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PRESSE/Schweiz unterstützt im IWF-Nachfolgestreit nicht unbedingt die Europäer

Bern (awp/sda) – Im Gerangel um die Nachfolge des zurückgetretenen IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn steht die Schweiz einem Nachfolger aus Europa eher skeptisch gegenüber. Der Grund: Mehrere europäische Länder hängen selbst am Tropf des Internationalen Währungsfonds IWF.
“Das Argument, ein IWF-Chef aus Europa sei derzeit besonders wichtig, weil der IWF stark in die Lösung der europäischen Schuldenkrise eingebunden sei, überzeugt mich nicht. Es könnte im Gegenteil besser sein, wenn ein Externer auf die ökonomischen Schwachstellen innerhalb der Eurozone hinweist”, sagte der Schweizer Vertreter im IWF-Exekutivrat, René Weber, im Interview mit der Zeitung “Der Sonntag”.
Der Exekutivrat ist jenes Gremium, das den neuen IWF-Direktor wählen wird. Weber hält es nicht für ausgeschlossen, dass Europa den Chefposten verlieren wird.
“Es ist auf jeden Fall offener als bei früheren Besetzungen”, sagte Weber. Letztlich hänge es von den Kandidaten ihrer Qualifikation ab. “Die Schweiz unterstützt nicht a priori einen Europäer.”
Die Ausgangslage sei anders als in früheren Jahren: “Die Situation der Europäer ist nicht die gleiche wie bei früheren Neubesetzungen. Sie sind in einer schwächeren Position, weil viele EU-Länder zu Kreditempfängern geworden sind und weil Griechenland, Irland und Portugal Grosskredite des IWF beanspruchen.”
Die Schwellenländer dagegen seien “deutlich selbstbewusster geworden”, sagte Weber. “Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die Finanzkrise ihren Ursprung in den westlichen Industrieländern hatte.”
Der IWF-Direktorenposten wird traditionell mit einem Europäer besetzt. Als Favoritin wird Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde gehandelt, die bereits von mehreren europäischen Staaten unterstützt wird. Am Samstagabend erklärte auch die britische Regierung, sie werde Lagarde unterstützen.
Allerdings haben inzwischen mehrere Schwellenländer – allen voran China, Indien und Mexiko – klar gemacht, dass sie den Posten nicht kampflos einem Europäer überlassen wollen.
Der IWF will nach eigenen Angaben bis zum 30. Juni einen Nachfolger für Strauss-Kahn finden. Die Nominierungsphase für Bewerber beginnt am 23. Mai und dauert bis zum 10. Juni.
Strauss-Kahn, der in New York unter anderem der versuchten Vergewaltigung angeklagt ist, war am Donnerstag als IWF-Chef zurückgetreten. Er war am Samstag vor einer Woche verhaftet worden, weil er in einem New Yorker Hotel ein Zimmermädchen zum Oralsex gezwungen haben soll.
Eine Woche später konnte Strauss-Kahn das Untersuchungsgefängnis gegen Zahlung einer hohen Kaution verlassen. Er steht bis zum Prozess unter Hausarrest und muss unter anderem eine elektronische Fussfessel tragen.

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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