Berlinale mit drei Schweizer Spielfilmen

An den Filmfestspielen Berlin ist die Schweiz mit drei Werken vertreten. Carlos Leal nimmt als Schweizer Schauspieler am Wettbewerb "Shooting Stars" teil.
Einige Nachwuchstalente wünschen sich mehr Unterstützung der Schweizer Filmförderer. «Wir können nicht alles leisten, » so die Branchenorganisation Swissfilms.
In den letzten Jahren war die Schweiz an internationalen Filmfestivals vor allem durch Dokumentarfilme vertreten. Die Präsenz von drei Langspielfilmen sowie einer Koproduktion an den 56. Internationalen Filmfestspielen Berlin zeugt vom frischen Wind in der Schweizer Spielfilmszene.
Doch zum Jubeln ist es noch zu früh, zumal Regisseure und Nachwuchs-Schauspieler sich bei der Promotion vernachlässigt fühlen. Offizielle Institutionen, allen voran die Branchenorganisation Swissfilms, könnten ihrer Meinung nach mehr für die Werbung des Schweizer Films im Ausland machen.
Die Regisseurin Stina Werenfels hat sich beispielsweise an eine Privatagentur in Berlin gewandt, um die Events und Pressearbeit rund um die Ausstrahlung ihres Films «Nachbeben» zu organisieren.
Metapher auf neoliberale Werte
«Ich weiss nicht, wie Organisationen wie Swissfilms genau funktionieren, aber praktische Hilfe habe ich bisher keine erhalten. Nun wurde mir eine neue Person vermittelt, die mir zur Hand gehen soll. Hoffen wir das Beste! «, sagt Stina Werenfels.
Swissfilms-Direktor Micha Schiwow gibt zu Bedenken, dass das Budget seiner Organisation für die gesamte Berlinale nur 80’000 Fr. betrage. Damit könnten nicht alle Erwartungen erfüllt werden.
«Für Stina Werenfels haben wir die Filmkopien bezahlt sowie die Transportkosten. Und zusammen mit ihrer Produktionsfirma, Dschoint Ventschr von Zürich, haben wir entschieden, wen wir zu den Pressekonferenzen und Festanlässen einladen wollen. Einen Teil dieser Kosten haben wir abgedeckt. Aber da wir keine Deutschen sind, kennen wir uns hier nicht aus. Das bedeutet für uns einen zusätzlichen Aufwand.»
Der Film «Nachbeben» thematisiert den finanziellen und menschlichen Niedergang eines reichen Schweizer Bankiers. Er wurde erstmals an den Solothurner Filmtagen gezeigt und vom Publikum überraschend gut aufgenommen.
«Für viele Schweizer ist es irritierend, hinter die Fassaden der Business-Welt zu schauen», glaubt Regisseurin Werenfels. Ausländer und Schweizer hätten den Film nicht nur als Metapher auf die Schweiz, sondern auch auf die ganze neoliberal geprägte Welt gesehen: «Diese Prinzipien durchdringen mit aller Macht auch private Beziehungen und Partnerschaften.»
Carlos Leal: Von der Musik zum Film
Der Film ist eine Kunst, die alle Ausdrucksformen beinhaltet. Diese Universalität hat den 36-jährigen Carlos Leal angespornt, die Musik aufzugeben und Schauspieler zu werden. Leal hat den Durchbruch in der Schweiz, aber auch in Frankreich, als Frontmann und Sänger der Lausanner Rap-Gruppe Sens Unik geschafft.
Vor fünf Jahren zog er nach Paris und konzentriert sich vollkommen auf seine Schauspielkarriere. «Jetzt beginne ich die ersten Früchte meiner Arbeit zu ernten», so Leal zu swissinfo. Er hofft auf neue Engagements nach der Berlinale. «Ich würde gerne mit spanischen oder italienischen Regisseuren arbeiten». Vor allem das italienische Kino habe momentan viel Energie, die Schauspieler seien leidenschaftlich – mit Herz und Bauch – bei der Sache.
Ein Europäer in der Schweiz
Carlos Leal wuchs in der Westschweiz auf, ist aber ein Symbol der multikulturellen Schweiz. Er spricht mehrere Sprachen und ist bereit, überall auf der Welt zu arbeiten.
«Ich war schon immer ein Exil-Mensch. Als ich als Kind in Spanien in den Ferien weilte, nannten sie mich ‹den Schweizer›. In der Schweiz war ich Ausländer, das Kind von Immigranten.» In Paris sei er jetzt wiederum «der Schweizer», so Leal.
«In Wahrheit fühle ich mich heute als Europäer. Die europäische Vielfalt habe ich hautnah erlebt. Ich bin in Renens aufgewachsen. Und dort leben viele Italiener, Spanier, Portugiesen, Türken, Kurden und Ex-Jugoslawen. Das ist für mich Europa! «
swissinfo, Raffaela Rossello
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Drei Schweizer Filme laufen an den Internationalen Filmfestspielen in Berlin: «Nachbeben», der erste Langspielfilm von Stina Werenfels, «Lenz» von Thomas Imbach und «Vitus» von Fredi Murer (mit dem Schauspieler Bruno Ganz).
Im Internationalen Wettbewerb ist zudem «Slumming», eine Koproduktion Schweiz/Österreich, zu sehen.
Carlos Leal hat für seine Rolle im Film «Snow White» den Preis als bester Schweizer Schauspieler 2006 erhalten.
Er nimmt in Berlin am Wettbewerb «Shooting Stars» teil, zu dem Nachwuchstalente aus 21 verschiedenen Ländern angemeldet sind.
Die 56. Internationalen Filmfestspiele in Berlin finden vom 9. bis 19.Februar 2006 statt.
Es sind 360 Filme im Programm, 19 im Wettbewerb um den Goldenen und Silbernen Bären.
Zusammen mit Cannes und Venedig gehört Berlin zu den wichtigsten Filmfestspielen der Welt.
Zeitgleich mit der Berlinale werden weitere Schweizer Produktionen am European Film Market gezeigt. Es ist eine Messe für Einkäufer und Filmverleiher.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch