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EAZ, Baby Volcano, StarrLight: Rap aus der Schweiz hat nichts mit Kühen zu tun

EAZ, Arber Rama, mit Kopfhörer im Ohr, umringt von Männern, unter anderem die Rapper Xen und L Loko
EAZ bereitet sich auf seinen Auftritt am SPEX-Festival in Bern vor, umringt von weiteren Grössen des Mundartrap: L Loko (ganz links) und Xen (links hinten). Thomas Kern/swissinfo.ch

Schweizer Hiphop ist so gross, dass er erstmals in einem halben Jahrhundert Dialektmusik in die deutschen Charts bringt. Gleichzeitig widerspiegelt er die Sprachvielfalt des Landes: Es gibt ihn auf Albanisch, Italienisch, Rätoromanisch, Französisch, Englisch, Spanisch und sogar Papiamentu.

Viele Deutsche verstehen kaum ein Wort Schweizer Dialekt und hören darum auch keine Mundartmusik. Entsprechend euphorisch kündigt die Moderatorin auf der Bühne des Spex-Festivals in Bern den Rapper EAZ an. Ihm ist gelungen, was in 53 Jahren niemand schaffte: Mit einem Mundart-Hit in die deutschen Charts zu kommen.

EAZ: Mit Mundartmusik über die Landesgrenzen

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Beim Interview am Rande des Festivals erzählt EAZ, dass er nun erkannt wird, wenn er in Deutschland an einer Tankstelle aussteigt. Deutsche Tiktoker:innen posten Videos, in denen sie “Juicy” nachrappen. “Ich finde es ‘unique’: zwischen Deutschland und Österreich zu leben. Wir verstehen sie alle und sie verstehen uns nicht”, sagt EAZ.

Über 15 Millionen Mal wurde sein Song “Juicy” bisher auf Spotify gestreamt. “Oh mein Gott, sie isch juicy, ich wür lüge, wenn ich säge, ich bruch sie nöd” setzt der Refrain der Sehnsuchtshymne an. Der Text ist erotisch, aber ohne Machogehabe. “Juicy” erzählt aus einem anderen Alltag als das gutbürgerliche “Grüeziwohl Frau Stirnimaa”, der Dialektsong von 1969, der auch in Deutschland ein Erfolg war.

Mundart-Rap hat sich in den letzten 30 Jahren als Genre etabliert – und damit Schweizer Dialekt-Musik aus der herzigen Schneekugel gerissen.

Von Sens Unik bis heute

“Als ich 10 war und meinen ersten Text geschrieben habe, war der schon in Mundart”, erzählt EAZ. “Warum? Weil es die Sprache war, die ich beherrscht hab. Ich denke auf Schweizerdeutsch und schaue die Welt auf Schweizerdeutsch an.” Damals habe er die Texte vom New Yorker 50 Cent mitgerappt, ohne ein Wort zu verstehen – und geglaubt, er sei der einzige Schweizer Rapper.

Er grinst, als er das sagt. Bereits Mitte der 1990er-Jahre feierte der französische Rap der Gruppe Sens Unik aus Lausanne Erfolge, während Rap auf Dialekt ein Untergrundphänomen war. Mitte der Nullerjahre drang dann auch Mundartrap mit Bligg, Breitbild, Gimma, Brandhärd und Big Zis erstmals in den Mainstream. Doch, wer damals zum Star werden wollte, verabschiedete sich, wie Bligg, vom Hiphop Richtung Popmusik.

Vielen Hiphop-Fans galt Mundartrap als Schweizer Folklore und dem breiten Publikum war richtige Folklore dann doch lieber. Skepsis hat auch EAZ noch erlebt. “Du rappst gut, aber Schweizerdeutsch ist schwierig – das hörte ich oft”, sagt EAZ. “Wir sind jetzt die Generation, die alle Türen öffnen kann.” Und es sehe gut aus. “Die Rapszene kommt näher an das, was wir immer wollten: ans Populäre.”

