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Thomas Hurter, Praesident Automobil Club der Schweiz ACS, Nationalrat SVP/SH, reagiert nach den Hochrechnungen der Abstimmungen, beim Treffpunkt des Komitees "Ja zur Sicherung der Nationalstrassen" und "Bund fuer mehr Wohnraum", am Sonntag, 24. November 2024, in Bern. Das Schweizer Stimmvolk stimmt ueber vier Vorlagen ab. (KEYSTONE/Anthony Anex).

Heute in der Schweiz

Liebe Schweizerinnen und Schweizer im Ausland

Spannung wurde uns für diesen Abstimmungssonntag versprochen – und es wurde spannend.

Nun steht es fest: Die Schweizer Stimmberechtigten stimmten einmal Ja und dreimal Nein. Ja zur einheitlichen Finanzierung des Gesundheitswesens und Nein zum Ausbau der Autobahn sowie zu den beiden Mietrechtvorlagen.

Im heutigen Briefing schauen wir uns diese Resultate genauer an und gehen der Frage nach, wie es um das Vertrauen der Schweizer:innen in die Regierung steht.

Viel Spass beim Lesen!

Eine Pflegefachkraft bereitet eine Infusion vor
Keystone / Gaetan Bally

Ja zu EFAS: Nachdem die Schweizer Stimmberechtigten 2024 bereits zwei Volksinitiativen zu den Gesundheitskosten abgelehnt hatten, sagten sie heute mit 53,3% Ja zur einheitlichen Finanzierung des Gesundheitswesens.

Ein Blick auf die Schweizerkarte zeigt in der Deutsch- und in der Westschweiz ein deutlich unterschiedliches Abstimmungsverhalten – einen «fast dramatischen Röstigraben», wie Politologe Lukas Golder gegenüber SRF sagt. Während die Westschweizer Kantone dezidiert gegen die Vorlage gestimmt haben, fand sie bei den Deutschschweizer Kantonen deutliche Zustimmung.

Für Golder zeigt dieses Resultat die unterschiedlichen Auffassungen des Gesundheitssystems. «Die Krankenkassen und die Ärzteschaft haben in der Deutschschweiz viel mehr zu sagen als in der französischsprachigen Schweiz. Dort will man einen Systemwandel

Autobahneinfahrt
Keystone / Martial Trezzini

Der Ausbau von sechs Autobahn-Teilstücken scheitert an der Urne, die Stimmberechtigten haben sich mit 52,7% dagegen entschieden.

Die Grünen sehen darin einen historischen Erfolg für die Verkehrswende und ziehen den Bundesrat in die Verantwortung. «Die Bevölkerung hat der rückwärtsgewandten Verkehrspolitik des Bundesrats eine Absage erteilt», so die Grünen Präsidentin Lisa Mazzone in einer Mitteilung.

Mit Blick auf die Fünfte Schweiz erstaunt die hohe Zustimmung zum Autobahnausbau in der ersten Umfrage-Welle, wie mein Kollege Balz Rigendinger schreibt. 60% der befragten Auslandschweizer:innen wollten damals mehr Investitionen in die Autobahn, während die Zustimmung der inländischen Stimmbevölkerung bei der Befragung 10% tiefer lag. Zwar sanken bei der zweiten Umfragewelle die Zustimmungswerte allgemein, das Muster blieb jedoch bestehen: Aus dem Ausland kam mehr Zustimmung (50%) für die Autobahn-Vorlage als aus dem Inland.

Die effektiven Stimmen aus dem Ausland werden wir noch auswerten. Dass die Schweizer Diaspora sich weniger ökologisch äussert als die Inland-Bevölkerung ist per se schon bemerkenswert.

Mein Kollege Balz Rigendinger hat zwei Erklärungsansätze dafür. Der eine ist, dass Schweizer:innen im Ausland den Wandel in ihrer alten Heimat dank punktuellen Schweiz-Besuchen sensibler wahrnehmen und diesen mit der Situation in ihrer ausländischen Heimat vergleichen. So kann es sein, dass eine Anzahl Auslandschweizer:innen die Schweizer Autobahnen als verstopfter empfindet als jene, die sie täglich benutzen.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Samuel Jaberg

Welchen Einfluss hatten die jüngsten politischen oder wirtschaftlichen Ereignisse auf Ihr Vertrauen in die Schweizer Regierung?

