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«Dieser mutige Papst verlieh der Kirche neuen Schwung»

Papst Franziskus
Papst Franziskus hinterlässt das Bild eines offenen und einfachen Menschen. Keystone / EPA / Ettore Ferrari

Papst Franziskus ist am Ostermontag im Alter von 88 Jahren gestorben. Für Didier Grandjean, Seminarist und ehemaliger Schweizergardist, steht schon jetzt fest, dass das Pontifikat von Franziskus ein Meilenstein in der Entwicklung der katholischen Kirche war, auch wenn man erst mit der Zeit Bilanz ziehen könne.

SWI swissinfo.ch: Sie kannten Papst Franziskus gut. In welchem Rahmen standen Sie mit ihm in Kontakt?

Didier Grandjean: Ich kannte Papst Franziskus ziemlich gut, weil ich ihn fast jeden Tag sah, als ich im Vatikan als päpstlicher Schweizergardist diente.

Später, als ich ins Priesterseminar eintrat, begleitete er mich auf verschiedene Weise weiter, und auch nach meinem Ausscheiden aus der Garde traf ich ihn immer wieder.

Papst Franziskus begrüsst einen Mann, dahinter steht ein Schweizergardist
Seit seinem Eintritt in das Priesterseminar hatte Didier Grandjean mehrmals die Gelegenheit, mit dem Papst zu sprechen. zVg

Wie wurde Papst Franziskus in der Schweizergarde wahrgenommen? War die Wahrnehmung anders als bei seinem Vorgänger Benedikt XVI, unter dessen Pontifikat Sie ebenfalls gedient haben?

Ja, es war insofern anders, als Franziskus viel stärker wahrgenommen wurde. Das lag vor allem daran, dass er nicht mehr im Apostolischen Palast wohnte, sondern im «Haus der heiligen Martha», dem Gästehaus der Vatikanstadt in der Nähe des Petersdoms.

Franziskus kam kurz mal zu den Wachen, um ein paar Worte zu wechseln, und er war auch ein Mann, der viel scherzte. Man hatte also ein recht enges Verhältnis zu ihm.

Franziskus betrachtete die Gardisten, die vor seinen Gemächern Wache standen, übrigens als «Mitglieder seiner Familie». So hat er es jedenfalls ausgedrückt.

Didier Grandjean stammt aus Greyerz im Kanton Freiburg. Er trat 2011 in die Päpstliche Schweizergarde ein und verliess sie 2019. Er diente zunächst unter Benedikt XVI. und ab 2013 unter Franziskus.

Er wurde zum Vize-Korporal befördert und war stellvertretender Sprecher der Garde. Grandjean ist mit den Medien vertraut, in denen er sich im In- und Ausland mehrfach geäussert hat.

Im Januar 2023 war er Lektor bei der Beerdigungsmesse für den emeritierten Papst Benedikt XVI.

Derzeit studiert Grandjean am Priesterseminar der Diözese Lausanne, Genf und Freiburg, um Priester zu werden.

In diesem Artikel der Vatican News Externer Linkhat er sich zu seiner Berufung geäussert.

Hatte er über die Garde hinaus eine besondere Beziehung zur Schweiz oder war sie für ihn ein Land wie jedes andere?

Ich denke, er hatte eine besondere Beziehung zur Schweiz, weil es die Schweizergarde gibt. Jedes Jahr, wenn die neuen Gardisten vereidigt werden, trifft ein Mitglied des Bundesrats den Papst. Oft ist das die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident.

Die Schweiz ist somit das einzige Land, das auf diese Weise jedes Jahr ein Treffen auf höchster Ebene garantiert hat. Zudem kennt Papst Franziskus die Situation in den verschiedenen Schweizer Diözesen sehr gut.

Papst Franziskus wird vom Schweizer Bundespräsidenten Alain Berset begrüsst, nachdem er aus einem Flugzeug mit Anschrift "Alitalia" ausgestiegen ist.
Papst Franziskus besuchte auch einmal die Schweiz. Bei seiner Landung in Genf am 21. Juni 2018 begrüsste ihn Bundespräsident Alain Berset. Keystone / Peter Klaunzer

Bei seiner Wahl wurde er sofort als ein anderer Papst wahrgenommen. Er wurde als «Freund der Armen», «Friedensstifter» und «Progressiver» bezeichnet. Hat der Verlauf seines Pontifikats diese anfängliche Wahrnehmung bestätigt?

Bei der Wahl eines Papstes malt man sich immer Bilder aus, im Guten wie im Schlechten. Im Fall von Franziskus stimmten einige Aspekte, vor allem seine Aufmerksamkeit für die Armen und seine sehr einfache Art.

