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Der Wasserknappheit trotzen: Schweizer Weindorf testet innovative Lösungen

Ein Mann kniet neben einem Rebstock
Harald Glenz, Bewässerungsmanager in Salgesch, ist überzeugt, dass mit weniger Wasser die gleichen Erträge erzielt werden können. swissinfo.ch
Serie Wasser, Folge 5:

Wegen dem Abschmelzen eines Gletschers fehlt Salgesch im Kanton Wallis im Sommer eine wichtige Wasserquelle. Das Dorf setzt nun auf eine Technologie, die den Wasserverbrauch seiner Weinberge um fast die Hälfte reduziert. Ein Projekt mit Vorbildcharakter für andere dürreanfällige Regionen weltweit.

Geht man die Hauptstrasse vom Bahnhof zum Kirchplatz hinunter, wird der Hauptwirtschaftszweig von Salgesch offensichtlich: Beiderseits der Strasse laden Schilder mit Weintrauben zu einer Degustation in einem der 27 Weinkeller der Region ein.

Doch die Weinberge, die den Reichtum des Dorfs am Fuss der Walliser Alpen im Südwesten der Schweiz ausmachen, und der damit verbundene Tourismus sind bedroht. Im Sommer wird das Wasser aus den Bergen immer knapper.

Salgesch muss oft auf die Wasserreserven der Nachbargemeinden zurückgreifen, um seine über 200 Hektar Weinberge zu bewässern. Auf den Regen kann man sich nicht verlassen. Mit rund 600 mm Niederschlag pro Jahr gehört die Region zu den trockensten der Schweiz.

Wasser wird in vielen Teilen der Welt knapp. Selbst die Schweiz, die über einen Grossteil der europäischen Wasservorräte verfügt, muss ihre Bewirtschaftung überdenken und sich auf zunehmende Dürreperioden einstellen.

Diese Serie untersucht mögliche Konflikte im Zusammenhang mit dem Wasserverbrauch und zeigt Lösungen auf für einen besseren Umgang mit der kostbaren Ressource.

Die Situation ist unhaltbar. «Wir hatten schon früher Trockenperioden, aber in der Regel hatten wir genug Wasser. Wir mussten uns keine Gedanken machen, wie wir es verteilen», sagt Harald Glenz, der Bewässerungsmanager von Salgesch. «Jetzt haben wir viel weniger und müssen uns effizienter organisieren.»

Die Gemeindeverwaltung hat ein Projekt gestartet, das sie als «revolutionär» bezeichnet: das Sammeln und Speichern von Schneeschmelzwasser und die Erprobung eines neuen Bewässerungssystems, das den Wasserverbrauch um mehr als 40% senken könnte.

Luftaufnahme einer Landschaft mit Weinbergen
Das Dorf Salgesch (französisch Salquenen) ist eine der bedeutendsten Weinbaugemeinden des Kantons Wallis und der Schweiz. Panther Media Gmbh / Alamy Stock Photo

Der Fluss trocknet früher aus

Glenz führt mich auf die Höhen von Salgesch, um die Ursache des Problems zu verstehen. Nach einigen Kilometern auf einer schmalen, kurvenreichen Strasse erreichen wir eine Brücke über einen Bach. Die Raspille markiert auf dieser Seite des Tals die Grenze zwischen dem deutschsprachigen Oberwallis und dem französischsprachigen Unterwallis.

Hier, auf rund 1000 m ü. M., befindet sich die Wasserfassung für die Bewässerung der Weinberge und anderer Kulturen in Salgesch. Glenz kann die Ventile über eine App auf seinem Handy öffnen und schliessen. Mit einer einzigen Berührung kann er bis zu 12’000 Liter Wasser pro Minute ablassen.

Gespiesen wird die Raspille von der Schneeschmelze. Bis vor rund 15 Jahren fand auch das Schmelzwasser des Gletschers der fast 2000 Meter höher gelegenen Plaine Morte seinen Weg in den Bach. Dies garantierte einen gewissen Abfluss und Wasser für die Landwirtschaft während eines Grossteils des Sommers.

