Auslandschweizer-Rat: Unterwegs in die Demokratie
Zum 100. Mal treffen sich Auslandschweizer:innen im Juli zu ihrem Kongress in der Schweiz. In "Let's Talk" blicken wir zurück und nach vorne, mit zwei Mitgliedern des Auslandschweizer-Rats und dem Politologen Sean Müller.
Die Auslandschweizer-Organisation feiert am 12. Juli ihren Jubiläumskongress in Luzern. Ihr wichtigstes Gremium ist der Auslandschweizer-Rat, auch bekannt als das Parlament der Auslandschweizer:innen. Doch demokratisch gewählt ist dieser Rat nicht.
Denn noch heute setzt er sich vorwiegend aus Delegierten zusammen, aus Abgesandten der rund 660 Schweizer Clubs, die bei der grossen Auswanderungswelle nach 1880 auf allen Kontinenten entstanden.
Die Frage stellt sich deshalb: Wie können die 800’000 Auslandschweizer:innen in der Schweiz am besten und auch zeitgemäss vertreten werden? Und ist die Zeit der Schweizer Vereine, die ihre Abgeordneten zweimal im Jahr in die Heimat schicken, vorbei?
Wunsch nach einer Reform
Wir diskutierten diese Fragen mit Carmen Trochsler und David Mörker, beide sind Vorstandsmitglieder der Auslandschweizer-Organisation. Trochsler lebt in Australien und begleitet die Arbeitsgruppe, welche die Wahlen in den Auslandschweizer-Rat reformieren will. Mörker lebt in den USA und ist Präsident des Schweizer Clubs von MinneapolisExterner Link. Als Experte für Demokratie am «Let’s Talk»-Tisch sass Sean Müller von der Universität Lausanne.
Der Wunsch nach einer Reform ergibt sich aus der Tatsache, dass nur eine Minderheit der Auslandschweizer:innen in Clubs und Vereinen aktiv ist. Damit möglichst viele vertreten sind, möchte die Arbeitsgruppe innerhalb der Auslandschweizer-Organisation vom bestehenden, indirekten Wahlmodus zu Direktwahlen übergehen.
Carmen Trochsler sagt in «Let’s Talk» dazu: «Das Ziel ist simpel: Wir wollen, dass sich alle Auslandschweizer, die registriert sind, an der Wahl beteiligen können.»
Frischer Wind im Auslandschweizer-Rat
An ihren ersten Eindruck vom Auslandschweizerrat, dem sie 2017 beitrat, erinnert sich Carmen Trochsler so: » Der Fokus war sehr stark auf den Auslandschweizer-Vereinen, da sah ich Veränderungs- und Wachstumspotenzial.» Das habe sich inzwischen stark verändert, sagt Trochsler in «Let’s Talk». Mit neuen Mitgliedern sei ein frischer Wind in den Rat gekommen.
Auch für David Mörker stellt sich die Frage: «Wie können wir – ohne an veralteten Strukturen festzuhalten – unsere Werte an die nächste Generation weitergeben?» Seine Rolle im Auslandschweizer-Rat beschreibt er so: «Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Leute kennen, dass wir diese Gemeinschaft bilden, dass man ihre Anliegen aufnimmt, erkennt und dann vertritt.»
Demokratie-Defizit
Politologe Sean Müller von der Uni Lausanne sieht die Tätigkeit des Auslandschweizer-Rats vorwiegend im Bereich des Lobbyings. In dieser Hinsicht sei dieser vergleichbar mit anderen Akteuren in der Schweizer Politik.
«Was ihn unterscheidet, ist diese Idee von einem Parlament», sagt er. Zum Wahlmodus des Auslandschweizer-Rats fügt er an: «Natürlich kann man sagen, das sei überhaupt nicht demokratisch.» Doch Demokratie-Defizite gebe es auch andernorts.
Hart erkämpft hat der Rat die politischen Rechte der Schweizer:innen im Ausland. Sean Müller hat untersucht, welchen Mustern die Auslandschweizer:innen bei Wahlen und Abstimmungen folgen. Es gebe leichte Abweichungen zum Stimm- und Wahlvolk im Inland.
Abstimmen aus persönlicher Betroffenheit
Manchmal sorge dies für Diskussionen: «Immer wenn es knapp ist, kann man sich die Zahlen von den Auslandschweizern raussuchen und eine einfache Milchbüechli-Rechnung machen: Wenn die Auslandschweizer nicht abgestimmt hätten, wäre es anders rausgekommen», erklärt Müller.
Das geschehe gerade dann häufig, wenn es um eine Vorlage gehe, die für die inländische Bevölkerung mit Mehrkosten verbunden sei.
Carmen Trochsler ergänzt jedoch: «Wir Schweizer im Ausland stimmen nicht einfach ab, weil wir abstimmen dürfen.» Viele hätten ein ausgewiesenes Interesse, da sie vielleicht durch eine spätere Rückkehr von den Resultaten betroffen sind.
«Das wird in diesen Diskussionen selten anerkannt.» Und David Mörker fügt an: «Wir sind immer sehr erleichtert, wenn wir dem Volkswillen entsprechen.» Das Zünglein an der Waage zu spielen, sei für Auslandschweizer:innen eine unkomfortable Situation.
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