Die Schweiz, die im Ausland normalerweise für das hohe Vertrauen in ihre Behörden bekannt ist, befindet sich in einer Vertrauenskrise. Wie erklären Sie dies?

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Zwei Personen besichtigen eine Wohnung
Die Schweiz ist bekannt als ein Land von Mietenden. Fast 60% wohnen zur Miete. Keystone / Michael Buholzer

Beide Mietrechtvorlagen erlitten heute Schiffbruch. Mit 51,6% (Untermiete) respektive 53,8% (Eigenbedarf) Nein-Stimmen schickten die Schweizer Stimmberechtigen die Vorlagen bachab.

Die Sozialdemokratische Partei (SP) zeigte sich gegenüber der Agentur Keystone SDA erfreut über die Ablehnung der beiden Vorlagen. Diese seien ein Puzzleteil im Plan der Immobilienlobby gewesen, um Mieter:innen schneller loszuwerden und anschliessend die Mieten einfacher erhöhen zu können.

Enttäuscht ist der Gewerbeverband. Es sei die Chance verpasst worden, unnötige Regulierungskosten im Mietrecht auszumerzen. Die Vorlage betreffend den Eigenbedarf «hätte die Eigentümer und Vermieter von unnötigen Regulierungskosten befreit», hiess es weiter.

Linke Parteien feiern das Resultat
Keystone / Peter Schneider

Das «Nein» zum Autobahnausbau ist eine weitere Niederlage für den Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments, welche dieses Jahr bereits zwei wichtige Abstimmungsvorlagen verloren haben.

Während der Corona-Pandemie hatten sich die Bürger:innen weitgehend hinter die Politik der Regierung gestellt. Mit dem Ende der Schutzmassnahmen begann das Vertrauen jedoch zu bröckeln. Das Klima des Misstrauens wirkt sich auf die Meinungsbildung der Wähler:innen aus, was sich im Verlauf des Abstimmungskampfs zeigte: Bei allen vier Vorlagen, über die das Volk abstimmte, nahm die Tendenz zu einem Nein zu, was ungewöhnlich ist für Vorlagen, die von der Regierung stammen.

Die ungewöhnliche Vertrauenskrise, in der sich die Behörden befinden, wird von der Linken perfekt ausgenutzt. Mit dem Ja zur einheitlichen Finanzierung der Gesundheitsleistungen haben die Linken heute zwar eine Niederlage erlitten, die Resultate der weiteren drei Vorlagen zementieren jedoch einen zu beobachtenden Trend: Obwohl die Linke im Bundeshaus mehr zu kämpfen hat, gelingt es ihr zunehmend, ihre Anliegen mit Hilfe von Volksinitiativen und Referenden durchzubringen und somit den Entscheidungen aus dem Parlament entgegenzuwirken.

Damit lösen die linken Parteien die Schweizerische Volkspartei (SVP) in der Rolle der Oppositionspartei ab. Dies ist keineswegs Zufall, so ist ein klarer Fokus der Linken auf die Mobilisierung an der Urne zu beobachten.

Plakat für Eurovision Song Contest in Basel
Keystone / Georgios Kefalas

Die Basler Stimmberechtigten sagen Ja zum 37-Millionen-Kredit für die Durchführung des Eurovision Song Contest und bescheren damit der Stadt am Rheinknie ihre grosse ESC-Party.

Zwei Drittel der brieflich Stimmenden stimmen dem Kredit zu, was die Erwartungen des Basler Regierungspräsidenten übertraf. Das zwei Drittel der Basler:innen hinter dem ESC stehen, sei ein Ansporn für «all die Leute, die intensiv daran arbeiten, dass wir im Mai einen sicheren, tollen Anlass für die ganze Bevölkerung durchführen können», wird er in SRF News zitiert.

Für grössere Aufmerksamkeit sorgte auch eine kantonale Vorlage in Zürich zum Thema gendersensible Sprache. Mit einem Nein-Stimmen-Anteil von gut 57% hat die Stimmbevölkerung dort die Initiative «Tschüss Genderstern» abgelehnt. Die Initiative wollte, dass die Stadt in ihren amtlichen Dokumenten den Genderstern nicht mehr verwenden darf.

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