Aber man hat ihn am Anfang vielleicht als eine Art «Verwöhn-Opa» gesehen und erst später gemerkt, dass das nicht ganz so war. Er war ein sehr temperamentvoller Mensch, der sich in seinen Stellungnahmen gut durchsetzen konnte.

Und man sieht an den sozialen Themen, dass er im Grund genommen sehr traditionell war. Beides existierte nebeneinander. Franziskus war viel komplexer, als man ihn darstellen wollte, und der Blick auf das Pontifikat hat sich etwas verändert.

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Wenn wir über gesellschaftliche Themen sprechen, taucht immer wieder die Frage nach der Stellung der Frau in der Kirche auf. Hat Franziskus in dieser Sache etwas bewegt?

Ja, denn es gab noch nie so viele Frauen in Schlüsselpositionen im Vatikan. Vor kurzem hat er zum Beispiel eine Frau zur Leiterin des Päpstlichen Büros ernannt. Er hat den Frauen mehr Bedeutung und Raum gegeben.

Er hat auch bekräftigt, dass eine theologische Reflexion über ihren Platz in der Kirche stattfinden muss. Bei der letzten Synode konnte man übrigens sehen, dass die Frauen gut vertreten waren.

Es ist also eine Dynamik in Gang gekommen, aber es ist klar, dass es ein langer Prozess ist und dass die Priesterweihe von Frauen nicht auf der Traktandenliste steht.

Ein weiteres Thema, das immer wieder auf den Tisch kommt, ist der sexuelle Missbrauch in der Kirche. Gibt es auch in diesem heiklen Bereich Entwicklungen?

Auch hier hat es Fortschritte gegeben, vor allem im Bereich des Kirchenrechts und seiner Anwendung. Schon Benedikt XVI. hatte die Weichen für diese Entwicklung hin zu mehr Strenge weitgehend gestellt.

Papst Franziskus hat mehrfach bekräftigt, dass diese Taten nicht tolerierbar sind. Kommissionen und Gremien wurden eingerichtet, die dafür sorgen sollen, dass es keine vertuschten Fälle mehr gibt.

Dies zeigte sich besonders im Fall von Abbé Pierre. Der Papst hat sofort über den Fall gesprochen, ohne etwas zu verschweigen.

Franziskus hatte sich auch auf die Förderung des Friedens konzentriert. Welche Bilanz ziehen Sie in einer zunehmend instabilen Welt?

Diplomatie muss von Natur aus ein wenig im Verborgenen stattfinden. Was ich aus meiner Zeit im Vatikan weiss, ist, dass der Vatikan zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Kolumbien oder dem Abkommen zwischen den USA und Kuba im Jahr 2016 an den Verhandlungen beteiligt war.

Papst Franziskus hat diese Dossiers sehr aufmerksam verfolgt und sich stark engagiert. Sein Beitrag war entscheidend, um Lösungen zu finden.

Die vatikanische Diplomatie unter Papst Franziskus war sehr aktiv, namentlich mit der Unterstützung von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, einem Karrierediplomaten.

Was ist das Wichtigste, wenn man eine Bilanz zieht?

Es wird einige Zeit dauern, bis man die Auswirkungen dieses Pontifikats wirklich erfassen kann. Auf jeden Fall glaube ich, dass Papst Franziskus offener als seine Vorgänger auf die Gesellschaften des Westens zugegangen ist, die sich immer weiter von der Kirche entfernen.

Er war auch sehr aufmerksam für das, was in anderen Teilen der Welt geschieht, etwa in Asien und Afrika. Ich glaube, dass Papst Franziskus uns geholfen hat, weiter und globaler zu denken.

Besonders die Europäerinnen und Europäer rief er auf, aufzuwachen und zu verstehen, dass man, auch wenn die Situation hier manchmal hoffnungslos erscheint, den Blick weiten und die Dynamik der Kirche in anderen Teilen der Welt sehen muss.

Er ernannte Kardinäle in vielen Ländern, die vorher keine Kardinäle hatten. Unter seinem Pontifikat hat eine Erweiterung der Kirche stattgefunden, die schon unter seinen Vorgängern im Gang war, aber durch ihn eine grössere Vitalität erhalten hat.

Er packte auch schwierige Baustellen wie den Missbrauch in der Kirche oder die Finanzen des Vatikans an. Er war ein mutiger Papst, der vor nichts zurückschreckte und der Kirche neuen Schwung gab, auch wenn es lange dauern wird, bis dies anerkannt wird.

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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