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Kolumbiens Frieden hängt am seidenen Faden: Was jetzt zu tun ist

Hunderte von Ureinwohnern aus dem Südwesten Kolumbiens protestierten im April 2025 in Bogotá auf der Suche nach Lösungen für ihre Forderungen nach Bildung, Land und Sicherheit.
Hunderte von Ureinwohnern aus dem Südwesten Kolumbiens protestierten im April 2025 in Bogotá für Bildung, Land und Sicherheit. Keystone-SDA

Die internationale Unterstützung für den Frieden in Kolumbien dürfe nicht nachlassen, mahnt die Menschenrechtsanwältin Luz Marina Monzón Cifuentes. Es brauche jetzt eine Friedenspolitik, die sich um die kleinen Gemeinschaften kümmert, die zwischen der Gewalt gefangen sind.

Als Juristin mit einer Spezialisierung auf Strafrecht und Kriminologie war Luz Marina Monzón eine Schlüsselfigur im kolumbianischen Friedensprozess.

Von 2018 bis 2023 leitete sie als erste Direktorin die Einheit für die Suche nach verschwundenen Personen (UBPD). Über 100’000 Menschen waren während des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts in Kolumbien als vermisst gemeldet worden.

Deborah Schibler, von 'PeaceWomen Across the Globe' begleitete die Anwältin Luz Marina Monzón in Bern.
Deborah Schibler, von ‹PeaceWomen Across the Globe› (rechts) begleitete die Anwältin Luz Marina Monzón in Bern. Patricia Islas, SWI swissinfo.ch

Heute leitet Monzón die NGO Otras VocesExterner Link und ist Teil des globalen Netzwerks «PeaceWomen Across the GlobeExterner Link«. Die Schweizer Initiative unter der Leitung von Deborah Schibler unterstützt Frauen, die sich für den Frieden einsetzen.

Schibler begleitete Monzón kürzlich zu einem Treffen mit Expertinnen und Experten des Schweizer Aussenministeriums und zu einem weiteren Treffen mit Mitgliedern des Schweizer Parlaments, wo sie ihre Ansichten zur aktuellen Situation in Kolumbien darlegte. SWI swissinfo.ch nutzte den Besuch von Monzón, um mit ihr zu sprechen.

Swissinfo: Laut dem IKRK erlebt Kolumbien gerade die schlimmste humanitäre Lage seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der FARC im Jahr 2016. Viele Gemeinschaften befinden sich zwischen den Fronten der Guerilla-Splittergruppen. Sehen Sie noch Wege zum Frieden?

Luz Marina Monzón: Es gibt drei besonders kritische Konstellationen, die im Zusammenhang mit den bewaffneten Akteuren im Land stehen. Jene in der Provinz Cauca ist dabei am dramatischsten. Auch Catatumbo ist kritisch.

Und Chocó ist vielleicht die verletzlichste Region, da es dort einen anhaltenden indigenen sozialen Widerstand gibt, der sich nicht beugen lässt. Deshalb ist die Gewalt dort so brutal.

Chocó ist ein Gebiet, in dem der Staat nie präsent war. Die Entfernungen sind riesig und die Möglichkeiten der Gemeinden sehr begrenzt, sich zu organisieren und Widerstand zu leisten.

Daher braucht es eine Friedenspolitik, die diese Gebiete wirklich erreicht, dort präsent ist und den Menschen hilft, Auswege zu finden. Denn diese Gemeinden wollen keinen Konflikt – sie wollen ein Leben in Würde.

Man muss sie unterstützen. Man muss ihnen sagen, dass der Frieden mit ihnen gemeinsam aufgebaut wird, dass es einen Ausweg gibt und dass sie nicht weiter im Stich gelassen werden.

