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Neue Ausbildung zur Erhaltung handwerklicher Kenntnisse

Musikdose, in Einzelteile zerlegt
Eines der Ziele des neuen Kurses ist, die Funktionsweise einer Musikdose zu verstehen. swissinfo.ch

Studierende des ersten Kurses für Kunstmechanik haben letzte Woche ihre Diplome erhalten. Sie wurden von weltweit anerkannten Berufsleuten im Waadtländer Jurastädtchen ausgebildet. Damit soll diese Region mit ihrem reichen Handwerk-Erbe bekannter gemacht, aber auch die Nachfolge hochspezialisierter Handwerker gesichert werden.

Bei einem anerkannten Fachmann eine Ausbildung absolvieren oder ein Handwerk erlernen: Die Idee, die auf einer Gesellenbruderschaft basiert, ist sicherlich nicht neu, aber in Sainte-Croix wurde sie diesen Juli aufgefrischt. Während vier Wochen wurde erstmals eine Ausbildung namens «Geheimnisse der Meister»Externer Link durchgeführt. Sechs Studierende nahmen daran teil.

Als Lehrer vor der kleinen Klasse standen drei anerkannte Handwerker mit internationalem Renommee: Denis FlageolletExterner Link (Uhrmacher), François JunodExterner Link (Automatenhersteller) und Nicolas CourtExterner Link (Uhrmacher und Automatenhersteller).

Wissenstransfer

Der Wunsch, ihr Wissen weiterzugeben, war eine starke Motivation, welche die Meister dazu veranlasste, diesen Kurs zu geben. «Die Idee war, etwas von unserem Wissen und unserer Begeisterung weiterzugeben. Das ist sehr befriedigend, denn unsere Berufe gelten wie Musikdosen manchmal als etwas altmodisch», sagt Court.

«Unser Wunsch ist es, Wissen weiterzugeben», stimmt Flageollet zu. «Ich kannte viele Uhrmacher, die ihr Wissen nur ausgewählten Initiierten unter dem Siegel der Geheimhaltung weitergegeben haben. Ich werde ihnen für immer dankbar sein für das, was sie mir beigebracht haben. Aber ihr Ansatz irritiert mich ein wenig. Wissen sollte kein Geheimnis sein.»

Industrielle Blüte und Niedergang

Sainte-Croix, im Waadtländer Jura wenige Kilometer von der Grenze zu Frankreich entfernt gelegen, war einmal eine industrielle Hochburg. Während Jahrzehnten war diese Kleinstadt einer der der wichtigsten Industriestandorte der Schweiz. Hier wurden drei Juwelen der Schweizer Mechanik hergestellt: Die Bolex-Kameras, die Hermes-Schreibmaschinen und die Thorens-Plattenspieler.

Externer Inhalt

Seit Anfang der 1980er-Jahre aber stürzten der verpasste Anschluss ans digitale Zeitalter und die Konkurrenz aus Billiglohn-Ländern die lokale Industrie in eine Misere. Das mechanische Know-how allerdings ist bis heute in Sainte-Croix präsent geblieben, einfach auf Ebene des Handwerks statt der Industrie.

Hier findet man keine grossen Uhrenmarken wie im nur wenige Kilometer entfernten Vallée de Joux. Die Handwerker in Sainte-Croix sind vielmehr in Nischenmärkten aktiv: Automaten, sehr hochwertige Uhren und Musikdosen.

«Mit unserem Kurs wollen wir auch auf all diese Berufe aufmerksam machen, die es in Sainte-Croix gibt, und unsere Region so etwas bekannter machen», sagt Junod. «Deshalb besuchten die Schüler des ersten Kurses mehrere Werkstätten lokaler Handwerker.»

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Eine Einführung

Der Kurs «Geheimnisse der Meister» dauert einen Monat Vollzeit, 160 Stunden. Das Programm setzt auf Theorie und Praxis. Zu den Kursmodulen gehören namentlich: Industriegeschichte, Bohr- und Gewindeschneid-Übungen, Präsentation von Messwerkzeugen, Pflege eines ganzen oder Teilen eines Uhrwerks, Feilen und Sägen eines Hebels und einer Nockenscheibe, etwas Kunstgeschichte, usw.