Wetzikon: Das “Compton der Schweiz”

Die Schweizer Charts stürmt “Mundartrap” dank jungen Menschen in Clubs, auf Bahnhofbänken und Pausenplätzen regelmässig. Oft mit viel Lokalpatriotismus versetzt, denn in jeder Silbe ist erkennbar, ob ein:e MC aus Bern, St. Gallen, Chur oder Wetzikon kommt.

Wetzikon ist die Basis von EAZ. Der Name EAZ ist ein Code für die Kleinstadt nah an Zürich. Hier ist Arber Rama, wie der Rapper eigentlich heisst, aufgewachsen. Es sei “das Compton der Schweiz”, sagt er. Wie die Vorstadt von Los Angeles, die weltweit die Hiphopgeschichte geprägt hat, ist Wetzikon demnach rauer als das schicke Zürich.

EAZ spricht, wie er rappt, und wie heute viele in der Schweiz sprechen: eine Mundart, durchsetzt von Englisch, Lehnwörtern und Slang-Fetzen.

Manche seiner Songs sind Albanisch. “Dorë për Dore”, deutsch “Hand in Hand”, ist genauso hingebungsvoll wie seine Mundartlieder. Die älteren Schwestern von EAZ sind im Kosovo geboren. “Wir Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz sind Gastarbeiter, Refugees und Kinder, die hier aufgewachsen sind. Ich finde, Schweizer und Albaner harmonieren mittlerweile sehr gut zusammen. Jeder trägt etwas zur Schweiz bei – ich zum Beispiel meine Musik.”

Von KT Gorique bis Ele A

Natürlich ist Rap in allen Landessprachen relevant in der Schweiz: Bei den Swiss Music Awards 2023 ist die frankofone Rapperin KT Gorique als “Best Act Romandie” ausgezeichnet worden. Bereits 2009 schafften es Liricas Analas erstmals mit Rap auf Rätoromanisch in die Schweizer Albumcharts. 2023 ist die Tessiner Rapperin Ele A mit ihrem italienischen Rap auch jenseits der Landesgrenzen eingeschlagen.

Die Sprachvielfalt geht über die Landessprachen hinaus: Die kosovarische Diaspora in der Schweiz umfasst mehr als 200’000 Menschen – entsprechend gibt es auch einigen albanischen Rap “Made in Switzerland”. La Nefera aus Basel rappt auf Spanisch, ebenso wie Baby Volcano aus dem Jura.

Baby Volcano: Spanisch ist wie Knetmasse

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Baby Volcano, die eigentlich Lorena Stadelmann heisst, macht experimentelle Musik, keinen klassischen Hiphop. Angefangen hat sie mit Tanz und Performanceprojekten: Der Körper habe sie zur Sprache geführt – und die Sprache zur Musik.

Rap sei ihr wichtig, sagt Baby Volcano, aber sieht sich nicht als Rapperin. “Ich liebe, was Rap mit der Sprache, dem Rhythmus, der Attitüde macht.” Es ermögliche, Sprache anders zu entdecken – nah an ihrem Klang, auf eine primitive Weise.

So wie es die argentinische Rapperin Nathy Peluso mache. Bei ihr spüre man auch, was Spanisch kann: “Diese Sprache ist wie Knetmasse – du kannst sie verändern, wie du willst.”

Manchmal springt Baby Volcanos Musik innert einer Millisekunde von Spanisch auf Französisch. “Wenn wir die Sprache wechseln, werden wir beinahe andere Persönlichkeiten. Spanisch und Französisch sind meine Muttersprachen, aber Spanisch fliesst mehr. Es ist sehr körperlich, wie Italienisch auch. Das macht Rappen auf Spanisch einfacher für mich.”

Die “Swiss Anxiety” im Solarplexus

Auf der Bühne spüre sie, wie die Sprache Stimme und Körper verändert. Das Körperliche spiegelt sich auch in Baby Volcanos Texten. Alle Songs auf “Sindrome Premenstrual” sind Körperteilen zugeordnet: Uterus, Lunge, Haut, Herz, Kehle – und Solarplexus, das Knotengeflecht in der Brust. Dieser Song heisst “Swiss Anxiety”.