Eine Person durchsucht die Trümmer eines von einer Explosion betroffenen Hauses in Mondomo, Cauca, Kolumbien, 17. April 2025. Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Kolumbien hat die Anschläge im Departement Cauca, insbesondere den Anschlag in der Stadt Mondomo, bei dem eine Frau getötet und eine weitere verletzt wurde, abgelehnt und zur Achtung der Grundrechte der Bevölkerung aufgerufen.
Eine Person durchsucht die Trümmer eines von einer Explosion betroffenen Hauses in Mondomo, Cauca, Kolumbien, 17. April 2025. Keystone-SDA

Es gibt so viele Partikularinteressen – glauben Sie trotzdem, dass es möglich ist, am Friedensdiskurs festzuhalten?

Ich glaube an die Friedenspolitik der Regierung von Gustavo Petro. Sie ist als Vision gut durchdacht. Sie zielt nicht nur auf die Beendigung der bewaffneten Gewalt ab, sondern berücksichtigt auch Bereiche, die den Konflikt beeinflussen – wie illegalen Bergbau, Drogenhandel, Ungleichheit, fehlende Gerechtigkeit in den Gemeinden.

So ist der Ansatz des «Totalen Friedens» definiert. In der Praxis erfordert das aber, dass der politische Wille und gewisse konkrete Bedingungen zusammenkommen, nur so lassen sich die Gemeinden erreichen.

Welche Fortschritte gibt es mit dem Ziel des «Totalen Friedens» und wo liegen die Hindernisse?

Einige Dinge hat diese Regierung bereits erreicht – zum Beispiel etwas, das für die Menschen auf dem Land essenziell ist: Die Verteilung von Grund und Boden. Die Nationale Bodenbehörde (ANT) hat in Gegenden Grundstücke vergeben, in denen es zuvor nie eine solche Initiative gab.

Andere Massnahmen – wie die Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohnraum oder wirtschaftliche Perspektiven für die Gemeinden – erfordern hingegen finanzielle Mittel. Auch war der Kongress der Friedenspolitik bisher nicht gewachsen. Im Gegenteil, er hat sie absichtlich behindert.

Was ist in der aktuellen Lage das grösste Risiko?

Das grösste Risiko besteht derzeit darin, dass traditionelle Sichtweisen auf den bewaffneten Konflikt die bisherigen Bemühungen zunichtemachen – Bemühungen, die meiner Meinung nach nicht nur von Kolumbien und dieser Regierung, sondern auch von der internationalen Gemeinschaft getragen wurden.

Man muss anerkennen, dass wir nur dank dieser internationalen Unterstützung auf diesem Niveau der Verhandlungen und Friedensbemühungen stehen.

Ohne sie wären wir viel weiter zurück. Denn der Wille zum Frieden kommt von den Gemeinden, nicht von den traditionellen Politikern, die im Gegenteil ein Interesse haben, den Konflikt aufrechtzuerhalten und Lösungen zu verhindern, die das Leben schützen.

Ein bewaffneter Konflikt entsteht nicht einfach, weil jemand zur Waffe greift, sondern ist Ausdruck der tiefen Ungleichheit und Ausgrenzung in einer Gesellschaft wie der kolumbianischen, in der Land und Macht nicht geteilt werden, sondern in wenigen Händen konzentriert sind. Politische Teilhabe und Raum für andere Sichtweisen werden systematisch unterdrückt.

Eine Frau nimmt an einer Demonstration in der kolumbianischen Stadt Buenaventura, dem wichtigsten Pazifikhafen des Landes, teil. Die Leute demonstrierten auf der Straße gegen die Gewalt, die in diesem Jahr bereits mindestens 48 Menschen bei Zusammenstößen zwischen bewaffneten Banden das Leben gekostet hat.
Eine Frau an einer Demonstration in der kolumbianischen Stadt Buenaventura. Die Menschen demonstrieren gegen die Banden-Gewalt, die in diesem Jahr schon mindestens 48 Menschen das Leben gekostet hat. Keystone-SDA

Die Schweiz engagiert sich seit 2001 für den Frieden in Kolumbien. Hat dieses Engagement Wirkung gezeigt?

