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Der Streit ums Wasser und die Rolle der Schweiz

Wasserkraftwerk Rheinfelden
Das neue Wasserkraftwerk in Rheinfelden ist das Resultat einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Schweiz. Jan Ryser/Keystone
Serie Wasser, Folge 6:

Wasser kann zwischen Staaten zu Streit führen, aber auch zu Kooperation. Die Schweiz schreibt sich die Wasserdiplomatie auf die Fahne – es ist ein Friedensengagement der kleinen Schritte.

Wird es in Zukunft Kriege um Wasser geben? Dystopien beschwören dies als ein mögliches Szenario. Denn Wasser ist eine begrenzte Ressource, die durch Bevölkerungswachstum, Umweltverschmutzung und Klimawandel auf der ganzen Welt zunehmend unter Druck gerät.

Wasser kennt keine Grenzen: weltweit gibt es neben den internationalen Seen über 280 grenzüberschreitende Flüsse, auch unterirdische Wasserreserven halten sich nicht an Grenzverläufe. Grenzüberschreitendes Wassermanagement ist deshalb oft ein zentrales Anliegen zwischenstaatlicher Kooperation – und eines der historisch ältesten.

Die Schweiz hat als Wasserschloss Europas lange Erfahrungen damit. Sechs Prozent der Trinkwasserressourcen Europas befinden sich in der Schweiz, die Rhone, der Rhein und der Inn entspringen hier und fliessen durch mehrere Länder.

Das Land hat bereits früh mit seinen Nachbarn über die gemeinsame Gewässernutzung verhandelt, so etwa mit Deutschland um 1890, um das alte Wasserkraftwerk Rheinfelden zwecks Stromproduktion zu bauen.

Langjährige Prozesse ohne Erfolgsgarantie

Und auch in einem anderen internationalen Kontext hat die Schweiz Erfahrungen mit Wasser: bei der internationalen Zusammenarbeit. Die Themenblöcke Landwirtschaft und Wasser sind traditionelle Themen der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA.

“Als wir vor 60 Jahren damit begannen, gab es noch halb so viele Menschen auf der Welt”, sagt Simon Zbinden, der bei der Deza für das Thema Wasser zuständig ist. Ging es früher hauptsächlich um den Bau von sanitären Anlagen, Latrinen und Ähnlichem, habe sich der Fokus seither verändert. “Heute geht es vor allem darum, Wasser nachhaltig zu schützen.”

Die Wasserdiplomatie ist ein integrierter Ansatz, der mit diplomatischen Mitteln und internationaler Zusammenarbeit Friedenssicherung betreiben will. “Das Ziel ist klar: Abkommen abzuschliessen, die eine friedliche Nutzung der Ressourcen zum Nutzen aller vorsehen”, so Zbinden. Auch wenn es die Dystopien anders sähen – Wasser könne zwar ein Verstärker von zwischenstaatlichen Problemen sein, sei aber selten der Auslöser, sagt Zbinden.

Das bedeutet aber auch, dass ein Wille zur Zusammenarbeit vorhanden sein muss, damit Diplomatie überhaupt zum Zug kommt. Wie das aussehen kann, verdeutlicht das Beispiel Zentralasiens. Nach dem Ende der Sowjetunion entstanden fünf neue Staaten, die das Wassermanagement regeln mussten.

Zwar gibt es aus sowjetischer Zeit Vereinbarungen, wie die Ressource aufgeteilt werden sollte – aber auch zahlreiche Altlasten. Das Beispiel des fast gänzlich ausgetrockneten Aralsees steht exemplarisch für den problematischen Umgang mit Wasserreserven, denen zudem auch der Klimawandel zusetzt.

Luftaufnahmen des Aralsees in Zeitraffer, 1984 bis 2022:

Die Schweiz wurde 2014 von den Staaten angefragt, den Dialog bezüglich der grenzüberschreitenden Kooperation zu unterstützen. Dies, weil sie einerseits schon länger in manchen der beteiligten Länder mit Entwicklungshilfe vertreten war, andererseits weil sie in Wasserfragen auch Erfahrung in multilateralen Gremien hatte, so etwa in Westafrika und im Nahen Osten, wo sie ähnliche Plattformen mitaufgebaut hat.