Mit dem Rückzug des Gletschers fliesst das Wasser jedoch hauptsächlich in den Nachbarkanton Bern ab und lässt die Walliser Seite fast trocken zurück. Hinzu kommt, dass wegen des Klimawandels in den Bergen immer weniger Schnee fällt. Die Folge: Die Raspille trocknet schneller aus, als sie sollte.

In dieser Animation können Sie den Rückzug des Plaine-Morte-Gletschers verfolgen:

An diesem Tag im Juni führt die Raspille dank der Schneeschmelze im Frühjahr noch reichlich Wasser. Doch falls es nicht genug regnet, könnte der Bach bis Ende Juli austrocknen, prognostiziert Glenz.

Bach mit viel Wasser
Die Raspille am 6. Juni 2023 an der Wasserentnahmestelle für die Bewässerung in Salgesch. Luigi Jorio

Der Bau eines künstlichen Sees in der Ebene, um das ungenutzte Wasser der Raspille aufzufangen, kommt nicht in Frage. Der Flächenbedarf wäre zu gross, sagt Glenz: Ein Stausee von der Grösse eines Fussballfelds mit einer Tiefe von fünf Metern würde lediglich genügen, um den Wasserbedarf der Salgescher Rebberge für einen Tag zu decken.

Stattdessen soll das Wasser in der Höhe gespeichert werden, im Stausee von Tseuzier. Der Stausee liegt auf 1780 Metern Höhe und ist seit 1957 in Betrieb.

Speicherung von Schmelzwasser in grosser Höhe

Das Projekt «Lienne-Raspille» sieht den Bau eines unterirdischen Leitungsnetzes vor, um das Schmelzwasser im Frühjahr zu sammeln und im Tseuzier-See zu speichern. Im Sommer wird das Wasser dann zu den Flächen transportiert, die bewässert werden sollen.

Ein multifunktionaler Stausee zur Energiegewinnung und Bewässerung wäre ein Novum in der Schweiz, freut sich Gilles Florey, Gemeindepräsident von Salgesch.

Im Gegensatz zu den meisten Stauseen der Welt sind jene in der Schweiz fast ausschliesslich für die Stromerzeugung mit Wasserkraft ausgelegt. Gemäss dem «World Register of Dams»Externer Link werden 87% der Schweizer Stauseen ausschliesslich für die Stromerzeugung genutzt, nur 2,4% dienen mehreren Zwecken.

In der Schweiz ist die Idee der Mehrfachnutzung von Stauseen «weit davon entfernt, als Paradebeispiel der Wasser- und Energiewirtschaft anerkannt zu werden», so eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universität LausanneExterner Link.

>> Im folgenden Video erfahren Sie mehr über dieses in der Schweiz einzigartige Projekt:

Die Kosten für das Projekt werden auf rund 60 Mio. Franken geschätzt. Obwohl es seit rund zehn Jahren im Gespräch ist, scheitert es derzeit am Widerstand des WWF. Die Umweltorganisation verlangt Garantien für einen sparsamen Umgang mit Wasser.

«Die Idee der Wasserspeicherung ist schlüssig und intelligent. Wir haben nichts dagegen», sagte Marie-Thérèse Sangra, Regionalsekretärin der WWF-Sektion Wallis, gegenüber der Zeitung «Le Nouvelliste». «Aber wir haben Zweifel an der Nutzung.»

Doch der Gemeindepräsident von Salgesch macht sich keine Sorgen. «Bis Ende Sommer sollten wir uns mit dem WWF geeinigt haben», sagt Florey. Die Optimierung des Wasserverbrauchs und die Vermeidung von Abfällen gehören zu seinen Prioritäten.

Automatisierte Tröpfchenbewässerung im Weinberg

Am Rand von Salgesch wurden zwei mit der gleichen Rebsorte bepflanzte Parzellen mit einem neuen Tropfbewässerungssystem ausgestattet. Mit dieser Methode kann das Wasser langsam und kontrolliert an die Pflanzen abgegeben werden, was die Verdunstungsverluste minimiert.

Im Vergleich zur Sprinklerbewässerung oder Berieselung reduziert ein konventionelles Tropfbewässerungssystem den Wasserverbrauch um etwa 20%. Dieses System wird in etwa einem Drittel der Weinberge in Salgesch eingesetzt. Mit einem vollautomatischen System, wie es hier getestet wurde, sind die Einsparungen noch höher.

