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WEF 2011/Am WEF diktiert wieder die Wirtschaft

Davos (awp/sda) – Am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos haben sich die Rollen neu verteilt. Nicht mehr Banker und Spekulanten standen am Pranger, rechtfertigen mussten sich die Staatschefs hoch verschuldeter Industriestaaten.
Selbstkritik oder Vorschläge zu einer besseren Regulierung der Banken und Finanzsysteme waren kaum mehr zu hören. Als einer der wenigen erinnerte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble daran, dass neben zu hohen Staatsdefiziten die ungenügende Regulierung sowie die zu grosse Liquidität zur schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg geführt hätten.
Vor einem Jahr hatte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy in einer kämpferischen Eröffnungsrede am WEF noch “einen entarteten Kapitalismus” diagnostiziert und gewarnt, ohne Änderung werde das System von einer neuen Krise weggefegt. 2011 war seine fast schon trotzige Hauptbotschaft an die Elite in Davos: “Nie, nie werden wir den Euro fallen lassen, nie.”
Die Schuldenkrise dominierte jene WEF-Podien, welche den Medien zugänglich waren. Mit dem grössten Defizit aller G20-Länder reiste der britische Premier David Cameron an. Sehr engagiert warb er für Vertrauen und verwies auf das beschlossene harte Sparprogramm.
Im Vergleich zu dem zum Showmaster begabten Cameron blieb US-Finanzminister Timothy Geithner ziemlich blass. Seine Hauptsorge gilt der hoch gebliebenen Arbeitslosigkeit, Schuldenabbau ist zweitrangig.
“SICH ETWAS SAGEN LASSEN MÜSSEN”
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kam dagegen mit wirtschaftlichem Rückenwind. Sie liess zugleich erkennen, dass die Solidarität Deutschlands mit seinen Euro-Partnern Grenzen hat und nicht alles gezahlt wird.
Merkel will etwa den deutschen Hartz-IV-Empfängern nicht mehr erklären müssen, warum nicht auch sie von Renten wie in Griechenland profitieren können.
Mit Blick auf die am WEF gesuchten “neuen Normen” für die globalisierte Welt sagte Merkel, gegenwärtig sei der wohl schwierigste Lernprozess, dass sich Nationalstaaten von Aussen “etwas sagen lassen” müssten.
SPIESSRUTENLÄUFE
Der griechische Premier Giorgos Papandreou kam nach dem ungemütlichen Auftritt im vergangenen Jahr, als die Spekulation über eine Staatspleite ihren Lauf nahm, wieder nach Davos. Seinen Finanzminister liess er die Meldung platzieren, Griechenland erwäge den Rückkauf von Staatsanleihen zum Marktpreis, der teilweise deutlich unter dem Nennwert liegt.
Aus den als krisengefährdet betrachteten Euro-Staaten Spanien, Portugal und Italien machten sich die Minister dagegen rar. Das spanische Staatsfernsehen etwa erhielt von der angereisten Finanzministerin Elena Salgado nicht einmal ein Interview.
BUSINESS HINTER DEN KULISSEN
Die Unternehmer hingegen strotzen wieder vor Selbstsicherheit. In der anlässlich des WEF alljährlich durchgeführten CEO-Umfrage des Beratungsunternehmens PwC zeigten sich 48% “sehr optimistisch”, dass ihr Unternehmen 2011 wächst. Damit ist praktisch wieder der Vor-Krisen-Wert erreicht.
Die CEOs richten ihre Wachstumshoffnungen auf aufstrebende Länder wie China und Indien, die in Davos einen grossen Auftritt hatten und zu vielen Empfängen und Dinners einluden.
Hinter verschlossenen Türen dürften viele Kontakte geknüpft und Geschäfte aufgegleist worden sein. Nicht zuletzt werden sich wohl auch die Schweizer Banken der wachsenden Oberschicht in diesen Ländern empfohlen haben.
KEINE NEUEN NORMEN
Unter den 2500 in Davos anwesenden Spitzenpolitikern und Topmanagern war zwar der Wille zu gemeinsamen Normen gross, wurde doch vor Inflation, Devisenkriegen und Rohstoffspekulation gewarnt sowie gebannt die politischen und sozialen Unruhen in Ägypten und Tunesien verfolgt.
Wie die neuen Regeln aber aussehen sollen, blieb unklar. Das gibt auch extremistischen Globalisierungskritikern Auftrieb, die sich in Davos mit einer kleinen Detonation und Ausschreitungen zurückmeldeten.
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