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Schweizer Käseexporte: «Das Hauptproblem mit den USA ist heute die Unsicherheit»

Ein Mann steht an einem Fenster
Philippe Bardet ist Direktor det Sortenorganisation Interprofession du Gruyère AOP. Nach fast 30 Jahren verlässt er nun dieses Amt. SWI swissinfo.ch / Vera Leysinger

Die angekündigten Zollerhöhungen veranlassen die US-Importeure von Schweizer Käse zu einer abwartenden Haltung, sagt Philippe Bardet, Direktor des Branchenverbands Interprofession du Gruyère.

Die Vereinigten Staaten sind der wichtigste Exportmarkt für Schweizer Gruyère AOP (geschützte Ursprungsbezeichnung). Die erhöhten Zölle auf alle Einfuhren in die USA zwingen die Produzenten jedoch dazu, Diversifizierungsstrategien zu verfolgen. Zwei wichtige Märkte – China und Russland – sind nach wie vor schwer zu erobern.

Swissinfo traf Philippe Bardet, Direktor der Sortenorganisation Interprofession du Gruyère AOPExterner Link in der Schaukäserei Maison du Gruyère. Er tritt nun von diesem Amt zurück, das er seit 1997 innehatte. Wir sprachen über die Risiken und Herausforderungen, die den Sektor und die Marke erwarten.

Swissinfo: US-Präsident Donald Trump hat mit zusätzlichen Zöllen auf alle Importe in die Vereinigten Staaten gedroht. Was würde das für den Schweizer Gruyère AOP bedeuten?

Philippe Bardet: Unsere Strategie ist es, unsere Exportmärkte zu diversifizieren. Die Vereinigten Staaten sind ein so grosses Land, dass wir unsere Exporte in die USA in den vergangenen 20 Jahren von 2000 Tonnen auf über 4000 Tonnen pro Jahr steigern konnten – trotz des Anstiegs des Schweizer Frankens und der Angst der Amerikanerinnen und Amerikaner vor der Hygiene von Rohmilchprodukten.

Traditionell lag der Zollsatz für Gruyère AOP bei 10 Prozent. In naher Zukunft könnten zwischen 10 und 31 Prozent hinzukommen. Das Hauptproblem ist heute die Unsicherheit. Daher warten die US-Importeure erst einmal ab, was passiert.

Wir wissen noch nicht, welche Auswirkungen steigende Preise in den USA auf den Absatz haben würden. Da es sich um ein hochwertiges Produkt handelt, das in den Vereinigten Staaten regelmässig, aber in kleinen Mengen konsumiert wird, könnte der Schaden begrenzt sein.

Es sei denn, viele Amerikanerinnen und Amerikaner verlieren ihren Arbeitsplatz, die Arbeitslosenunterstützung ist in diesem Land gering. Man muss auch bedenken, dass Gruyère AOP in den USA durchschnittlich 50 Franken (60 US-Dollar) pro Kilo kostet, mehr als doppelt so viel wie in der Schweiz.

Ein MAnn gestikuliert
«Unsere Strategie ist es, unsere Exportmärkte zu diversifizieren.» SWI swissinfo.ch / Vera Leysinger

Seit 2023 gilt die Bezeichnung «Gruyère« in den Vereinigten Staaten als Sortenbezeichnung, was bedeutet, dass ein Käse unabhängig von seinem Herstellungsort so genannt werden darf. Ist das angesichts der Stärke Ihrer Marke und des besonderen Geschmacks des Gruyère AOP wirklich ein Problem?

Das ist ein riesiges Problem, denn es betrifft nicht nur den Gruyère AOP, sondern potenziell alle vergleichbaren europäischen Lebensmittel wie Parmesan, Parmaschinken und Cognac.

Durch diesen Entscheid des US-Gerichts verlieren unsere Produkte an Exklusivität, und langfristig könnten wir die gleichen Schwierigkeiten bekommen wie der Schweizer Emmentaler.

