelangen 40 Prozent nach Brasilien.

    

Wie die Schweiz kämpft auch Brasilien derzeit mit negativen Folgen der eigenen starken Währung. Seit 2003 hat sich der Wert des Reals gegenüber dem US-Dollar fast verdoppelt.

Das Wirtschaftswachstum, Investitionen und hohe Zinsen ziehen internationales Kapital an.

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