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Samir und Schneewittchen

"Ich liebe Geschichten, die gut enden" - der Regisseur Samir. Keystone

Der neue Spielfilm "Snow White" des in Irak geborenen Schweizer Regisseurs Samir lief am Filmfestival von Locarno im Internationalen Wettbewerb.

Im Gespräch mit swissinfo äussert sich Samir über seine Arbeit, die moderne Gesellschaft und seine Zukunftspläne.

Samirs erster Spielfilm Film “Snow White” (Schneewittchen) erzählt von zwei Liebenden unter einem Unglücksstern: Julie Fournier spielt das Zürcher Goldküstengirl Nico und Carlos Leal den Genfer Vorstadt-Rapper Paco.

swissinfo: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über die reiche Zürcher Jugend zu drehen?

Samir: Ich bin zwar nicht in diesen Kreisen geboren, aber gleichwohl etwas fasziniert von diesem modeorientierten Milieu, das man in den Zürcher Clubs antrifft. Ich wollte verstehen, wie dieser Teil der Gesellschaft funktioniert.

Der Film zeigt nicht eine heile Schweiz. Er spielt in einer modernen, urbanen und jungen Szene, mit der ich nicht alles teile, die jedoch existiert. Das ist eines der Gesichter der Schweiz.

Es war nicht mein Ziel, einfach einen Film über diese verwöhnte Zürcher Jugend zu drehen, sondern vielmehr ein Beispiel des modernen Lebens zu zeigen. Zudem ist “Snow White” vor allem eine Liebesgeschichte, die sich in zwei verschiedenen Welten abspielt.

Die andere Welt ist die Rapper-Szene in einer Genfer Vorstadt. Sie repräsentiert die Arbeiterklasse, falls man diesen Ausdruck heute noch gebrauchen kann. Die Persönlichkeit von Carlos Leal interessiert mich stärker als die Welt der verwöhnten Jugendlichen.

swissinfo: Wieso haben Sie sich nicht für einen Dokumentarfilm entschieden?

Samir: Unser Leben ist die Basis für Filme. Aber Filme sind moderne Märchen. Gewisse Leute haben gesagt, ich würde Clichés erfinden. Aber die Clichés basieren auf der Realität.

Die Geschichte eines reichen Mädchens, das leidet, das ist ein Klassiker. In der Literatur gibt es Madame Bovary oder Anna Karenina. Ich habe diese Liebesgeschichte als Ausgangspunkt genommen, um etwas über unsere Gesellschaft zu erzählen.

swissinfo: Carlos Leal, der Sänger von “Sens Unique” ist in der Schweiz ein Star und der Drehbuchautor Michael Sauter war auch an der Erfolgskomödie “Achtung, Fertig Charlie” beteiligt. Ist das eine Marketingstrategie?

Samir: Nein, das ist reiner Zufall. Carlos kenne ich seit meinem ersten Dokumentarfilm “Babylon 2” über Immigrantenkinder. Er war damals Schuhverkäufer und keiner konnte ahnen, dass er eines Tages ein Hip Hop-Star sein wird.

Michael Sauter hat für meine Produktionsfirma bereits das Drehbuch zu “Strähl” geschrieben. Er schreibt harte Geschichten, das gefällt mir. Ich liebe es, Geschichten zu erzählen, die gut enden.

swissinfo: Es war nicht leicht, die nötigen Gelder für die Finanzierung der Produktion zu finden. Wie fühlen Sie sich als Regisseur in der Schweiz?

Samir: Ich glaube, das Leben als Filmemacher ist überall dasselbe. Einen Film zu drehen, ist jedes Mal ein langer Prozess. Das muss man akzeptieren, denn es ist auch ein Privileg. Und manchmal braucht es Geduld.

Kürzlich habe ich sechs Drehbücher geschrieben. Keines konnte finanziert werden. Aber ich war nicht niedergeschlagen. Ich habe mich in Zürich für die Erhöhung der Filmförderung eingesetzt und es hat funktioniert.

swissinfo: In “Snow White” geht es um einen Aspekt der modernen Gesellschaft in der Schweiz. Welche anderen Themen möchten Sie in ihren nächsten Filmen behandeln?

Samir: Ich habe immer viele Projekte. Sicher ist, dass ich schon ein klares Drehbuch im Kopf habe. Es basiert auf einem Roman des Deutschschweizer Schriftstellers Peter Stamm.

Es geht wieder um eine Liebesgeschichte, die diesmal aber in Chicago spielt. Jetzt muss ich mich um die Finanzierung kümmern, damit ich in die USA gehen und dort drehen kann. Ein grosses Projekt, ich weiss nicht, ob es gelingt.

Dann möchte ich auch den letzten Teil meiner Trilogie vollenden, die mit “Babylon 2”, einem Film über das Leben von jungen Ausländer in der Schweiz, begonnen hat. Teil zwei war “Forget Bagdad”, die Geschichte über kommunistische irakische Juden.

Der letzte Teil der Trilogie, “Iraqi Odyssey” soll die Geschichte meiner Familienangehörigen erzählen, die es in alle Teile der Welt verschlagen hat: Sie leben in London, Neuseeland, Zürich, Paris, Moskau aber auch in Irak.

swissinfo-Interview: Alexandra Richard, Locarno
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)

“Snow White” 2005

Regie: Samir

Drehbuch: Michael Sauter

Darsteller: Julie Fournier, Carlos Leal

Filmfestival Locarno: Internationaler Wettbewerb

Schweizer Kinopremiere: 1. September 2005

Samir wurde 1955 in Bagdad geboren. Seit 1961 lebt er in der Schweiz, wo er an der Schule für Gestaltung in Zürich studierte.

Ab 1983 realisiert der Typograph und Kameramann seine ersten Filme. Seither hat Samir über 40 Video-Produktionen und Dokumentarfilme gedreht. Seine wichtigsten Filme sind “Babylon 2” und “Forget Bagdad”.

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