Hinzu kommt, dass die USA unter dem Deckmantel des Freihandels versuchen, Lateinamerika, Kanada und vielleicht sogar Australien dazu zu bewegen, diesem Beispiel zu folgen.

Ihr Ziel ist es, Ihre Exporte zu diversifizieren. Wo liegen international die grössten Wachstumschancen? Wie sieht es bezüglich China und Russland aus?

Mehr als die Hälfte der jährlich produzierten 30000 Tonnen Gruyère-Käse wird in der Schweiz konsumiert. Etwa 7000 Tonnen werden in der Europäischen Union und 4000 Tonnen in den Vereinigten Staaten verzehrt.

Unsere Strategie besteht darin, unsere Position auf ausländischen Märkten zu stärken, auf denen wir bereits stark vertreten sind, anstatt neue Märkte zu erobern.

In Europa beträgt unser Marktanteil [nach Volumen] lediglich 0,2 Prozent. Das Wachstumspotenzial ist also enorm, vor allem in Nordeuropa.

In China haben wir zahlreiche Vorstösse gemacht, die jedoch ergebnislos blieben, da Gruyère AOP nicht zur chinesischen kulinarischen Tradition passt.

Wir haben in grossem Umfang in Russland investiert und die Ergebnisse waren vielversprechend, aber dieser Markt ist seit dem Krieg in der Ukraine viel schwieriger geworden.

In der Schweiz gibt es rund 700 verschiedene Käsesorten, von denen etwa zehn offiziell das AOP-Siegel tragenExterner Link. Wie erklären Sie sich, dass der Gruyère AOP der bekannteste, am meisten konsumierte und am meisten exportierte Käse ist?

Dies liegt an der über Jahrhunderte erworbenen Anerkennung und in jüngerer Zeit am Wunsch, Qualität und Handwerkskunst dank strenger Vorgaben zu fördernExterner Link, die von allen Beteiligten der Branche strikt eingehalten werden müssen.

Dieser strenge Rahmen hat dazu beigetragen, einen spezifischen Geschmack zu garantieren, der nicht nur von Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch von Händlerinnen, Handlern, Importeuren und Grosshändlern geschätzt wird.

Die Konsumentinnen und Konsumenten schätzen auch die Verbindung zwischen unserem Käse und unserer Region. Schliesslich beinhaltet unser Pflichtenheft ein Bewertungssystem: Nur Käse, der eine Mindestpunktzahl erreicht, darf als Gruyère AOP vermarktet werden.

Verschiedene Werbeartikel für Käse vor einer Landkarte
Werbematerial im Besprechungsraum, in dem das Interview stattfand. SWI swissinfo.ch / Vera Leysinger

Im Jahr 2024 haben die Käsereien insgesamt 31 Einsprüche gegen die Bewertungskommission eingelegt. Wie erklären Sie sich das?

Wir führen jedes Jahr 2000 Klassifizierungen durch. Das ist eine echte Qualitätskontrolle durch ein neutrales Gremium.

Die Käse werden mit bis zu 20 Punkten bewertet, die Käserinnen und Käser müssen mindestens 18 Punkte erreichen, um ihren Gruyère AOP uneingeschränkt vermarkten zu können. Das ist in etwa 95 Prozent der Fälle der Fall.

Bei einer Punktzahl zwischen 16,5 und 18 Punkten darf der Käse gerieben verkauft werden, zum Beispiel für Fondue. Unter 16,5 Punkten kann er nur als generischer Käse ohne Markennamen verkauft werden.

Zwischen der ersten und der dritten Kategorie variiert der Preis um den Faktor zwei. Es steht also viel auf dem Spiel. Dies erklärt die Einsprüche, die dann von einem neuen Gremium behandelt werden. Ausserdem schaffen wir mit dieser Einstufung ein Ranking, das einen positiven Wettbewerb unter den Käsern anregt.

Es gibt vier offizielle Sorten Gruyère AOP: Gruyère AOP, Gruyère AOP Réserve, Gruyère AOP Bio und Gruyère AOP Alpage. In den Geschäften findet man jedoch viele zusätzliche Bezeichnungen, wie z.B. «halbsalzig«.