Die Erwähnung dieser wenigen Module verdeutlicht den Umfang der Ausbildung. Träumer allerdings haben hier nichts verloren: «Es ist klar, dass man in 160 Stunden nicht drei Berufe erlernen kann», betont Court. «Es kann nur eine Einführung in die Welt des Uhrmacherhandwerks, der Kunstautomaten und der mechanischen Musik sein.»

Montage einer Musikuhr
Eine der Studenten stellt einen Teil des mechanischen Kunstwerks zusammen, das bis zum Ende des einmonatigen Praktikums produziert werden soll. swissinfo.ch

Trotzdem: Das nach einem Monat erreichte Niveau ist mehr als beeindruckend. Die sechs Studierenden haben als Abschlussarbeit je eine Musikuhr mit einer automatisch tanzenden Ballerina gebaut. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Kursteilnehmer nicht unbedingt über praktische Erfahrung in der Mechanik verfügten, sondern lediglich über «leichte Handfertigkeiten», die als Anforderung für den Kursbesuch galten.

Bald umfassende Berufsausbildung?

Gegenwärtig ist der Kurs lediglich eine Einführung, die ermöglicht, das Universum der Handwerker und ihrer Schöpfungen besser zu verstehen. Er wendet sich vor allem an Personen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit in regelmässigem Kontakt mit der Kunstmechanik stehen. So etwa Kunsthändler, Museumsmitarbeitende, Sammlerinnen und Sammler, Mitglieder von Tourismusbüros oder Kunstrestauratoren.

Längerfristig aber könnte dieser Einführungskurs zu einer echten Berufsausbildung ausgebaut werden. «Es könnte etwa eine Spezialisierung für einen Polymechaniker sein, der im ‹Centre professionnel du Nord vaudois› studiert hat «, erklärt Court. «Man würde dann einen Abschluss in Kunstmechanik machen. Diplomierte würden dann wissen, wie diese Objekte transportiert, unterhalten oder restauriert werden können, ohne dass sie dabei zu Schaden kommen.»

Die aktuell angebotenen Kurse sind deshalb nur eine erste Etappe zu einer umfangreicheren Ausbildung. Doch der Weg dahin könnte lang und anstrengend werden. «Seien wir ehrlich: Es wird sehr schwierig sein, eine umfassende Ausbildung auf die Beine zu stellen. Dafür wären enorme Anstrengungen nötig, besonders auf bürokratischer Ebene», sagt Flageollet.

«Zudem geht die Tendenz heute eher in Richtung des Verschwindens von Berufen, nicht in Richtung der Neuschöpfung. In der Uhrmacherei sind in den letzten Jahrzehnten Dutzende Berufe verschwunden. So ist etwa das Justieren nicht mehr ein eigenständiger Beruf, sondern nur noch ein Aspekt der Uhrmacher-Ausbildung, und ein Polierer lernt nicht mehr alles.»

Für die nächsten Jahre also wird das Handwerk der Kunstmechanik immer noch auf die alte Art zu erlernen sein: durch die Arbeit bei einem erfahrenen Handwerker.

Der Kurs

Den ersten Kurs in Kunstmechanik belegten sechs Studierende während des Monats Juli 2018.

Die Kosten betrugen 5900 Franken für Kursleitung, Material, Mittagessen und Besuche.

Der Beitrag der Studierenden deckt allerdings nur 20% der Ausbildungskosten ab. Für den Rest kommen Projektpartner auf, namentlich die Gemeinde Sainte-Croix, die «Association de développement du Nord vaudois», der Kanton und die Eidgenossenschaft.

Der Kurs «Geheimnisse der Meister» entstand aus der Zusammenarbeit zwischen dem Centre international de la mécanique d’artExterner Link (CIMA), der Gemeinde Sainte-CroixExterner Link, dem Centre professionnel du Nord vaudoisExterner Link, dem Ausbildungszentrum «PERFORM»Externer Link und den drei Handwerksmeistern Nicolas Court, François Junod und Denis Flageollet.

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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