Live fühlt sich das – auch wegen der körperlichen Präsenz – wie eine Anklage an die Schweiz an. Die “Swiss Anxiety” verortet Baby Volcano im Solarplexus, weil sie selbst die Angst dort spürt. Sie nimmt sich also nicht aus. “Dieses Bild in der Schweiz, dass alles perfekt sein muss, macht ängstlich. Man verkennt, dass jeder Tag Chaos beinhaltet.” Dies führe dazu, dass zu wenig offen über psychische Gesundheit gesprochen werde.

Baby Volcano vor einer Wand voller Blätter an einer grünen Wand.
Baby Volcano sprach mit SWI Swissinfo an einem Pausentag nach dem Auftritt am Paléo Festival Nyon. Das “Paléo” gehört mit 250’000 Besucher:innen über sechs Tage zu den grössten Festivals der Schweiz. Thomas Kern/swissinfo.ch

Für den Umgang damit brauche es Bewusstsein und Humor. “Der Song ist tanzbar, er vermittelt nicht, ‘Oh Gott, was tun wir jetzt’, sondern es geht darum zu sagen: ‘Ok, das ist Teil von uns als Land.'”

Den Röstigraben spüren die Landessprachen

Baby Volcano ist Guatemaltekin und Schweizerin. Im Elternhaus in einem Dorf im Kanton Jura ist ein Mix aus Spanisch und Französisch gesprochen worden. Zur Sprache ihrer Kunst ist Spanisch aber erst in Argentinien geworden, wo sie vier Jahre gelebt hat.

Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz ist Baby Volcano Teil der jungen Indie-Musikszene geworden, die sie als experimentierfreudig beschreibt. Doch der Röstigraben sei ein Problem – vor allem für Musik mit französischen Texten.

“Weil meine Musik auf Spanisch ist, wurde ich glaube ich sogar früher in die Deutschschweiz eingeladen.” Vielleicht liege das aber auch an den grossen Latino-Communities in der ganzen Schweiz. “Wir sind überall”, sagt sie belustigt.

Im Sommer 2023 ist Baby Volcano auf vielen Festivals eingeladen – in der Schweiz und international. Geht es so weiter, steht sie früher oder später an einer Wegscheide: Schweiz, Frankreich oder die spanischsprachige Welt. “Wenn du in der Schweiz sagst, du bist Musikerin, hält man dich für arbeitslos.”

In Frankreich gebe es mehr Anerkennung, mehr Mittel und Institutionen, um als Musikerin zu wachsen. Die spanischsprachige Musikindustrie wiederum ist ein Vielfaches grösser als die frankofone.

StarrLight: Die friedliche Alien-Invasion

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EAZ geht bald auf Tournee durch die Schweiz und wird das finale Konzert in seiner Geburtsstadt Wetzikon spielen. Wer hingegen erfolgreich Musik auf Englisch rappt, möchte auch ins “Mutterland von Hiphop”, wie es StarrLight ausdrückt.

StarrLight rappt Englisch mit einer Geschwindigkeit, einer Intonation und einem Wortschatz, dass sie mit den Rap-Urgesteinen in den USA konkurrieren kann.

Vom ersten Moment an in der Schweiz zuhause

Die Pandemie hat die bereits geplante Tour in den USA verhindert, erzählt StarrLight in Basel. Im Oktober nimmt sie einen neuen Anlauf. Basel ist ihre Wahlheimat.

Die Niederländerin fühlte sich in der Schweiz seit dem ersten Besuch unerklärlich wohl. “Dank meiner Musik hatte ich die Möglichkeit, ganz Europa zu sehen. Und da war immer was mit der Schweiz: Ich fühlte mich zuhause, egal, wo ich auftrat, in Chur, Schaffhausen, Genf, überall.”