Die Frage der Zusatzbezeichnungen hat bei der Ausarbeitung des Pflichtenheftes viele Diskussionen ausgelöst, und wir konnten keinen Konsens erzielen.

Ich halte es für sinnvoll, dem Einzelhandel einen gewissen Spielraum zu lassen, auch wenn ich Beschreibungen wie «salzig» oder «halbsalzig» für nicht ideal halte, da sie die Realität nicht wirklich widerspiegeln. Ausserdem kann der Salzgehalt ein sensibles Thema sein.

Warum lehnen Sie das Nutri-Score-Bewertungssystem ab, bei dem Lebensmittel je nach ihrem Nährwert in fünf Kategorien eingeteilt werden?

Bei dem Farbsystem – wie es zum Beispiel bei der Bewertung des CO2-Ausstosses von Autos verwendet wird – hat Grün eine positive und Rot eine negative Konnotation.

Einem Autohersteller steht es frei, Elektroautos produzieren, um den grünen Status zu erreichen. Aber unsere Käserinnen und Käser müssen genaue Vorgaben einhalten, und deshalb wird der Gruyère AOP vom Nutri-Score immer orange oder sogar rot eingestuft werden.

Das Nutri-Score-System ist ausserdem zu simpel. Besser wäre es, eine für die einzelne Person angemessene tägliche Salz- oder Fettzufuhr festzulegen.

Für die meisten Konsumentinnen und Konsumenten stellt der Verzehr der üblichen Mengen Gruyère AOP (in der Schweiz durchschnittlich etwa drei Kilogramm pro Jahr) kein Problem dar. Ausserdem enthält Gruyère AOP keine Laktose, was durch den Nutri-Score nicht zum Ausdruck kommt.

Ein Mann
«Das Produktionsgebiet des Gruyère AOP kann auf keinen Fall verändert werden, auch nicht aus wirtschaftlichen oder industriellen Gründen.» SWI swissinfo.ch / Vera Leysinger

Gruyère AOP wird heute nicht nur im Greyerzerland, sondern auch in anderen, genau definierten Teilen der Westschweiz hergestellt. Könnte dieses Gebiet angepasst werden?

Auf keinen Fall, auch nicht aus wirtschaftlichen oder industriellen Gründen, weder um das Angebot zu erhöhen noch zu verringern.

Die historische Verwurzelung des Produktionsgebiets ist ein wesentlicher Garant für die Qualität und das Image des Gruyère AOP und darf auf keinen Fall, auch nicht geringfügig, beeinträchtigt werden. Dies hat auch das Schweizerische Bundesgericht bekräftigt.

Der Sektor des Gruyère AOP umfasst 1700 Milchproduzierende, 160 Käsereien, 61 Alpkäsereien und 11 Betriebe für Käsereifung. Dürfen neue Mitglieder, auch grosse schweizerische oder ausländische Konzerne, beitreten?

Unser Branchenverband ist kein geschlossener Klub. Neue Akteure können beitreten, vorausgesetzt, sie halten sich an das PflichtenheftExterner Link und den Leitfaden für bewährte VerfahrenExterner Link.

Es ist sehr wichtig, in dieser Hinsicht streng zu sein. Ohne diese Strenge könnten wir das gleiche Schicksal erleiden wie der Schweizer Emmentaler, der sich geschmacklich nicht genügend vom billigeren ausländischen Emmentaler abhebt.

Die Produktion von Schweizer Emmentaler ist von 45’000 Tonnen zu Beginn der 2000er-Jahre auf heute 13’000 Tonnen gesunken, und viele Käsereien in unserem Produktionsgebiet sind von Emmentaler auf Gruyère AOP umgestiegen.

In der Praxis prüft unsere Branchenorganisation die Kapazitäten der neuen Akteure, speziell ihre Anlagen, und sorgt dafür, dass eine allfällige Ausweitung des Angebots schrittweise erfolgt.