Die Schweiz – ebenso wie Norwegen, Spanien oder Deutschland – ist eng mit den Gemeinden und Regionen verbunden, hat Projekte unterstützt und Initiativen zum Schutz der Menschenrechte gefördert.

Die Kontakte, die dadurch entstanden sind, haben dazu geführt, dass sich die Schweiz und andere Länder dauerhaft engagiert und nach dem Friedensabkommen von 2016 bei der Umsetzung geholfen haben.

Diese internationale Gemeinschaft kannte das Land bereits vorher, sie kam nicht erst zu den Friedensverhandlungen – das war entscheidend und ist es auch heute noch.

Die Schweiz geniesst in den Gemeinden grosses Vertrauen und sie hat die enorme Bedeutung der Suche nach verschwundenen Personen in Kolumbien erkannt.

Gustavo Petro, Präsident von Kolumbien, rechts, und der ehemalige Schweizer Bundespräsident Alain Berset unterzeichneten am 10. August 2023 in Bogota, Kolumbien, das bilaterale Abkommen über die Aufbewahrung einer digitalen Sicherungskopie der Archive der kolumbianischen Wahrheitskommission in Bern, Schweiz.
Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro (rechts) und der ehemalige Schweizer Bundespräsident Alain Berset unterzeichneten am 10. August 2023 in Bogota das Abkommen über die Aufbewahrung einer digitalen Sicherungskopie der Archive der kolumbianischen Wahrheitskommission in der Schweiz. Keystone / Alessandro Della Valle

Was war Ihre Botschaft bei Ihrem Besuch Bern, ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl in Kolumbien?

Der internationalen Gemeinschaft muss gesagt werden, dass sie ihre Unterstützung nicht aufgeben darf – vor allem nicht politisch –, um die Lösung des Konflikts in Kolumbien zu ermöglichen.

Es ist ein Konflikt, der sich nach dem Friedensabkommen in gewisser Weise neu entfaltet hat, da es weiterhin viele bewaffnete Akteure im Land gibt. Die amtierende Regierung hat jedoch den festen Willen, Lösungen zu finden.

Diese Lösungen mit verschiedenen bewaffneten Akteuren sind eine Herausforderung – so gesehen ist die Präsenz der internationalen Gemeinschaft eine Garantie dafür, dass der Wille zur Verhandlung aufrechterhalten werden kann.

Es gibt Kräfte, die alles rückgängig machen wollen – ohne in den Gemeinden Perspektiven für ein würdevolles Leben zu bieten. Diese Perspektiven stehen in diesem angespannten Szenario in Kolumbien auf dem Spiel kurz vor den Wahlen.

Was erhoffen Sie sich als Frau für den Frieden in Kolumbien?

Ich hoffe, dass uns das gewaltsame Umfeld, in dem wir leben, nicht den Mut raubt, weiter für den Frieden zu kämpfen.

Als Frau, die sich für den Frieden und die Menschenrechte einsetzt, wünsche ich mir, dass sich in der Gesellschaft ein Gefühl der Verantwortung für das politische Klima entwickelt, dass jeder und jede sagen kann, was sie will, und dass sich die Menschen nicht von opportunistischen Auseinandersetzungen ablenken lassen – zum Nachteil des Lebens, der Würde und der Freiheit aller.

Menschenrechte in Kolumbien

Trotz Friedensgesprächen und Waffenruhen leidet die Zivilbevölkerung in Kolumbien weiterhin unter den bewaffneten Konflikten und den damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen und Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht.

Am stärksten betroffen sind indigene, afrokolumbianische und kleinbäuerliche Gemeinschaften.

Die Suche nach verschwundenen Menschen gestaltet sich schwierig, und es gibt weiterhin Fälle, in denen Menschen verschwinden. Auch Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten wurden trotz verbesserter Schutzmassnahmen der Behörden Opfer von Gewalt.

Quelle: Amnesty International

Für die Schweiz ist klar, dass es keine einfachen Lösungen für die strukturellen Probleme Kolumbiens gibt. Mehr dazu in diesem Artikel:

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