«Nicht nur Kalifornien oder trockene Länder wie Australien, Chile oder Südafrika brauchen solche Technologien.»

Eric Valette, «Aqua4D»

Sensoren messen in Echtzeit die Bodenfeuchte und den Wasserstress der Reben, und das System optimiert kontinuierlich die Bewässerung. Überflüge mit einer Drohne messen die Vegetationsbedeckung und das Blattvolumen, um die Entwicklung des Weinbergs zu untersuchen.

Der Nachteil ist, dass die Mikrobewässerung Filter benötigt, um Sedimente oder Verunreinigungen im Wasser zu entfernen, welche die Tropfdüsen verstopfen könnten.

Ausserdem ist die Investition nicht unerheblich für diejenigen, die sich für die Umstellung auf Tropfbewässerung entscheiden. Glenz, selber Weinbauer, hat für seine etwa 2000 Quadratmeter Land rund 4000 Franken ausgegeben.

Weniger Verbrauch dank Technik

Auf einer der beiden Versuchsflächen kommt neben der automatischen Tropfbewässerung eine noch innovativere Technik zum Einsatz. Bevor das Wasser auf den Boden fällt, wird es in einem speziellen Metallzylinder niederfrequenten elektromagnetischen Wellen ausgesetzt.

Das von der Walliser Firma «Aqua4D»Externer Link entwickelte Gerät kann bestimmte physikalische Eigenschaften des Wassers verändern. Diese Behandlung verbessert das Eindringen des Wassers in den Boden und die Aufnahme durch die Pflanzen.

Diese Lösung wird bereits in mehreren Ländern eingesetzt, zum Beispiel in einigen Mandelplantagen in KalifornienExterner Link, die wie die Weinberge von Salgesch von der Schneeschmelze abhängig sind – aus der Sierra Nevada.

«Nicht nur Kalifornien oder trockene Länder wie Australien, Chile oder Südafrika brauchen solche Technologien», sagt Eric Valette, Mitbegründer von «Aqua4D». Die historische Dürre von 2022 habe auch dazu geführt, dass Länder, die traditionell nie mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten, sich des Problems bewusst werden.

«Das Projekt in Salgesch ist sehr wichtig, weil es als Referenz für andere Regionen der Welt dienen kann, die in Zukunft mit Wasserversorgungsproblemen konfrontiert sein könnten», sagt Valette.

Ein Metallzylinder, der in einem Weinberg steht
Das Gerät von «Aqua4D» verändert die Struktur des Wassers. swissinfo.ch

Die Ernte ist gut, der Wein auch?

Der Versuch in Salgesch startete im Sommer 2022, unter anderem dank der Unterstützung des Bundes und einer Geldprämie des Stromversorgers AlpiqExterner Link. Er ist Teil eines grösseren Projekts zur Erneuerung des gesamten Bewässerungssystems des Dorfs. Dieses stammt noch aus den 1980er-Jahren.

«Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend», sagt Bewässerungsmanager Glenz. In der Parzelle mit «Aqua4D»-Technologie, die 20% weniger Wasser erhielt, wurde ein qualitativ und quantitativ ähnlicher Ertrag erzielt wie in der Referenzparzelle. «Das bedeutet, dass wir auch mit weniger Wasser gute Ernten erzielen können», so Glenz.

Allerdings ist es noch zu früh, um endgültige Schlüsse zu ziehen und zu wissen, ob der Wein genauso gut wird. Das Projekt geht nun in ein zweites Jahr, um herauszufinden, welche Ergebnisse auf die eingesetzten Geräte und welche auf die Witterungsbedingungen zurückzuführen sind.

Wenn das Projekt weiterhin erfolgreich verläuft, könnten alle Weinberge der Gemeinde und des Kantons mit der automatischen Tropfbewässerung und der «Aqua4D»-Technologie ausgestattet werden.

Das würde eine Wassereinsparung von mehr als 40% bedeuten, sagt Gemeindepräsident Florey. «Ich kenne nicht viele andere Lösungen, die den Wasserverbrauch so stark reduzieren», sagt er.

Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

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