Einige Käse-Reifungsbetriebe gehören zu grossen Schweizer Konzernen wie Emmi und Migros. Theoretisch könnten diese Konzerne auch aus dem Ausland kommen, aber derzeit ist keiner von ihnen dabei; und das ist wahrscheinlich auch besser so, um den lokalen Charakter des Gruyère AOP zu gewährleisten.

Ich denke auch, dass diese grossen ausländischen Konzerne es vorziehen, bereits hergestellte Produkte zu vermarkten, anstatt sie selbst zu produzieren, da dies mit vielen Risiken und Problemen verbunden sein kann.

Wer kümmert sich um die Vermarktung von Gruyère AOP im Ausland?

Switzerland Cheese MarketingExterner Link [eine Non-Profit-Organisation, die international als Kompetenzzentrum für Käse aus der Schweiz tätig ist] bewirbt Schweizer Käse in der Welt – verkauft ihn aber nicht.

Unsere Sortenorganisation ist für die Promotion des Gruyère zuständig, teilweise mit Unterstützung des Bundes. Es sind vor allem die Reifungsbetriebe, die den Gruyère AOP verkaufen, hauptsächlich an Importeure oder Grosshändler oder direkt an grosse Detailhandelsketten.

Betrachten Sie die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer als informelle Botschafterinnen und Botschafter?

In gewisser Weise ja, denn sie bieten unsere Produkte wahrscheinlich ihren Freunden im Ausland an. Generell sind unsere informellen Botschafterinnen und Botschafter im Ausland aber alle, die sich für unsere Produkte begeistern.

Ein Käselager
Blick durch ein Fenster in der Eingangshalle des Maison du Gruyère. SWI swissinfo.ch / Vera Leysinger

Ihre Spezifikationen und Ihr Leitfaden für bewährte Verfahren sind sehr detaillierte Dokumente, die öffentlich zugänglich sind. Besteht die Gefahr, dass Sie damit potenziellen Wettbewerbern im Ausland helfen?

Das glaube ich nicht. Die Herstellung von Gruyère AOP erfordert praktisches Knowhow, das in diesen Dokumenten nicht zu finden ist.

Ein ausländischer Unternehmer könnte vielleicht ein paar Schweizer Fachleute anstellen, wäre aber nicht in der Lage, eine so starke Marke wie die unsere zu schaffen, die tief in einer historischen Produktionsregion verwurzelt ist.

Der gescheiterte Versuch, die gesamte Produktion von Toblerone in die Slowakei zu verlagern, zeigt deutlich, wie wichtig der historische Produktionsstandort für die Konsumentinnen und Konsumenten ist.

In der Schweiz gilt das Schweizer Recht, besonders die GUB/GGA-Verordnung über die geschützte geografische AngabeExterner Link. Wie sind Sie dadurch im Ausland geschützt?

Unsere Abkommen mit der EU und dem Vereinigten Königreich gewährleisten die gegenseitige Anerkennung der AOP. Mit einigen anderen Ländern haben wir spezifische Abkommen, manchmal im Rahmen von Freihandelsabkommen.

Aber es gibt auch Länder, mit denen wir überhaupt kein Abkommen haben, was die Sache kompliziert macht.

Um die Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten und Fälschungen zu bekämpfen, werden bei Käsesorten wie Emmentaler und Appenzeller seit zehn Jahren so genannte «Tracer-Kulturen« eingesetzt, das sind Milchsäurebakterien, die als Marker für den Herkunftsnachweis dienen. Was sieht es da dem Gruyère AOP aus?

Wir möchten diese Tracer-Kulturen schon lange verwenden, aber es ist technisch sehr kompliziert, da der Gruyère AOP ein natürliches Produkt ist, ohne jegliche Zusatzstoffe.

Wir nähern uns aber allmählich dem Ziel und rechnen damit, dass wir 2027 oder 2028 mit der Verwendung dieser Tracer-Kulturen beginnen können.

Mitarbeit: Anand Chandrasekhar

Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen mit der Hilfe von Deepl: Petra Krimphove

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