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13. AHV-Rente: “Dieses Ja ist ein Protest” 

Vertreter:innen von SP und Gewerkschaften feiern das Ja zu einer 13. Altersrente.
Vertreter:innen von SP und Gewerkschaften feiern das Ja zu einer 13. Altersrente. KEYSTONE/ PETER SCHNEIDER

Die Schweiz erhöht die Altersrenten und belässt das Rentenalter bei 65. "Es ist sehr ungewöhnlich, dass keine Kostendiskussion entstand", sagt Meinungsforscher Urs Bieri von gfs.bern im Interview.

SWI swissinfo.ch: Die Zustimmung zur 13. AHV-Rente ist sensationell hoch. Was ist los im Schweizer Volk?

Urs Bieri: Es hat zum ersten Mal eine linke Initiative im Bereich Sozialpolitik angenommen und zwar deutlich. Dies ist gelungen, weil es nicht allein ein linker Entscheid war. Die Initiative griff auch weit ins bürgerliche und vor allem ins rechtskonservative Lager hinein. Dort ging es weniger um Solidarität und die Kompensation von Altersarmut, sondern stark um eine Vorstellung von: “Jetzt komme ich!”

Woher kommt das?

Es war ein Protest gegenüber vergangener Eskapaden der Wirtschaft – der Fall der Credit Suisse, Managerlöhne, damals die Rettung der UBS, vor kurzem ein Rettungsschirm für die Axpo. Es herrscht offenbar die Vorstellung, dass die Schweiz für Krisen wie Covid und für die grossen Unternehmen sehr grosse Summen Geld aufbringt, während der kleine Mann und die kleine Frau davon nicht profitieren.

Da entstand in der Bevölkerung ein Eindruck, dass die Wirtschaft gerne Gewinne zu sich nimmt und Verluste vergesellschaftet. Das wollte man jetzt ändern, zumal die Schweiz erst kürzlich das Rentenalter für Frauen erhöhte.

Ursi Bieri von Gfs Bern mit Laptop
“Dem Parlament stehen heftige Diskussionen bevor”: Politforscher Urs Bieri. zvg

Gibt es international betrachtet einen Trend, dem die Schweiz mit diesem Rentenausbau folgt oder ist das eher eine singuläre Strategie der Schweiz?

Im Gegenteil. Im europäischen Umfeld sehen wir tatsächlich eher das, was wir bei der Renteninitiative klar verworfen haben: das Rentenalter anzuheben. 

Wurden in der Gegenkampagne Fehler gemacht?

Es stellt sich aus ihrer Sicht tatsächlich die Frage, wo die idealen Interventionspunkte gewesen wären. Das  Parlament hätte die Möglichkeit gehabt, einen Gegenvorschlag zu dieser Initiative zu verabschieden. Doch man wollte diese Initiative an der Urne bodigen. Am Ende bleibt eine sehr erfolgreiche, gut geführte, stark sichtbare Kampagne von linker Seite. Und auf der andern Seite eine Kampagne, die wenig stark wahrgenommen wurde und keine Diskussion über die Schwachstellen in Gang setzen konnte.

Eine 13. Rente hat viele überzeugt. War es die perfekte Idee oder das perfekte Timing?

Beides, und noch etwas Drittes: die sehr gute Kampagne von linksgewerkschaftlicher Seite. Interessant ist, dass wir nur über die Probleme, also über Kaufkraftverluste, und über die Nöte des kleinen Manns und der kleinen Frau diskutierten, nicht aber über die Kosten dieser Vorlage. Dies ist für Initiativen sehr ungewöhnlich, denn normalerweise werden Initiativen in frühen Phasen vor allem als Problemlöser beurteilt, im weiteren Verlauf dann die Schwachstellen diskutiert. Das ist hier nicht geschehen.

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Die Finanzierung liessen die Initianten bewusst offen. Jetzt muss sie erarbeitet werden. Was kommt aufs Parlament zu?

Heftige Diskussionen. Man weiss aus der Vergangenheit, dass die angedachten Finanzierungen alle nicht auf grossen Konsens stossen, weder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer noch Abgaben für Arbeitnehmende oder Arbeitgebende.

Dennoch kann das Parlament diesen deutlichen Entscheid nicht komplett ignorieren. Die Linke wird diesen Sieg verteidigen.

Wie wichtig waren die Boomer, die jetzt ins Rentenalter kommen?

Wir sehen einen Effekt. Wer stärker profitieren wird, ist stärker für die Vorlage eingetreten. Es gibt zwar Nuancen, aber es zeigt sich ein Altersgraben.

Gibt es auch den Röstigraben oder einen Stadt-Land-Graben?

Ja, beides. In der Zustimmungshöhe gibt es einen Graben zwischen Westschweiz und  Deutschschweiz. In der Deutschschweiz selbst bestehen Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Kantonen, die eher für die Vorlage eintraten.

Mit dem Fokus auf die Auslandrenten schuf die Gegnerschaft auch einen Graben zwischen Inland und Auslandschweizer:innen. Ihr Urteil?

Die Zustimmung unter Auslandschweizerinnen war in Umfragen tatsächlich ein bisschen höher als bei Personen, die in der Schweiz leben. Das hat mit der unterschiedlichen Betroffenheit zu tun. Die Unterschiede sind aber nicht riesig. Und die Diskussion, ob Auslandschweizer:innen ungerechtfertigterweise profitieren, wurde zwar heftig geführt, aber kurz. Dann ist sie versandet. Diese Debatte war sichtbar weniger wichtig als die grossen Diskursströme um Kaufkraftverlust und Wirtschaftseskapaden.

Nach der Annahme der 13. AHV-Rente muss die Schweiz über die Finanzierung reden, welcher Ansatz ist der richtige? Diskutieren Sie mit:

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