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Welche Rolle soll die Schweiz künftig in der internationalen Friedensförderung spielen?

Laurent Goetschel

Um eine erfolgreiche Friedensförderin zu sein, muss die Schweiz über ein passendes internationales Profil, den politischen Willen, und – vor allem – über die Akzeptanz der jeweiligen Konfliktparteien verfügen. Ist dies nach wie vor der Fall?

Manche meinen, die Friedensförderung gehöre zur Schweiz wie der Käse oder die Schokolade, gewissermassen als Anhängsel zur humanitären Rolle, welche die Schweiz seit der Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) durch den Genfer Henry Dunant im 19. Jahrhundert wahrnimmt.

Wenn auch historisch gesehen ein Bezug zwischen dem humanitären Engagement der Schweiz und ihrer Rolle in der Friedensförderung besteht, ist die Parallelität keineswegs zwingend. Dasselbe gilt in Bezug auf die Neutralität, deren moderne Ausprägung aus derselben Zeitperiode stammt.

Die Zeiten, als sich die Schweiz – nicht zuletzt aus Eigeninteresse – von Konflikten in umliegenden und benachbarten Staaten fernhielt und dafür als gute Samariterin fremde Truppen internierte oder Gefangenenaustausche vereinfachte, sind vorbei.

Europa ist schon länger nicht mehr der Nabel der Welt. Und der Umgang mit Gewaltkonflikten ist komplexer geworden. Um Frieden zu stiften, reicht nicht mehr nur das richtige Emblem.

Auch die Neutralität ist schon lange kein hinreichender Grund mehr – das russische Narrativ, die Schweiz habe mit der Übernahme der Sanktionen der Europäischen Union (EU) nach dem Einmarsch in die Ukraine ihre Neutralität aufgegeben, verfängt teilweise im globalen Informationskrieg.

Die Konkurrenz nimmt zu

Durch die geopolitischen Veränderungen der letzten Jahre treten mit Staaten wie Oman oder Qatar zudem neue Akteur:innen auf den Plan, denen aus regional- und globalpolitischen Interessen daran gelegen ist, sich als Brückenbauer:innen und Vermittler:innen zu positionieren.

Auch Norwegen liess sich in den vergangenen Jahrzehnten trotz seiner Mitgliedschaft im Nordatlantischen Militärbündnis der NATO nicht davon abhalten, eine sehr aktive und erfolgreiche Rolle in der Beilegung internationaler Konflikte zu spielen.

Die gute Nachricht für die Friedensförderung der Schweiz lautet: Trotz oder gerade wegen den aktuellen sicherheitspolitischen Verwerfungen in der Welt ist das Bedürfnis nach Staaten gross oder sogar wachsend, die nicht primär Partei ergreifen, sondern einen Beitrag zur Konfliktlösung leisten wollen.

Die weniger gute Nachricht lautet: Die Konkurrenz nimmt zu, und die Schweiz kann sich nicht darauf verlassen, dass die ganze Welt denkt, Frieden lasse sich nur in Genf erzielen. Die Schweiz wird in Zukunft noch mehr als zuvor darauf achten müssen, ihre Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit in der Friedensförderung unter Beweis zu stellen.

Sie sollte bemüht sein, ihr über die Jahre hinweg angesammeltes internationales politisches Kapital nicht ohne Not aus kurzfristigen Opportunitätsgründen zur Disposition zu stellen: Die Schweiz steht für den Respekt des Völkerrechts und die Einhaltung der Menschenrechte. Dazu gehört auch das internationale humanitäre Recht in kriegerischen Auseinandersetzungen.

Konkret bedeutet dies, dass es für die Schweiz keine Alternative zu einer unmissverständlichen Verurteilung des militärischen Angriffs Russlands auf die Ukraine geben kann. Genauso klar muss jedoch die Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen durch die Hamas und Israel erfolgen.

Zudem passt das Verbot von Kriegsparteien jenseits von Beschlüssen des UNO-Sicherheitsrats, wie dies in der Schweiz mit dem Hamas-Verbot geschehen ist, nicht zum Profil einer Friedensförderin.

Die Aussenpolitik sollte hier über der Innenpolitik stehen. Dafür muss die Regierung ihre Führungsverantwortung wahrnehmen. Immerhin gehört die Friedensförderung gehört zu den aussenpolitischen Prioritäten der Schweiz. Sie ist sogar in der Bundesverfassung erwähnt.

Bringt die Schweiz den nötigen Mut auf?

Der gesteigerte Bedarf nach Friedensförderung hat diese nicht einfacher gemacht. Die Anwendung der Normen der UNO-Charta unterliegt im Falle von Kriegen noch mehr als sonst den politischen Spielen im UNO-Sicherheitsrat.

Umso wichtiger sind Staaten, die wie die Schweiz über eine verhältnismässig grosse Glaubwürdigkeit und Unparteilichkeit verfügen. Durch die erfolgreiche Bilanz ihrer kürzlich beendeten erstmaligen Mitgliedschaft in diesem Gremium hat sich die Schweiz positiv ausgezeichnet.

Sie vermochte insbesondere in den Bereichen des Schutzes ziviler Personen in Kriegen, der Rolle neuer Technologien in der Friedensförderung und der Bedeutung des Schutzes der Umwelt für die internationale Sicherheit wichtige Impulse zu setzen. Die Neutralität hat sich, trotz vorangegangener Befürchtungen aus dem konservativen politischen Lager, nicht als Handicap erwiesen.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Schweiz zugleich neutral wie auch wertebasiert unterwegs sein kann. Diese Kombination lieferte die Voraussetzung für die erfolgreiche Abhaltung des Treffens zum Krieg in der Ukraine auf dem Bürgenstock. Es war mutig, diese Konferenz vor einem Jahr anzukündigen.

Deren Zustandekommen bedurfte der Aktivierung sämtlicher politischen Beziehungsnetzwerke der Schweiz. Zudem war es notwendig, dass die Regierung verschiedenen Druckversuchen standhielt, die das Treffen im geplanten Format gegen die Wand fahren wollten.

Wenn die Schweiz auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Friedensförderung spielen will, sollte sie diesen Ehrgeiz und Mut weiter pflegen. Sie sollte auch jenseits der klassischen Guten Dienste, wofür das Treffen auf dem Bürgenstock stand, in den jeweiligen Konfliktkontexten präsent und engagiert sein, ohne dabei ihre Grundwerte in Frage zu stellen.

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