Anders als in der klassischen Entwicklungshilfe (zum Beispiel beim Bau von Latrinen), die sichtbar ist und deren Ergebnisse gemessen werden können, handelt es sich bei der Wasserdiplomatie um langjährige Prozesse, die keine schnellen, öffentlichkeitswirksamen Ergebnisse produzieren.

Und: “Man muss realistisch sein. Das Management natürlicher Ressourcen ist eine souveräne Angelegenheit, die nicht funktioniert, solange die Beteiligten nicht den Willen zur Kooperation haben”, so Zbinden. Das war in Zentralasien der Fall: Islam Karimow, der langjährige autoritäre Herrscher Usbekistans, sperrte sich gegen eine engere Zusammenarbeit. Erst seit dessen Tod 2016 und der partiellen Öffnung des Landes ist wirklich Schwung in die Angelegenheit gekommen.

Karte von Zentralasien mit Seen und Flüssen
Kai Reusser / swissinfo.ch

Zwischen Altruismus und Eigennutz

Bei alldem stellt sich die Frage, was sich die Schweiz davon erhofft. Entwicklungszusammenarbeit hat immer eine altruistische Motivation, es gibt aber auch eine Erwartungshaltung. Um beim Beispiel von Zentralasien zu bleiben: Die Schweiz wollte zu Beginn der 1990er-Jahre den Bretton-Woods-Institutionen beitreten – und gründete 1992 die sogenannte Helvetistan-Gruppe, denen zentralasiatischen Staaten beitraten. Bis heute verhelfen sie der Schweiz so zu mehr Gewicht etwa bei der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds.

Eine direkte Verknüpfung gebe es aber letztlich nicht, so Zbinden. “Wasserdiplomatie ist Teil eines Gesamtpakets, das zu guten Beziehungen führen soll”, fasst er zusammen. Für kleine Staaten wie die Schweiz sind Diskussion und Diplomatie ein zentrales Element und essenziell für die Gestaltung ihrer internationalen Beziehungen.

Die Taliban und der Kanal

Was passiert, wenn man nicht zusammen spricht, zeigt sich exemplarisch an einem anderen Beispiel aus der Region. Die Taliban-Regierung hat mit dem Bau des Qosh Tepa Kanals begonnen, der auf einer Länge von 280 Kilometern Wasser vom Fluss Amudarja in den kargen Norden Afghanistans abzweigen soll.

Das Projekt hat sie in Eigenregie begonnen, ohne Absprachen mit den Nachbarländern und ohne ausländische Finanzierung. Das hat zu Verärgerung in den Ländern am Unterlauf geführt – und zu Befürchtungen, dass die Taliban ein so komplexes und heikles Unternehmen nicht richtig umsetzen könnten.

Ein Kanal mit Wasser und eine Baustelle daneben
Die Taliban haben rund ein Drittel des Qosh Tepa Kanals bereits ausgehoben. Das Projekt sorgt für grosse Nervosität in der Region. Ajmal Shahab (YouTube)

Aufgrund der geografischen Lage müsste Afghanistan bei Diskussionen über Wasser in Zentralasien eigentlich auch vertreten sein. Da jedoch die Taliban-Regierung international nicht anerkannt ist, sitzt sie in keinem Gremium, auch nicht in jenem, dem die Schweiz beisitzt. Bisher foutiert sie sich regelmässig um Proteste aus dem Ausland, obwohl sie die internationale Anerkennung sucht, um das bitterarme Land aus der Isolation zu führen.

Aber ganz eigenmächtig handeln kann sie letztlich nicht: Afghanistan bezieht einen Teil seiner Elektrizität aus Usbekistan, hat also kein Interesse an einer nachhaltigen Störung der Beziehungen. Und so reiste im Frühjahr eine usbekische Delegation nach Kabul, um den Kanal zu thematisieren – um die Regelung von Wasserfragen mit seinen Nachbarn kommt kein Staat herum.

Editiert von Marc Leutenegger.

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