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“Vitus” – der neue Film eines Altmeisters

Vitus mit seinem Fluggerät - Ausschnitt aus Fredi M. Murers Film. (Bild: Hugofilm) Hugofilm

20 Jahre nach "Höhenfeuer" und acht nach "Vollmond" hat Fredi M. Murer einen neuen Film gedreht: "Vitus" - die Geschichte eines Schweizer Wunderkindes.

Kurz nach dem 250. Geburtstag des musikalischen Wunderkindes Wolfgang Amadeus Mozart bringt Murer sein Wunderkind, den 12-jährigen Vitus, ins Kino.

Vitus ist mehr als ein Tastenvirtuose. Er hat, als Kind, nicht nur das absolute Musikgehör, sondern ist auch ein Mathematikgenie, pilotiert allein ein Flugzeug, liest die Financial Times und wird zum Internet-Börsenguru, der in kurzer Zeit Millionen verdient.

Das Leiden des Wunderkindes

Eigentlich ist Vitus aber ein ganz normaler Junge, dem bloss alles viel zu leicht fällt. Er spielt Klavier wie ein kleiner Gott, kontert die Fragen der Lehrer mit Gegenfragen und träumt, wie viele Jungs, vom Fliegen. Aber Vitus ist unterfordert – und er leidet darunter.

Zudem macht seine egoistische Mutter so ziemlich alles falsch. Und sein Vater, ein stiller Tüftler, der es dank der Erfindung eines neuen Hörapparats vom einfachen Angestellten zum CEO und damit zu Eigenheim und Porsche bringt, ist meist abwesend.

Geborgenheit findet Vitus bei seinem verschrobenen Grossvater, der allein in einem alten Haus lebt. Auf seinen Rat hin tut Vitus etwas Mutiges. Er stürzt sich mit dem gemeinsam gebastelten Fluggerät von der Terrasse der elterlichen Villa – und landet im Spital.

Das ganz normale Wunderkind

Von nun an ist alles anders. Vitus ist ein ganz normales Kind, mit einem IQ wie andere Kinder. Die Mutter ist verzweifelt, der Vater wundert sich. Vitus jedoch ist glücklich, und nur der Grossvater weiss, dass der Junge schwindelt: Er gibt nämlich bloss vor, kein Wunderkind mehr zu sein.

Vitus lebt ein Doppelleben. Er geht brav zur Schule, spekuliert aber danach mit dem Ersparten des Grossvaters an der Börse, kauft teure Anzüge, mietet sich ein Loft, übt fleissig am Flügel, und macht seiner früheren Babysitterin eine Liebeserklärung.

Das Happy-End ist vorgespurt. Vitus rettet mit seinen Millionen die konkursite Hörapparate-Firma und damit den Job seines Vaters. Und er macht sein Coming-out mit einem Klavierkonzert in der Zürcher Tonhalle, wo er als Star gefeiert wird.

Märchen oder Fabel?

Es gibt viele berührende Momente in “Vitus”, etwa in den Szenen mit dem Grossvater, oder beim vornehmen Essen, zu dem Vitus seine Angebetete einlädt. Und die beiden Kinder, die den sechs- und zwölfjährigen Vitus spielen, sind glaubwürdig und echt.

Aber die Geschichte wirkt etwas konstruiert. Und es wird nicht klar, ob der Film ein Märchen oder eine moralische Fabel, oder einfach nur eine unterhaltende Geschichte sein will.

Die erwachsenen Schauspieler agieren zudem nicht immer sehr natürlich. Bruno Ganz als Grossvater ist jedoch einmal mehr hervorragend.

Originell, aber…

“Vitus” ist nicht das grosse Werk eines Altmeisters geworden, aber ein origineller und schön anzusehender, wenn da und dort auch etwas schwerfällig inszenierter und mit einigen Klischees behafteter Film. Trotzdem dürfte der neue Film des 65-jährigen Regisseurs Murer keine Mühe haben, sein Publikum zu finden.

swissinfo und Beat Glur, SFD

Fredi M. Murer:
Geboren 1940 in Beckenried.
Ausbildung an der Fachklasse für Fotografie an der Schule für Gestaltung, Zürich.
1970 Gastlehrer an der Gilford Arts School London.
1975/76 Studienaufenthalt in den USA.
Seit 1967 freischaffender Filmemacher und Produzent in Zürich.
1992 – 96 Präsident des Verbandes Schweizerischer Filmgestalterinnen und Filmgestalter.

Fredi M. Murer gehört zu den bekanntesten Schweizer Filmregisseuren und -produzenten.

Zu seinen berühmtesten Filmen gehören “Vollmond” (1998), “Der grüne Berg” (1990), “Höhenfeuer” (1985) und “Grauzone” (1978).

Murer hat in seiner Schaffenszeit mehrere Auszeichnungen geholt, darunter einen Goldenen Leoparden für “Höhenfeuer”.

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