StarrLight MC blickt kniend in die Kamera, nahe am Rhein in Basel.
StarrLight bei der Fussgängerpromenade am Kleinbasler Rheinufer. Basel ist die Wahlheimat der Rapperin. Thomas Kern/swissinfo.ch

Irgendwann hatte sie so häufig Auftritte in der Schweiz, dass sich die Frage häufte, ob sie bereits hier lebt. Vor zwei Jahren ist sie dann nach Basel gezogen.

Rap als Therapie

StarrLight wollte nie Mainstream sein, sondern ihre sehr eigene Botschaft vermitteln – und für diese Botschaft seien die Niederlanden alleine zu klein. “Ich rappe als Alien. Ich fühle mich dieser Welt entfremdet, ich habe kein Problem mit einzelnen Leuten, sondern mit der Menschheit an sich. Ich fühle mich mit der Natur verbunden und mit wenigen Menschen, die mir nah sind.”

In ihren Texten geht es oft um einen Aussenblick auf die Menschen, manchmal im Rahmen einer friedlichen Invasion, manchmal aus dem Weltall. “Ich habe meine eigene kleine Welt geschaffen, Planet Starrazoid, wo alle, die reinwollen, reindürfen und damit Fans von StarrLight werden, egal, wer und wo sie sind.”

Zu hören, dass StarrLight ausdrücke, was Fans empfinden, aber nicht ausdrücken können, sei unglaublich. “Weil ich selbst mit Rap anfing, um mein Empfinden auszudrücken. Rap war erst Therapie, bevor ich bemerkte, dass ich es ziemlich gut kann.”

Wer sich ebenfalls entfremdet fühle, fühle sich durch den Alien-Teil verbunden. Wer sich menschlich fühle, verbinde sich mit ihrem Flow und Lyrics. “Wenn du eine starke Frau bist, verbindest du dich mit diesem Teil. Wenn du schwarz bist, verbindest du dich mit diesem Teil. Wenn du eine gleichgeschlechtliche Beziehung hast, verbindest du dich damit.” Alle Fans und Hörer:innen würden wählen, womit sie sich verbunden fühlen.

“Rap auf Schweizerdeutsch hat nichts mit Kühen zu tun”

StarrLight hat ein offenes Bild von Hiphop. “Ich finde es schön, dass Hiphop existiert und wie er durch die Welt reist. Dass er schon früh in den Niederlanden ankam und damit für uns offenstand. Und dass er Geschlechter überquert – in Hiphop kommt es nicht darauf an, wer du bist.”

Entsprechend hat auch der Mundart-Rapper Shape ein Featuring in einem Song von StarrLight. “Rap auf Schweizerdeutsch ist cool, er hat nichts mit Kühen zu tun. Rapper wie Shape verkörpern Hiphop, egal, welche Sprache es ist, sie muss von innen kommen.”

Niederländisch ist für Starrlight keine Option. Sie möchte aber mehr Papiamentu in ihre englischen Songs mischen. Papiamentu ist die Muttersprache ihrer Mutter. Die Kreolsprache der Karibikinsel Curaçao hat weniger als 300’000 Sprecher:innen. “Ich mag wie Papiamentu die Leute verwirrt, weil sie es erst für Spanisch halten.”

Die Wahl der Sprache

Die Wahl der Sprache, in der Hiphop seinen Ausdruck findet, benennt StarrLight als etwas sehr Persönliches: “Ich rappe Englisch, weil ich schon immer auf Englisch denke. Wenn du auf Spanisch denkst, solltest du auf Spanisch rappen. Du solltest die Sprache wählen, die sich nah am Herz anfühlt.”

Die vielsprachige Vielfalt von Hiphop aus der Schweiz zeigt wohl, wie viele Sprachen die Menschen in diesem kleinen Land nah am Herzen tragen, ob als Musiker:innen oder als Hörer:innen.

Das Publikum des Spex-Festivals in Bern jubelte am Freitag dem Mundartrap von EAZ zu und am Samstag dem französischen Rap von KT Gorique.

Editiert von Marc Leutenegger.

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